Religiöse Konflikte bekommen viel Aufmerksamkeit, doch der Glaube an Gott verliert einer Studie zufolge rasant an Bedeutung - sogar in Ländern wie dem Iran. Es gibt allerdings auch ein Gegenbeispiel.
ReligionssoziologieStudie sieht weltweiten Bedeutungsverlust von Religion

Einer Studie zufolge hat die Bedeutung von Religion weltweit dramatisch abgenommen (Archivbild).
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Die Bedeutung von Religion hat einer Studie zufolge weltweit auch in bisherigen Hochburgen dramatisch abgenommen. Der Glaube an einen personalisierten Gott und ein Jenseits sei für immer mehr Menschen einfach nicht mehr plausibel, konstatiert der Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster.
So sei der Anteil der Konfessionslosen in den USA, der sich im 20. Jahrhundert noch durchgehend im einstelligen Prozentbereich bewegt habe, inzwischen auf knapp ein Drittel gestiegen. Insbesondere die moderaten protestantischen Kirchen hätten hier zurückgehende Mitgliederzahlen, weil sich eher liberal eingestellte Amerikaner angesichts der Allianz der Evangelikalen mit Politikern wie Donald Trump ganz vom Glauben abwandten.
„In Polen, das sich zuvor durch eine beachtliche religiöse Stabilität auszeichnete, sind allein zwischen 2015 und 2021 die wöchentlichen Gottesdienstbesuche um zehn Prozentpunkte zurückgegangen“, so Pollack. Unter den mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern sticht nach den Worten des Wissenschaftlers die Säkularisierung im Iran hervor: „Einer Online-Befragung zufolge verstehen sich nicht, wie offizielle Zahlen suggerieren, mehr als 99 Prozent der Iranerinnen und Iraner als muslimisch, sondern nur etwa 40 Prozent. Etwa 22 Prozent sagen, sie würden keiner Religion angehören, und etwa neun Prozent sind Atheisten.“
In Russland wächst die Bindung an die orthodoxe Kirche
Pollack erklärt den Bedeutungsverlust von Religion durch Faktoren wie wachsenden Wohlstand, Demokratisierung, Ausbau des Sozialstaats sowie Individualisierung und kulturelle Pluralisierung. Ein Gegenbeispiel sei Russland, wo in den vergangenen Jahrzehnten die Identifikation mit der orthodoxen Kirche in breiten Teilen der Bevölkerung rasant zugenommen habe, verbunden mit einer ebenso deutlichen Zunahme des Nationalstolzes.
Religiosität sei hier allerdings eher Ausdruck kultureller Identität als eine Form verinnerlichten Glaubens. Aus dieser Forschungsperspektive lasse sich auch die Attraktivität der Pfingstkirchen in Lateinamerika und der protestantischen Kirchen in Südkorea erklären, die ihren Mitgliedern Wohlstand und Aufstieg dank disziplinierter Lebensführung in Aussicht stellten.
Pollack vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster hat mit seinem Fachkollegen Gergely Rosta eine stark erweiterte und überarbeitete Neuauflage des Standardwerks „Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich“ vorgelegt. Es basiert den Angaben zufolge auf Datenmaterial aus weiten Teilen West- und Osteuropas, Süd- und Nordamerikas sowie Asiens und filtert politische, nationale und soziale Einflussfaktoren auf Religion heraus. (dpa)