Interview mit Nilz Bokelberg„Die Welt wäre eine bessere, wenn alle Menschen Kölner wären“

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Der Moderator und Autor Nilz Bokelberg sitzt vor dem Kölner Dom.

Mehr als ein Reiseführer: Nilz Bokelberg hat ein Buch über Köln geschrieben.

Nilz Bokelberg hat ein neues Buch geschrieben. Es heißt „Nice to meet you, Köln!“ und handelt von mehr, als sehenswerten Orten in der Stadt. Ein Gespräch über die kölsche Seele, Klüngel und Kölner Karneval.

Nilz Bokelberg ist in Bonn geboren und in Wesseling aufgewachsen. Er war 17 Jahre alt, als er als Moderator eines der ersten Gesichter des Musiksenders Viva wurde und fortan viele Jahre in der Kölner Innenstadt wohnte. Inzwischen lebt der Moderator, Autor, Podcaster und Musiker zwar in Berlin, aber sein Herz hängt immer noch an der Stadt am Rhein. Darüber hat er das Buch „Nice to meet you, Köln! Auf Entdeckungstour ins Herz der Stadt“ geschrieben.

Herr Bokelberg, haben Sie Heimweh?

Nilz Bokelberg: Ich habe immer Heimweh nach Köln. Und gleichzeitig genieße ich es, nicht in Köln zu wohnen. Weil ich so jedes Mal, wenn ich zurückkomme, die Stadt nur mit ihren Vorzügen genießen kann. Ein Köln-Konzentrat also, das ist ein großer Luxus.

Warum ausgerechnet jetzt ein Buch über Köln?

Ich habe schon immer betont, wie sehr ich diese Stadt liebe. Und dann kam der Verlag auf mich zu und hat gefragt: Willst du nicht mal ein Buch über Köln schreiben? Und da habe ich gesagt: Klar, das sollte mir aus den Fingern fließen.

„Auf Entdeckungstour ins Herz der Stadt“ – das klingt erstmal nach einem Stadtführer. Ihr Buch liest sich aber regelrecht therapeutisch, eine Analyse der kölschen Seele.

Absolut, das war meine Intention. Ich wollte nie einen Reiseführer schreiben, der den Menschen nur Tipps für Orte gibt. Ich wollte aufschreiben, was das Rheinland so lebens- und liebenswert macht. Für die Rheinländer selbst, wir hören ja Lob ganz gerne. Aber vor allem für die Nicht-Rheinländer. Eine Anleitung, wie man das Leben ein bisschen mehr genießen kann. Da kann man von Kölner nämlich eine Menge lernen. Manchmal denke ich: Die Welt wäre eine bessere, wenn alle Menschen Kölner wären.

Nilz Bokelberg sitzt vor der Tratorria Celentano in der Kölner Nordstadt.

Das Leben genießen, zum Beispiel im Celentano in der Maybachstraße.

Sie sagen, Köln habe Sie geprägt, wie keine andere Stadt. Inwiefern?

Vor allem durch diese Laissez-faire-Haltung, auch wenn das abgedroschen klingen mag. Jeder kommt, wie er kommt. Und solange du mir nicht irgendwie krumm kommst oder mich doof anmachst, bin ich froh, dass du da bist. Und dann kannst du auch machen, was du willst. Das ist etwas, was viele Leute mit einer Egal-Haltung verwechseln. Dabei finde ich, es handelt sich doch viel eher um eine hohe Form der Zuneigung, der Zugewandtheit. Und das ist etwas, was nirgendwo sonst so ausgeprägt ist, wie in Köln.

Böse Zungen behaupten, Kölnerinnen und Kölner wären oberflächlich.

Das ist eines meiner Lieblings-Klischees! Erstens sind doch alle Interaktionen von Menschen, die sich auf der Straße begegnen, erstmal oberflächlich. Und zweitens ist es mir lieber, sie sind freundlich-oberflächlich als so muffelig. Unter all diesen verschiedenen Formen von Oberflächlichkeiten ist mir die kölsche immer noch die Liebste. Und zu behaupten, eine hohe Akzeptanz wäre oberflächlich, das können nur Leute sagen, die nie andere Menschen geliebt haben.

Das müssen Sie erklären.

