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Kanzler spricht von „historischem Tag“Graue Fußmatte statt roter Teppich – Merz zu Besuch in London

3 min
Bundeskanzler Friedrich Merz wird von Keir Starmer, Premierminister von Großbritannien, vor dessen Amtssitz Downing Street 10 begrüßt. .

Bundeskanzler Friedrich Merz wird von Keir Starmer, Premierminister von Großbritannien, vor dessen Amtssitz Downing Street 10 begrüßt. .

Mit protokollarischer Bescheidenheit wird Bundeskanzler Merz in Großbritannien empfangen. Es um den neuen Freundschaftsvertrag – den nicht alle gut finden.

Kunstgewerbe und Design umgeben Bundeskanzler Friedrich Merz und Premier Keir Starmer bei der Unterzeichnung des deutsch-britischen Freundschaftsvertrags.

Welcher Ort in London symbolisiert schon eine echte deutsch-britische Verbundenheit? Das Victoria and Albert Museum, in dem die beiden Regierungschefs die engere Kooperation zwischen Deutschland und Großbritannien unterschreiben, steht für die Ehe zwischen Queen Victoria (1819 - 1901) und dem deutschen Prinzen Albert. Es war eine echte große Liebe - zu Zeiten arrangierter Adels-Heiraten keine Selbstverständlichkeit. Von nun an soll vom „Kensington-Vertrag“ die Rede sein, sagt Merz. Kensington ist der Stadtteil, in dem das V&A Museum liegt.

Der 27-seitige Freundschaftsvertrag ist der Versuch, nach der Scheidung Großbritanniens von der EU vor gut fünf Jahren das Leben zwischen Deutschland und dem Königreich leichter zu machen und die Briten wieder enger an den Kontinent zu binden.

Bundeskanzler Friedrich Merz (r, CDU) nimmt neben Keir Starmer, Premierminister von Großbritannien an einer Pressebegegnung bei Airbus Defence and Space am Standort Stevenage teil.

Bundeskanzler Friedrich Merz (r, CDU) nimmt neben Keir Starmer, Premierminister von Großbritannien an einer Pressebegegnung bei Airbus Defence and Space am Standort Stevenage teil.

Im Zentrum steht die Zusicherung, dass das Königreich sicherheitspolitisch Teil Europas ist. „In letzter Konsequenz sichern wir einander militärischen Beistand im Falle eines bewaffneten Angriffs zu. Wir tun das im Einklang mit unseren NATO-Verpflichtungen“, sagt Merz später bei seinem Besuch bei Airbus Defence and Space.

Und es geht auch um die Ukraine, deren Verteidigungskrieg der Auslöser für das Zusammenrücken der EU mit Großbritannien ist. Merz dringt auf „Klarheit, wie Waffensysteme durch die USA ersetzt werden, die von europäischer Seite abgegeben werden“. Während Starmer und er sprechen, laufen die Verhandlungen der europäischen Verteidigungsminister mit den USA über die Waffenlieferungen.

Der Freundschaftsvertrag enthält viele auch unverbindliche Bekundungen zur künftigen Zusammenarbeit, wird aber ergänzt durch einen Aktionsplan. Die Vereinbarungen bergen auch politischen Sprengstoff. Deutschland hat jedes Komma mit Brüssel abgesprochen, um Missverständnisse mit der EU zu vermeiden. Zwischen Frankreich und Großbritannien existiert bereits ein ähnlicher Vertrag.

Nigel Farage setzt Starmer unter Druck

Starmer steht mit seinem pro-europäischen Kurs innenpolitisch unter Druck. Seine Pro-Brexit-Opposition um Nigel Farage wittert bei jeder Annäherung an EU-Staaten den Ausverkauf Großbritanniens. Um nicht zu viel Aufsehen um das neue Vertragswerk zu machen, wird Merz mit einer protokollarischen Bescheidenheit empfangen, die nach wenig willkommen aussieht: graue Fußmatte statt roter Teppich bei der Ankunft auf dem Flughafen. Die Vertragsunterzeichnung findet in dem Museum während des laufenden Betriebs statt. Für schöne Bilder wird den Medien kein Platz gelassen.

Während Merz von einem „historischen Tag“ für die deutsch-britischen Beziehungen spricht, wirkt es, als wolle Starmer den Vertrag und den Besuch des deutschen Kanzlers möglichst an der Öffentlichkeit vorbeischleusen. Der innenpolitische Druck auf ihn ist enorm. Interessantes Bekenntnis sind die Flaggen im Hintergrund der Unterzeichnung: Hinter Starmer zweimal die britische Fahne Union Jack, hinter Merz einmal die deutsche, einmal die blaue europäische Fahne.

Die Vertragsinhalte dürften die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Königreich erleichtern und vertiefen. Vorbereitet wurden sie schon von der Ampel-Regierung.

Die fünf wichtigsten Punkte

  1. Äußere Sicherheit: Neben der erneuerten gegenseitigen militärischen Beistandsverpflichtung wollen Deutschland und Großbritannien künftig gemeinsam konventionelle Abstandswaffen (also Waffen, die wie der Taurus aus der Ferne gelenkt werden können) und unbemannte Systeme entwickeln. Ziel ist laut Vertrag „die wirksame Abschreckung potenzieller Angreifer“. Konkret geht es darum, die Nordsee gegen hybride Bedrohung und die Ostflanke der Nato zu sichern.
  2. Innere Sicherheit: Zur Eindämmung der organisierten Kriminalität sollen die Zollbehörden kooperieren. Im Kampf gegen die irreguläre Migration wurde eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Schleusern vereinbart. Die Abwehr gegen Terror soll gemeinsam verstärkt werden.
  3. Wirtschaft: Eine engere Kooperation der Rüstungsindustrie ergibt sich aus den Verabredungen zur gemeinsamen Verteidigung. Der gute Wille laut Vereinbarung: Man will den Austausch zwischen den Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals fördern. Auch die angestrebte Zusammenarbeit bei Energie- und Klimaschutz kann helfen. Die alten entscheidenden Hürden aber bleiben: Großbritannien bleibt außerhalb von Zollunion, Binnenmarkt und Freizügigkeit für Arbeitnehmer.
  1. Bahnverbindung: Zwischen London und Berlin soll eine direkte Zugverbindung entstehen. Die ersten Züge sollen in zehn Jahren rollen.
  2. Reiseerleichterungen: Weniger Formalitäten an den Grenzen soll es für beide Seiten geben. Noch in diesem Jahr sollen von Deutschland aus die ersten Schulklassen ohne Pässe und Visa nach Großbritannien fahren können. Auch für Studierende soll es leichter werden, Hochschulen in Großbritannien zu besuchen. Merz hebt während der Vertragsunterzeichnung hervor, damit habe insbesondere die junge Generation die Gelegenheit, die Länder gegenseitig besser kennenzulernen.