Schon das Neueste gehört?Über das Verbindende von Tratschen

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Illustration: Stilisierte Menschen mit großen Mündern im Gespräch

Gesellschaftlich ist Tratsch mit einem eher negativen Image behaftet. Tatsächlich ist Gossip aber durchaus besser als sein Ruf.

Jüngstes Beispiel ist die Aufregung um die Autobiografie von Sängerin Britney Spears. Warum interessieren uns vermeintliche Enthüllungen so? Und warum ist Promi-Gossip eigentlich so faszinierend?

Darauf fieberten Fans, die Celebrityszene und Freundinnen und Freunde des gepflegten Gossip bereits seit Monaten hin: auf die Autobiografie von Britney Spears, inzwischen 41 Jahre alt. Schon vor Erscheinen des Buches Ende Oktober sorgte es für einige Aufregung. Auch in deutschen Bestsellerlisten steht „The Woman in Me“ ganz oben. Spears schreibt darin unter anderem über eine Abtreibung während ihrer Beziehung mit Popstar Justin Timberlake. Sie gibt Auskunft über ihren schlagzeilenträchtigen Absturz, als sie sich 2007 zunächst den Kopf kahl rasieren ließ und anschließend in eine Klinik eingeliefert wurde. Vor allem geht es um die 13 Jahre, die sie unter der Vormundschaft ihres Vaters stand.

Nicht nur Fans, sondern auch viele Kritiker und Kritikerinnen finden Spears’ Buch spannend und rührend. Dennoch bleibt die Frage: Warum überhaupt interessiert uns das alles?

Der Austausch von Tratsch kann Menschen sozial binden.
Stephen Benning,Psychologieprofessor an der Universität von Nevada

Tatsächlich ist ein solches Interesse an dem Buch einer oder eines Prominenten nicht ungewöhnlich. So brachte auch Prinz Harrys Autobiografie „Reserve“ Anfang des Jahres die Gossip-Welt zum Beben – und das britische Königshaus sowieso. Viele Wochen lang wurde über das Buch diskutiert, viele Wochen lang getratscht, geschnattert und gelästert. Auch als in den vergangenen Jahren autobiografische Bücher von Bushido und Ozzy Osbourne, von Arnold Schwarzenegger, Daniela Katzenberger und Dutzenden anderer Prominenter auf den Markt kamen, war die Aufregung jedes Mal groß. Meist gilt dabei: Je prominenter Autor oder Autorin und je vermeintlich „skandalöser“ das Geschriebene, desto größer ist der Hype.

Die Wissenschaft sieht im Interesse an solchen Geschichten eine Art Flucht aus dem Alltag. „Wenn das Leben überwältigend ist, kann die Konzentration auf Promi-Gossip eine Möglichkeit sein, unsere Gefühle der Unzufriedenheit, des Unglücks oder des Stresses zu betäuben“, sagte Britt Frank, Psychotherapeutin und Autorin des Buchs „The Science of Stuck“, mal dem US-Magazin „Everyday Health“.

Folgt man dieser Theorie, dann kommt die Spears-Biografie genau zum richtigen Moment – in Zeiten des Krieges in Israel und in der Ukraine, nach immer neuen Krisen und Sorgen.

Gepflegter Promiklatschtalk begegnet einem in zahlreichen Medien, und er ist inzwischen ein festes Genre auf Plattformen wie Youtube und vor allem Tiktok. Hier begleiten Hobbypromiexperten mit aufgeregten Kommentaren jeden Schritt des früheren Teenieidols Spears. Neue Erkenntnisse aus dem Buch sind Anlass für Hunderte weitere Videos auf Tiktok. Oft wird in ihnen das Gelesene oder Aufgeschnappte mit alten Songtexten und Musikvideos des Stars in Verbindung gebracht.

Schon in den Monaten vor Erscheinen der Autobiografie hatten sich einige Userinnen und User auf der Plattform fast ausschließlich dem Leben von Spears gewidmet und täglich neue Videos in die Welt geschickt. Gemeinsam analysierten sie Instagram-Clips des Popstars bis ins kleinste Detail – und spannen alle möglichen Verschwörungstheorien. Lange Zeit hielt sich das Gerücht, der Popstar werde – trotz Ende der Vormundschaft – in seiner Villa festgehalten und neue Postings mit Hilfe einer Schauspielerin oder Künstlicher Intelligenz manipuliert. Die angeblichen Beweise dafür entpuppten sich später als Fälschung.

Promi-Gossip: Nicht nur Ablenkung

Dieses überragende Interesse, dieser aufgeregte Klatsch und Tratsch, mag mit der Person Britney Spears selbst zu tun haben. Mit 16 Jahren war sie 1998 auf einen Schlag berühmt geworden. Später dann die Einweisung in eine Klinik. Sie verlor den Kontakt zu ihren Kindern, lebte jahrelang unter der Vormundschaft ihres Vaters – bis die „Free Britney“-Bewegung im Internet mit lautem Protest deren Ende einläutete. Ein Teeniestar, der hoch flog, abstürzte und sich wieder ins Leben kämpfte – oder das zumindest versucht. Es ist die klassische Heldenreise, die jede erfolgreiche Geschichte beinhaltet. Und nun gibt es mit der Autobiografie die Gelegenheit, Spears’ eigene Version der Geschichte zu erfahren.

