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Eltern erzählenWie man dem Familienchaos das Beste abgewinnt

Lesezeit 10 Minuten
Familie mit vier Kindern 4

Mit vier Kindern am Küchentisch sind Organisationstalent und starke Nerven gefordert.

Ihr seid aber mutig!“ Oder: „Ihr müsst ja viel Kohle haben“ oder „Na, wenigstens kriegt ihr dann viel Kindergeld.“ Diese und ähnliche Statements hören Familien mit vier Kindern immer wieder. Mal deutlicher, mal durch die Blume. Aber auch: „Vier Kinder, das ist doch jetzt gerade in Mode. Großfamilien sieht man immer häufiger.“ Ist das tatsächlich so? Laut Statistik nicht, ganz im Gegenteil.

Der Prozentsatz von Familien mit vier Kindern ist zwischen 2005 und 2015 in Deutschland konstant geblieben: Es sind nur 1,6 Prozent, wie das Statistische Bundesamt vorrechnet. Konkret: Rund 126000 Vier-Kind-Familien gab es 2015 in Deutschland. Auch Elisabeth Müller, die Vorstandsvorsitzende des Verbandes Kinderreichen Familien bestätigt: „Es gibt in den vergangenen Jahren zwar tatsächlich wieder mehr Kinder in Deutschland, aber die meisten Familien haben nach wie vor ein oder zwei Kinder. Einen Trend zur Vier-Kind-Familie gibt es nicht, anders als von manchen behauptet.“ Mit konstanten 52 Prozent entscheiden sich die meisten Familien für ein Einzelkind. Wie immer die Familienplanung auch ausfällt: Sicher ist, mit vier Kindern ist definitiv mehr los im Haus.

Spätestens ab dem zweiten wird klar: Erziehung ist nicht alles

Wir haben mit drei Großfamilien gesprochen. Vor allem ihre Alltagsorganisation hat uns interessiert. Wie bewältigt man die Wäscheberge in einem sechsköpfigen Haushalt? Wie den Wocheneinkauf? Und bleibt da überhaupt noch Zeit für die Partnerschaft? Das Fazit: Nicht nur Organisation und Alltags-Management lassen sich von Vier-Kind-Familien abschauen, auch eine große Portion Gelassenheit. „Spätestens ab dem zweiten oder dritten Kind merkt man, dass Erziehung doch nicht alles ist. Dass jedes Kind bereits seinen ganz eigenen Bauplan und Charakter mit auf die Welt bringt und wir Eltern daran nur bedingt etwas ändern können.“ So zumindest die Feststellung von Familie Gockel-Nelißen aus Frechen. Eine Erfahrung, die auch Einzelkind-Eltern entspannen kann.

Je mehr Kinder, desto länger die Leine bei der Erziehung

Franz Nelißen und Annkathrin Gockel-Nelißen, vier Kinder (3,5,7 und 9 Jahre)

Annkathrin: Sobald unsere Kinder sicher im Straßenverkehr sind, müssen sie mit dem Fahrrad zum Fußball fahren und möglichst auch alleine zur Schule gehen. Die vielen Fahrdienste durch Verabredungen, die oft nicht deckungsgleichen Trainingszeiten, die Abholzeiten des Kindergartens oder der Tagesmutter sind ansonsten nur schwer zu koordinieren. Je mehr Kinder man hat, desto länger wird die Leine, an der man sie laufen lässt. Das Positive daran ist aber, dass die Kinder sehr früh selbstständig werden und für sich Verantwortung übernehmen müssen.

Es ist interessant zu sehen, wie die Geschwister untereinander Allianzen bilden, bei vier Kindern ändern sich laufend die Spielpartner- und partnerinnen. Die Kinder lernen viel von ihren Geschwistern, vor allem zu streiten und sich durchzusetzen, aber auch mit fürsorglichem Blick auf die Jüngeren zu schauen.

