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Wildes WestfalenHerzlich ungezähmt durchs Land

5 min

Scheue Luchse im Biotopwildpark Anholter Schweiz.

Der Wildtierpfleger trinkt den Kaffee schwarz. Er ist kein Mann der Milch, kein Mann des Zubehörs. Wozu ein Nachname? „Ich bin Maik.“ Fester Handdruck, fröhliche Begrüßung. So unverhofft schnell, zumal in Westfalen, gerät man an einen Duzfreund. Maik (Elbers), gern zur Sache kommend, portioniert morgens Rinderherzen, packt tote Küken und Fische in die Eimer. Dann dreht er seine Runde und passt am Kassenhäuschen die ersten Anekdoten des Tages ab. Riesengelächter: Der Praktikant ist in die Wisentscheiße gefallen. „Ja“, sagt Maik, „hier is’ immer wat los.“

Biotopwildpark Anholter Schweiz

Es ist münsterländisch kühl und feucht. Selbst in Maiks Auto, mit dem er durch den Biotopwildpark Anholter Schweiz kurvt. Er fährt an Eichen und Kiefern vorbei, an dem Hirsch, der vorbildlich röhrt. Hirsche in der Brunft, sagt Maik, sind die gefährlichsten. „Wenn die nur noch die Mädels im Kopp haben, können die unschöne Löcher machen.“ Gerade erst wurde dem Rothirsch das Geweih entfernt. Zum Schutz des schwächeren Rivalen.

Aus dem Dunst lösen sich grasbedeckte Schutzhütten, in denen Tiere wie die von Maik besonders geschätzten Otter leben. Er nennt sie liebevoll Otten. Es gibt im Münsterland freilebende Exemplare, in der Anlage ist seit längerer Zeit ein Paar beheimatet, dessen Nachwuchs gerade ausgewildert wird. Neuer ist zu erwarten. „Ich war zufällig bei der Paarung dabei“, sagt Maik. Die Tiere fiepen wie gierige Kinder, wenn der 36-Jährige kommt, springen an ihm hoch, fressen ihm aus der Hand, tauchen dann wieder ab. Besucher bleiben stehen. „War da nicht gerade noch ein Otter?“ „Der ist mit dem Fahrrad nach Gladbeck unterwegs“, sagt Maik. Es wird immerhin geschmunzelt. Seine Kollegin nennt Maik „Mr. CC“: Herr Charme und Charisma.

Wildtierpfleger im Herzen

Wildtierpfleger – das könne man nicht lernen. Das sei man. „Ich sach mal, wenne als Kind Frösche inne Tasche hattest, ist das schon mal ein guter Anfang.“ Hier kümmere er sich nun um die Raubtiere. Das allerdings wäre auch so jetzt schon zu erraten gewesen.

45 verschiedene Tierarten leben in der Anlage. Sie werden gezüchtet, an andere Zoos und Parks verkauft oder mit Tieren von dort getauscht. Das jüngste Aufsehen erregende Projekt war die Aufzucht Europäischer Nerze, die vom Aussterben bedroht sind. Fünf wurden hier im Park geboren und später frei gelassen. Ein schöner Erfolg.

Anholter Schweiz im Münsterland

Seit acht Jahren arbeitet Maik in der Anholter Schweiz. Sie liegt ganz im Westen des Münsterlandes und war bei ihrer Errichtung 1893 eher Anlaufpunkt für Flaneure mit Sinn für englische Gärten und kostspielige Romantik: Fürst Leopold zu Salm-Salm ließ in Erinnerung an seine Hochzeitsreise den Vierwaldstätter See nachbilden. Der Aushub grenzt als Hügellandschaft ans Wasser, davor liegen Felsen, die eigens aus der Schweiz angeschifft wurden – ebenso wie das Chalet. Das Schweizer Haus ist ein rustikales Familien-Ausflugsziel. Seit Anfang der 1990er steht die Anlage unter Denkmalschutz. Nach und nach wurde die Anholter Schweiz zu einem Biotopwildpark erweitert. Der gehört nicht nur dank seiner Entstehungsgeschichte zu den außergewöhnlichen Attraktionen der Gegend. Er ist riesig, erstreckt sich über 65 Hektar. Der Duisburger Zoo, wo Maik früher arbeitete, ist 16 Hektar groß. Wenn im Sommer zu Spitzenzeiten 2000 Besucher in die Anholter Schweiz kommen, falle das kaum auf, sagt Maik.

Die Tiere könnten sich in ihren weitläufigen Gehegen problemlos verstecken. Sie tun es aber nicht. Ein echter Wildtierpfleger, so Maik, wolle die Tiere für das zahlende Publikum auch sichtbar machen. Er füttert sie deshalb nicht nur einmal, sondern reicht mehrmals am Tag kleinere Mahlzeiten. Darum drücken sich nicht selten die schüchternsten Tiere nahe des Zaunes herum. Etwa die pinselohrigen Luchse. Auch die Europäischen Wildkatzen zeigen sich den Besuchern. Es könnte schließlich Maik mit dem Eimer voller Küken sein. Nur der Wolf lässt sich nicht blicken. 19 Jahre ist der alt, so alt wie er in freier Wildbahn nicht geworden wäre , – und allein. Auch einsam? „Nä. Ich hab’ das Gefühl, ihm geht es nach dem Tod des Weibchens vor zwei Jahren besser.“

Maik und die Tiere

Maik schmust mit den Wildschweinen, schäkert mit dem Bartkautz, kuschelt mit den Eseln. Er weiß, wie es den Tieren geht, weiß, dass Lasse, der Rentierbulle, Husten hat. Dass sich die Steinmarder extrem wohl fühlen. Ist die Tür mal geöffnet, kämen sie nicht einmal auf die Idee, auszubüchsen. Maik hat auch Tiere mit der Hand aufgezogen. Zum Beispiel die Frischlinge, die er unter Seufzen seiner Frau für sechs Wochen mit nach Hause nahm. Oder den Waschbären, der mit ihm und seiner Familie sogar in den Urlaub an die Nordsee fahren durfte. Jedoch: Die Tiere seien zwar an Menschen gewöhnt, blieben aber wild. „Die machen, was sie wollen.“ Zum Beispiel beißen, wie die Wildkatzen. Durch den Handschuh. „Der Daumen war fast ab.“ Wildtierpfleger haben nach Einschätzung der Versicherungen den gefährlichsten Job – hinter dem Forstwirt und dem Dachdecker.

Er liebe seinen Beruf trotzdem. Die Abwechslung. Die Luft. Das Leben. .„Wenn ich an einer Menschentraube vorbei komme, weiß ich: Entweder ist ein Tier gestorben oder es ist ein neues gekommen. Letzteres freut mich immer noch sehr.“ Und was ist das Unangenehme an seinem Job? „Abends sagt dir deine Frau: Deine Hände stinken nach Fisch, deine Füße nach Otterscheiße.“ Der Job sei nur was für Handfeste. Für Schwarzkaffeetrinker.