Die Kölner haben einfach eine sehr hohe Akzeptanz für vielfältige Lebensentwürfe, dafür ist die Stadt immer berühmt gewesen. Ein Ort, wo man sein kann, wie man will. Und das muss auch nicht immer allen gefallen. Aber niemand muss sich Sorgen machen, für das, was er ist oder sein möchte, schief angeguckt zu werden.

Ein anderes Köln-Klischee lautet: Köln ist eine hässliche Stadt. Stimmen Sie zu?

Na ja, architektonisch gewinnen wir keine Preise mehr. Es sei denn, eines Tages wird die 50er-Jahre-Zweckbetonarchitektur der neue Trend, dann sind wir vorne mit dabei. Aber das macht nix, das gleichen wir alles mit unserer ganzen Sinnlichkeit und unserem Gemüt wieder aus.

Sie schreiben, dass es kein Lied gibt, in dem der Berliner Fernsehturm so begeistert besungen wird, wie der Dom. In Köln gibt es unendlich viele Hymnen über die Stadt und ihr Wahrzeichen. Warum lieben die Menschen ihr Zuhause so sehr – und lieben sie es manchmal ein bisschen zu viel?

Ich denke, das ist eine Trotzreaktion. Wir wissen, dass diese Stadt beschissen aussieht, deswegen lieben wir sie noch viel mehr, als sich das jemand von außerhalb auch nur vorstellen kann! Weil man es sich schön machen muss. Und deswegen müssen wir uns diese Stadt dann vielleicht auch schön singen. Und klar, manchmal schießen Kölner da bestimmt etwas über das Ziel hinaus. Aber auch das ist einer der Wesenszüge, die ich absolut liebe, dieser leichte Hang zur Übertreibung und zur Dramatisierung. Was hat man denn vom Leben, wenn man nicht ab und zu ein bisschen übertreibt!

Manchmal fühle ich mich wie der kölsche Ambassador

Sie schreiben auch über den Kölner Klüngel. „Natürliche Tauschbörse“ nennen Sie das. Ist das angesichts der Skandale, die diese Stadt hinter sich hat, nicht etwas zu naiv?

Na ja, ich versuche ja eher, diesen Begriff wieder aus dem politischen Diskurs zurückzuholen. Es gibt keinen Zweifel daran, und das schreibe ich ja auch, dass all die Skandale, die die Stadt gebeutelt haben, grotesk und furchtbar sind. Ich will das also auf keinen Fall kleinreden oder lächerlich machen. Aber ich kenne diesen Klüngel eben auch aus einer privaten Haltung heraus. Wenn einer sagt: Komm, ich gebe dir das und du gibst mir das! Den Klüngel im Volk also, den man nicht mit dem politischen und dem kriminellen Klüngel verwechseln darf.

Haben Sie von dem Klüngel im Volk profitiert?

Oh, bestimmt! Mir fällt jetzt nichts Konkretes ein, aber ich habe immer mal Freundinnen und Freunde, die sagen: Nilz, mit dem und dem musst du reden! Und ich sage dann: Aber ich kenne den doch gar nicht. Und dann sagen sie: Ja, aber der kann doch auch das und das, vielleicht könnt ihr euch mal gegenseitig helfen! Leute zu verbinden, die auf irgendeine Art und Weise voneinander profitieren, gehört in Köln zum Alltag. Das finden die Menschen in Berlin manchmal befremdlich, die sind ja eher Einzelkämpfer.

Nilz Bokelberg betrachtet ein Schallplattencover in einem Plattenladen.

Im Plattenladen „Parallel“ in der Brabanter Straße im Belgischen Viertel.

Sie leben inzwischen in Berlin, zwischenzeitlich hatte es Sie nach Hamburg und München verschlagen. Waren Sie da als leutseliger Rheinländer auch ein wenig einsam?

Ja, manchmal schon. Wobei ich heute mit meiner Frau zusammenlebe, und es wäre wohl etwas unfair, da von Einsamkeit zu sprechen. Und das klingt jetzt vielleicht piefig, aber das Schöne ist, dass es in allen großen Städten kölsche, beziehungsweise rheinländische Enklaven gibt. In München bin ich während meines Filmstudiums am 11.11. immer in die Mensa gegangen und habe um Punkt 11 Uhr 11 einen Schnaps getrunken. Und abends habe ich dann Münchner Freude mit in eine der wenigen Kölsch-Kneipen genommen, wo man Karneval feiern konnte. Fanden die meistens super!