Unsere beiden Söhne schlafen jede Nacht gemeinsam in einem Bett, obwohl jeder auch sein eigenes Zimmer hat. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie sich kaum als Konkurrenten erleben, so unterschiedlich sind sie vom Charakter. Bei dem Bild der gemeinsam schlafenden Jungs sind wir immer wieder gerührt.

Franz: Unser Planungshorizont hat sich dramatisch verkürzt. Früher konnten wir Monate im Voraus planen. Heute wissen wir manchmal am Mittwoch noch nicht, was wir am Wochenende machen. Andererseits brauchen wir für die Kinderbetreuung eine ganz klare Organisation. Wir machen viel Kalenderplanung im Alltag, es geht immer um die drei Fragen: Wer bringt die Kinder weg, wer holt sie ab und was ist mit den anderen Terminen? Diese Woche müssen wir auf drei Elternabende gehen. Da wir beide berufstätig sind und keine Großeltern in der Nähe leben, sind wir auf eine Haushaltshilfe angewiesen. Sie kommt mehrere Tage in der Woche, nicht nur um sich um den Haushalt zu kümmern, sondern auch um sicherzustellen, dass die Kinder, falls sie krank sein sollten, an diesen Tagen auf jeden Fall versorgt sind. Unser ältester Sohn kann inzwischen auch schon mal eine Stunde allein zuhause bleiben, das macht vieles einfacher. Früher haben wir auch mal alle Kinder zu seinem Fußballtraining mitnehmen müssen.

Annkathrin: Die Mädchen gehen in den Waldkindergarten in Königsdorf, die Schulkinder an drei Tagen nach der Schule ebenfalls in die Nachmittagsbetreuung dort. Dadurch habe ich Planungssicherheit und kann an diesen Tagen bis 16 Uhr arbeiten. Der Kindergarten arbeitet nach dem Konzept der bedürfnisorientierten Pädagogik, das ist für uns überzeugend. So profitieren auch die Schulkinder noch sehr vom freien Spiel, dem Erleben der Jahreszeiten und der individuellen Ansprache durch die Erzieher und Erzieherinnen. Der Gewinn überwiegt in jedem Fall den Mehraufwand, der bei schlechtem Wetter einen hohen Gummistiefel- und Matschhosenverbrauch mit sich bringt. Aber auch ohne den Wald müsste ich täglich waschen, anders geht es im Sechs-Personen-Haushalt einfach nicht, zumal die Sportsachen auch noch dazu kommen. Über den Waldkindergarten haben wir viele Freunde und Bekannte gewonnen und konnten uns ein großes Netzwerk aufbauen. Oft nehmen wir andere Kinder aus dem Kindergarten oder der Schule mit zu uns oder andersrum.

Wir haben sehr schnell gemerkt: Wer viele Kinder hat, hat oft auch noch eine ganze Menge Freunde der Kinder zu Hause. Und sechs Familienmitglieder plus Freunde essen natürlich entsprechend viel. Unsere Lebensmitteleinkäufe sind beeindruckend. Eingeladen von anderen wird man als Großfamilie übrigens nicht mehr so häufig, viele kommen lieber zu uns. Verständlich: Wer will die ganze wilde Horde schon bei sich zu Hause haben?

Franz: Wenn man mehrere Kinder hat, wird klar, wie viel eigene Persönlichkeit sie mitbringen und wie wenig Einfluss wir als Eltern letztendlich auf sie haben. Trotz der gleichen genetischen Basis sind alle vier völlig unterschiedlich. Das relativiert die eigene Erziehungstätigkeit. Spätestens ab dem zweiten Kind merkt man, dass jedes seinen eigenen Grundcharakter hat.

Diese Einsicht hat uns als Eltern enorm entspannt. Das lässt einen weniger an den Kindern verändern wollen, weil sie eben so sind wie sie sind. Außerdem suchen sich Kinder auch ihre Nischen. Ein Sohn von uns ist gerade Koch, der andere eher Popstar. Geplant haben wir unsere Großfamilie übrigens nicht, aber auch nicht verhindert. Ich habe ja erst spät angefangen, Kinder zu bekommen. Früher als Student bin ich durch Frechen-Königsdorf gefahren und hab mir gedacht: So ein beschauliches Dorf, das wäre nichts für mich. Heute leben wir sehr gerne hier als Familie. Mit Kindern ändert sich eben so manche Einstellung zum Leben.

