PsychologieWas unsere Stimme über uns verrät

Lesezeit 5 Minuten
Illustration: geöffneter Mund

Die Stimme ist ein wesentlich wichtigerer Parameter als das Gesicht, um die Persönlichkeit einzuschätzen, sagt die aktuelle Forschung.

Stimme und Sprechweise verraten Gefühle, Eigenschaften – und manchmal sogar Krankheiten. KI-gestützte Stimmanalysen könnten zur Früherkennung beitragen.

Die Stimme am Telefon klingt hell und freundlich, doch manchmal etwas gequetscht und piepsig. Wer verbirgt sich wohl dahinter? Unbewusst machen wir uns von der anderen Person sofort eine Bild. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Frau, wahrscheinlich um eine eher junge, etwas unsichere. Klein, schlank, schmales Gesicht? Tritt uns dann bei einem Treffen eine große, korpulente Frau mittleren Alters entgegen, sind wir überrascht. Wie konnte es passieren, dass wir die Stimme so fehlgedeutet haben?

Die Tatsache, dass wir erstaunt sind, zeige gerade, dass wir sonst eher verlässliche Schlüsse ziehen, argumentiert der Kommunikationswissenschaftler Walter Sendlmeier. Er hat jahrzehntelang zum Thema Stimme und Wirkung geforscht und ist sich sicher: Menschen sind eigentlich recht gut darin, Informationen aus Stimmklang und Sprechweise abzulesen. „Das Gegenüber möglichst schnell einschätzen zu können ist ein evolutionärer Vorteil“, sagt Sendlmeier, der bis 2020 das Fachgebiet Kommunikationswissenschaft an der Technischen Universität Berlin leitete.

Vorgesetzten gegenüber spricht man tendenziell mit höherer Stimme.
Julia Stern, Psychologin

Daher nutzen wir intuitiv alle verfügbaren Informationen, um uns einen Eindruck von der Person am Telefon zu verschaffen: Ist sie vertrauenswürdig? Kann man mit ihr kooperieren? Oder geht von ihr Gefahr aus?

Wie stark Menschen sich bei der Einschätzung anderer an der Stimme orientieren, beschreibt Anabell Hacker, Kommunikationswissenschaftlerin an der TU Berlin, in ihrer noch unveröffentlichten Dissertation, die Sendlmeier betreut. Dazu führte sie eine Studie durch, bei der Testpersonen Gesichter und Sprachaufnahmen mehrerer Frauen bewerten mussten. Eines der wichtigsten Ergebnisse lautet: Stimme ist ein wesentlich wichtigerer Parameter als das Gesicht, um die Persönlichkeit einzuschätzen. Nur für die Attraktivität spielte das Visuelle eine größere Rolle.

Grad der emotionalen Labilität erkennbar

Aber wie verlässlich sind solche Urteile wirklich? Zunächst lässt sich, zumindest bei Erwachsenen, das Geschlecht in der Regel zuverlässig bestimmen, auch das Alter wird mit einer Genauigkeit von plus minus fünf Jahren meist richtig angenommen. „Sogar die Körpergröße lässt sich einigermaßen korrekt abschätzen – warum, ist unklar“, sagt Sendlmeier. Abgesehen von solchen Äußerlichkeiten verrät die Stimme die Gefühlslage. Je nachdem, ob sie ängstlich, wütend, fröhlich oder traurig sind, klingen Menschen anders.

Darüber hinaus gibt es inzwischen einige Belege dafür, dass sich tatsächlich Persönlichkeitszüge in Stimmklang und Sprechweise widerspiegeln. „Extrovertierte Menschen neigen zum Beispiel dazu, lauter, schneller und mit größerer Dynamik zu sprechen als introvertierte“, sagt Sendlmeier. Auch der Grad der emotionalen Labilität ließe sich anhand bestimmter phonetischer Faktoren erkennen.

In der Wahrnehmung unterscheiden Menschen kaum zwischen Stimme und Sprechweise, da beides gleichzeitig zum Höreindruck beiträgt. Für die Tonhöhe ist die Länge der Stimmlippen und die Kehlkopfmuskulatur verantwortlich. Je schneller die Stimmlippen schwingen, desto höher ist der Ton. Auch hier spielt die emotionale Verfassung eine große Rolle: Bei Angst spannt man die Muskulatur an, sodass der Ton höher gerät. Daneben kann die Stimme hell oder dunkel, rau oder zittrig klingen. Ältere Menschen haben zum Beispiel einen höheren Zitterfaktor. Davon unabhängig spielen für den Gesamteindruck Faktoren wie Melodie, Geschwindigkeit und Artikulation beim Sprechen eine große Rolle.

