Musik in DeutschlandDie Chart-Hits zur Wendezeit

Ein jubelnden Paar hat sich am 03.10.1990 in Berlin am Tag der Deutschen Einheit in einer DDR-Fahne dort Platz geschaffen, wo früher das Emblem Hammer und Sichel war. Doch welche Musik war in dieser Zeit angesagt? Wir haben uns einen Überblick verschafft.
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DDR 1990 Jahrescharts
1 Rockhaus: Wohin?„Wo sind sie hin, die ganzen Träume?“ fragten Rockhaus am Ende des real existierenden Sozialismus’ ein wenig sentimental. In der DDR war die Band eine ganz große Nummer, und das mit der Art von Rock, die man ruhig zu glatt und klischeebeladen finden darf.
2 Keimzeit: IrrenhausEine Textzeile wie „Irre ins Irrenhaus, die Schlauen ins Parlament / Selber schuld daran, wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt“ hätte in der Vorwende-DDR wohl eher kein Hitpotenzial gehabt. 1990 war das anders. Die Musik: Deutschrock der besseren Sorte.
3 Karussell: MarieKarussell waren schon lange Stars in der DDR, als sie zu gefälligem Rock à la Pur nicht durchweg euphorisch die Ereignisse des Novembers 1989 besangen. „Wir weckten die Pferde der Fantasie und trieben sie auf fremde Weiden“ muss man sich erst mal trauen.
4 Merlin: After The WarEs gibt gewiss Menschen, die traurig waren, als sich Merlin nach der Wende auflöste (ja Gott, auch Metal-Stücke über Zauberer und diverse Sagengestalten haben ihre Anhängerschaft ). Großer, epischer Quatsch, offensiv und breitbeinig vorgetragen.
5 Viper: Tomb of LiesMan kann nicht behaupten, dass die Band Viper viele Spuren im Netz oder sonst wo auf der Welt hinterlassen hätte. Traut man den wenigen Quellen, war sie im DDR-Underground recht beliebt und zeichnete sich durch fürchterlichen Gesang aus. Ja nun.
6 Skeptiker: Strahlende ZukunftEin Song, der nahelegt, dass man auch in der DDR die Dead Kennedroxette it must have beenys gehört hat. Dass so etwas in den Charts landet: alle Achtung. „Ich werd’ das Gefühl nicht los, dass man uns bescheißt“ – derart schlecht gelaunt pogten die DDR-Punks der Einheit entgegen.
7 Maschine & Männer: Du braver SoldatZwei Ex-Puhdys, drei weitere DDR-Musiker und ihr Lied über den Schießbefehl und diejenigen, die ihn befolgten. Der Song an sich ist nicht übel, aber leider ganz schlimm (über-)produziert.
8 Veronika Fischer: MedleyVeronika Fischer hatte die DDR 1981 verlassen und wohl nicht damit gerechnet, dass sie in ihrer Heimat noch einmal Erfolg haben würde. Den hatte sie 1990 mit einem ihrer Medleys, das heißt: mit wattigem Schlager-Pop plus Angeber-Hochglanzgitarre.
9 Rockhaus: Tanzen (mitten im November)Tja. Hm. Das Lied bedeutet vielen Menschen bestimmt sehr viel. Wenn man aber mal die Emotionen beiseite lässt und nur auf die Musik hört, dann bettelt man spätestens bei dem Gitarrensolo um Gnade. 1990 haben das offenbar nur wenige getan.
10 Herbst in Peking: BakschischrepublikHerbst in Peking erhielten 1989 Auftrittsverbot, sie hatten sich mit den Opfern des Massakers auf dem Platz des himmlischen Friedens solidarisiert. Ihre Antwort: eine Ohrfeige in Punkrock-Manier. Sogar DJ-Legende John Peel spielte die Single.
Welche Hits in Westdeutschland gespielt wurden, erfahren Sie hier:
Bundesrepublik 1990 Jahrescharts
1 Matthias Reim: Verdammt, ich lieb’ DichWeil niemand das von Matthias Reim (und dem Komponisten Bernd Dietrich) geschriebene Lied singen wollte, machte er es halt selbst – und landete einen internationalen Millionenseller. Mitgröl-Schlager-„Rock“ mit 80er-Jahre-Matte.
2 UB40: Kingston Town1970 nahm der Calypso-Künstler Lord Creator den Song „Kingston Town“ auf und hatte keine Ahnung, dass er damit den englischen Reggae-Weichspülern von UB40 ihren größten Hit in Deutschland bescherte. Bitte immer, immer das Original hören! Tipp.
3 Nick Kamen: I Promised MyselfJa, ja, die 80er. Nick Kamen zog sich in einem Werbeclip für Jeans bis auf die Unterhose aus, wurde daraufhin von Madonna gefördert und hatte seinen größten Erfolg 1990 mit einem Monument des sentimentalen Plastik-Pop. Das war es dann aber auch.
4 Die Wildecker Herzbuben: HerzileinEs wurde ja oft behauptet, dass die neue deutsche Biederkeit nach der Wende von Ostdeutschland ausging. Die Charts sprechen irgendwie dagegen. Zumal dieser Abgrund schunkelseliger Gemütlichkeit auch nicht aus Sachsen, sondern aus Hessen kam.
5 Sinead O’Connor: Nothing Compares 2 UEigentlich stammt dieses turbomelancholische Stück Musik ja von Prince, geschrieben für die von ihm gegründete Band The Family. Dann kam die irische Sängerin Sinéad O’Conor, sang das Lied sehr schön und weinte im Video. Der Rest ist Geschichte.
6 Snap!: The PowerKlassiker des Euro-Dance und ein weltweiter Hit. Mit der Kombination aus Dance und Hip-Hop legte das Frankfurter Produzenten-Duo die Basis für vieles, was in den 90ern die Club-Gänger zum Schwitzen brachte – und fast durchweg platter und billiger klang.
7 Roxette: It Must Have Been Love1990 war das Jahr, in dem die Liebeskomödie „Pretty Woman“ die Menschen dieser Welt magnetisch in die Kinos zogen. Roxettes Soundtrack-Beitrag klang mit seinen Synthie-Sounds noch so sehr nach den 80ern, wie Julia Roberts Frisur aussah.
8 Dusty Springfield: In PrivateIhren größten Hit in Deutschland hatte die englische Soul-Legende Dusty Springfield den Pet Shop Boys zu verdanken, die „In Private“ schrieben und produzierten. Wenn schon radiotauglichen Pop, dann bitte schön so: elegant und zeitlos.
9 P.M. Sampson & Double Key: We Love To LoveP. M- Sampson – ein in Deutschland stationierter US-Soldat, der nur hierzulande und in Österreich Erfolg hatte, und das auch nur im Jahr 1990. „We Love To Love“ verbindet aufs allerunschönstes 80er-Synthie-Pop mit eher unbeholfenem Rap.
10 Twenty 4 Seven feat. Captain Hollywood: I Can’t Stand It Schwarzer Mann rappt, weiße Frau singt – dieser Mix war im Eurodance-Genre sehr beliebt und führte im Laufe der 90er zu immer niederschmetternden Ergebnissen. Der erste Hit des niederländischen Duos Twenty 4 Seven ist dagegen fast noch erträglich.