Manche finden Karneval ja befremdlich oder uncool. Wie erleben Sie das?

Ich bin da völlig bei mir! Mir macht das gar nichts aus, wenn irgendwer die Nase rümpft. Und Uncoolness finde ich sowieso sexy. Ich kann sogar verstehen, wenn sich jemand beschwert, dass Karneval nur noch ein großes Besäufnis sei. So jemandem schlage ich dann einfach vor: Komm doch mal mit mir mit, und ich zeige dir, was der Spaß daran ist. Manchmal fühle ich mich ein bisschen so, wie der kölsche Ambassador, der den Frohsinn in die Welt trägt. Als Rheinländer haben wir da in gewisser Weise einen Standortvorteil. Wir sind mit Karneval aufgewachsen. Und mal ehrlich, welches Kind findet es nicht super, am Straßenrand mit Bonbons beworfen zu werden?

In Köln kann man sich austoben und gleichzeitig zur Ruhe kommen

Sie waren in den 1990ern eines der ersten Gesichter des Musiksenders Viva mit Sitz in Köln. Die Stadt hatte auch darüber hinaus eine Blütezeit in Sachen Musik, Kunst und Kultur, man denke nur an die internationale Strahlkraft der Minimal-Techno-Szene. Wenn Sie heute zurückkommen und sehen, wie wenig davon übrig ist, werden Sie dann wehmütig?

Ich versuche immer, so wenig nostalgisch wie möglich zu sein. Denn Nostalgie ist ein sehr trügerisches Gefühl. Klar war das alles eine super Zeit und Köln ein Zentrum für Medien, für Musik und für Kunst. Vieles davon ist weggebrochen. Und gleichzeitig gibt es diese Grundpfeiler immer noch: Das Kölner Label Kompakt ist in der elektronischen Musik bis heute tonangebend. Köln hat eine extrem vielfältige und selbstbewusste Musikszene. Und mit RTL und dem WDR auch zwei sehr große Medien-Player. Es gibt vielleicht nicht mehr diese Aufbruchstimmung und den alten Glanz der 1990er Jahre. Aber ehrlich gesagt war das alles ja auch sehr westdeutsch-zentriert. Ich finde, die Kulturszene hat sich mittlerweile besser verteilt. Und sehr viel findet natürlich in Berlin statt. Die einzige deutsche Großstadt, die es mit anderen internationalen Metropolen aufnehmen kann, ­schon Einwohnerzahl-mäßig. Trotzdem würde ich niemals sagen, dass Köln abgehängt ist.

An welche Lieblingsorte würden Sie Kölner schicken, die die Stadt genauso gut kennen wie Sie?

Gute Frage! Wenn ich eine Kneipe empfehlen sollte, wäre das vermutlich das Metronom in der Nähe des Barbarossaplatzes. Eine alte Jazz-Kneipe, die einen staunen lässt, wenn man reinkommt und diese riesige Plattensammlung an der Wand sieht. Und dazu die Experten am Tresen, die abends bei einem Kölsch sitzen und Jazz hören. Und ich liebe auch das Greesberger am Eigelstein. Eine urkölsche Kneipe, in der sich alles und jeder trifft. Und ich würde das Maria Eetcafe am Hans-Böckler-Platz empfehlen. Das ist ein Restaurant für holländisches Essen und belgisches Bier.

Sie sind jetzt 46 Jahre alt. Ist es womöglich genauso wie in dem Lied „Tommi“ von AnnenMayKantereit: Die Menschen toben sich in Städten wie Berlin aus – und kommen dann in ihre Heimat Köln zurück, um hier Kinder zu kriegen und alt zu werden?

Ich denke, dass man sich überall auf der Welt austoben kann. Und auch Köln ist eine Stadt, in der das ausgesprochen gut geht. Und in der man gleichzeitig besonders gut zur Ruhe kommen kann. Diese Parallelität, das ist das Besondere an dieser Stadt!

Buchtipp: Nilz Bokelberg – „Nice to meet you, Köln! Auf Entdeckungstour ins Herz der Stadt“, Polyglott, 208 Seiten, 15,99 Euro

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