In Studien wurden einzelne Faktoren auch getrennt betrachtet. So hat Julia Stern, Psychologin an der Universität Bremen, zusammen mit einem Forschungsteam untersucht, ob die Stimmlage Hinweise auf die Persönlichkeit gibt. Dazu füllten rund 2000 Testpersonen aus vier Ländern Fragebögen zur Einschätzung ihrer Persönlichkeit aus und ließen die Tonhöhe ihrer Sprechstimme am Computer bestimmen. „Menschen mit tiefen Stimmen sind demnach eher dominant und extrovertiert“, sagt Stern.

Stimme ist nicht unabänderlich

Dazu passt, dass Menschen höher sprechen, wenn sie weniger dominant klingen wollen. „Man hat festgestellt, dass man gegenüber Vorgesetzten tendenziell mit höherer Stimme spricht. Auch hier geht es um die Dominanzwirkung“, sagt Stern. Politikerinnen und Politiker können tendenziell eher überzeugen, wenn sie tief klingen. So habe etwa die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher Stimmtraining genommen, um als dominanter und durchsetzungsfähiger wahrgenommen zu werden.

Auch dieser Umstand zeigt, dass die Stimme nicht unabänderlich ist. Zwar wird unter anderem die Stimmlage bis zu einem gewissen Grad von anatomischen Gegebenheiten, etwa der Länge der Stimmlippen, bestimmt. Daher sprechen Männer in der Regel tiefer als Frauen. Doch Sendlmeier ist davon überzeugt, dass die biologischen Voraussetzungen stark überschätzt werden. Unter anderem ist unser soziales Umfeld prägend dafür, wie wir sprechen, was einst eine Studie aus der DDR auf kuriose Weise belegte. „Man konnte damals zeigen, dass Kinder, die von einer heiser sprechenden Kindergärtnerin betreut wurden, ebenfalls heiser sprachen“, berichtet der Kommunikationsforscher.

Auch die Tonlage kann man bis zu einem gewissen Grad steuern, was sich daran zeigt, dass sich die durchschnittlichen Sprechstimmlagen von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich abgesenkt haben. Forschende der Universität Leipzig stellten 2016 im Rahmen einer großen Studie fest, dass Frauen deutlich tiefer sprechen als noch vor etwa 20 Jahren. Als Ursache wird ein verändertes Rollenbild vermutet.

Daneben gibt es kulturelle Unterschiede: Japanerinnen sprechen traditionell höher als Europäerinnen, aber auch innerhalb Europas ist die Lage uneinheitlich. Vor diesem Hintergrund hält es Sendl-meier für durchaus sinnvoll, an der eigenen Stimme und Sprechweise zu arbeiten. Allerdings rät er zu gesunder Skepsis bei der Wahl entsprechender Kurse: „Bei allzu blumigen Versprechungen sollte man vorsichtig sein. Wichtig ist, dass zuerst der Ist-Zustand festgestellt, das Ziel besprochen und dann individuell vorgegangen wird.“

Auch in der Medizin könnten Stimmanalysen bald eine wichtige Rolle spielen. Die Art und Weise, wie jemand etwas sagt, kann Hinweise auf diverse Krankheiten geben. Menschen mit Depressionen sprechen zum Beispiel eher monoton, langsam und neigen zu längeren Pausen. Auch bei ADHS und neurologischen Erkrankungen wie Demenz finden sich charakteristische Merkmale in Stimmbild und Sprechweise.

Mithilfe von Künstlicher Intelligenz lassen sich Sprachaufnahmen analysieren und Informationen sammeln, die zur Diagnose beitragen können. Nützlich könnte das zum Beispiel bei der Früherkennung der Parkinsonkrankheit sein. Dazu werde momentan intensiv geforscht, heißt es bei der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen. Noch wird die Methode in der Praxis nicht angewandt, doch das könnte sich bald ändern.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.

KStA abonnieren