Doch Gossip über Prominente hat nicht nur mit Ablenkung zu tun. Er beruht auf einem Grundbedürfnis, das wir auch beim Tratschen mit Freunden oder Kollegen auf der Arbeit verspüren. Für Menschen als soziale Wesen gehört dieses mehr oder weniger zum Überlebensprogramm. „Die Fähigkeit, über andere zu sprechen, ist uns angeboren“, erklärte der Diplom-Psychologe Andreas Schick dem Fernsehmagazin „Planet Wissen“. Schon unseren Vorfahren habe dies zum Überleben verholfen, meinen andere Forschende. Der Evolutionspsychologe Robin Dunbar verglich das Tratschen einmal mit der Fellpflege von Primaten, das der Bindung mit Gleichgesinnten dient. Anstatt Flöhe und Schmutz voneinander zu entfernen, um eine Bindung herzustellen, quatschen wir heute.

In einer 2015 veröffentlichten Studie konfrontierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Testpersonen mit positiven und negative Gerüchten über sich selbst und ihre besten Freunde. Das Ergebnis: Menschen, die diesen Gossip hörten, zeigten eine höhere Aktivität im präfrontalen Kortex des Gehirns. Grob gesagt bedeutet das: Menschen reagieren darauf, was andere tratschen – und passen ihr Verhalten an, um sich in die Gesellschaft einzufügen.

Die Probandinnen und Probanden wurden aber auch mit negativen Klatschmeldungen über Prominente konfrontiert. In diesem Fall sprang der Nucleus caudatus an, ein Belohnungszentrum im Gehirn. Die Probanden fühlten sich von den Promiskandalen also offenbar amüsiert oder unterhalten.

Wir sind soziale Tiere und müssen wissen, was in sozialen Umgebungen vor sich geht, daher ist Klatsch sehr hilfreich.
David Ludden von der Psychologieabteilung am Georgia Gwinnett College

Gesellschaftlich ist diese Art von Tratsch mit einem eher negativen Image behaftet. Tatsächlich ist Gossip aber durchaus besser als sein Ruf: Das „Sprechen über Menschen, die nicht anwesend sind“, ist laut Megan Robbins, Assistenzprofessorin für Psychologie an der University of California, sogar etwas ganz Natürliches. Es ist ein integraler Bestandteil von Gesprächen, Informationsaustausch und dient dem Aufbau von Gemeinschaften, wie sie dem „Time“-Magazin sagte.

„Wir sind soziale Tiere und müssen wissen, was in sozialen Umgebungen vor sich geht, daher ist Klatsch sehr hilfreich“, sagt auch David Ludden von der Psychologieabteilung am Georgia Gwinnett College dem Magazin „Everday Health“. Und Stephen Benning, Professor für Psychologie an der Universität von Nevada, meint: „Der Austausch von Tratsch kann Menschen sozial binden.“ Es würden private Informationen ausgetauscht, die ein Gemeinschaftsgefühl schafften.

Derartige Beziehungen kann man in gewisser Weise auch zu Prominenten aufbauen. Ludden spricht dann von „parasozialen“ oder „imaginären“ Beziehungen. Promis, deren Karriere wir schon seit vielen Jahren verfolgen, wirkten irgendwann so auf uns, als würden wir sie kennen. Gleichzeitig könne es ein Gemeinschaftsgefühl auslösen, mit anderen Menschen über diese Promis zu lästern. Promiklatsch ist das perfekte Smalltalkthema – kann aber auch dazu dienen, gemeinsame Interessen abzuklopfen. Und auch das befriedigende Gefühl von Schadenfreude spielt laut einigen Forschenden beim Promiklatsch eine Rolle.

Allerdings: Die Übergänge zwischen lockerem Gossip, Lästern oder gar Mobbing sind oftmals fließend. Wenn regelmäßig über Menschen getratscht wird, und diese dies sogar mitbekommen, ist eine „klassische Mobbingsituation“ entstanden, so Andreas Schick gegenüber „Planet Wissen“. Und wenn dann nachhaltig schlecht über jemanden gesprochen werde, im Zweifel Unwahrheiten verbreitet werden, sei das kein lustiger Tratsch mehr.

Langfristige Schäden möglich

Davor können sich heute auch Prominente nicht mehr schützen. Als sich Britney Spears 2007 eine Glatze schneiden ließ, waren die sozialen Medien noch kein Massenphänomen – die Lästerei spielte sich meist außerhalb ihrer Wahrnehmungsschwelle ab. Heute lässt sich nahezu jeder Promi bei jeder Meinungsäußerung einfach bei Instagram, X (ehemals Twitter) oder Tiktok taggen. Dies könne auch Prominenten langfristig echten psychischen Schaden anfügen, warnt der Psychologe Benning.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.

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