Was ich vor allem gelernt habe: Alles, was ich tue, hat Konsequenzen, und einen Preis muss man immer zahlen. Und man wird sich bewusst, dass man selbst nicht unendlich viele Kräfte zur Verfügung hat. Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wie einem die eigenen Kinder den Spiegel vorhalten und einem die eigenen Schwächen zeigen. Wenn ich zum Beispiel sage: „Du bist jetzt mal ruhig!“ Und dann zurückkommt: „Papa du bist doch gerade selber nicht ruhig.“

Das „dritte Kind“ waren Zwillinge

Franziska und Tom Schneider (Namen geändert), vier Kinder (3,3,5 und 6)

Familie mit vier Kindern 5

Franziska und Tom Schneider (Namen geändert) entschieden sich für ein drittes Kind – dann wurden es Zwillinge.

Franziska: Unsere Großfamilie war nicht unbedingt so geplant. Aber unsere ersten beiden Kinder waren so unkomplizierte Babys, dass wir uns auch noch gut ein drittes vorstellen konnten. Tja, und das waren dann eben Zwillinge.

Von der Organisation her ist bei uns schon alles „auf Kante genäht“. Wir haben keine Großeltern oder sonstige Familie in der Nähe, deswegen muss das ganze Familienleben im Alltag wirklich gut getaktet sein.

Wir bereiten am Abend immer schon alles für den nächsten Morgen vor, damit dieser reibungslos verläuft. Das heißt konkret: Alle Anziehsachen werden rausgelegt und die Schultasche wird fertig gepackt. Innerhalb einer Stunde müssen vier Kinder frühstücken und fertig gemacht werden. Das ist unsere Rush-Hour.

Die Kinder müssen sich auch selber anziehen. Die sind aber alle so daran gewöhnt, dass das in der Regel auch gut klappt. Richtig schlimm wird es nur, wenn etwas außer der Reihe passiert. Wenn die Kinder krank werden zum Beispiel. Dann kommen wir kräftemäßig schon an unsere Grenzen. Dann ist es uns auch schon passiert, dass wir nach einer langen Nacht nachmittags um drei auf dem Sofa eingeschlafen sind.

14 Maschinen Wäsche pro Woche

Ich arbeite montags bis 15 Uhr, dienstags und mittwochs bis 14 Uhr und freitags bis 13 Uhr. An zwei Tagen komme ich eine Stunde früher als die Kinder nach Hause. Da habe ich dann ein bisschen Zeit. Die verbringe ich aber meistens mit Haushaltsarbeiten, weil so viel anfällt.

Wir müssen hier jeden Tag aufräumen und putzen. Ich wasche jeden Tag zwei Maschinen, die bereite ich schon immer abends vor und stelle sie morgens dann nur noch an. Dass wir beide arbeiten gehen, daran führt kein Weg vorbei. Wir wohnen in Köln in einem Haus zur Miete und jeden Monat geht allein ein ziemlich großer Batzen an Fixkosten weg. Das Tolle ist, dass wir sehr viel Glück mit unserer Kita haben. Mit der Einrichtung sind wir mehr als zufrieden, das erleichtert unser Leben sehr.

Im Alltag erleben wir es oft so, dass wir als Exoten betrachtet werden. Es sagt natürlich in der Regel niemand was, aber es wird schon gerne geguckt. Manchmal auch auf uns gezeigt. Die Leute erwarten einfach nicht, dass wir als Akademiker-Paar vier Kinder haben.

Insgesamt wird aber alles einfacher, je älter und selbstständiger die Kinder werden. So anstrengend es auch ist mit vier Kleinen zu Hause, es hat auch viele Vorteile, dass sie so nah beieinander sind. Inzwischen können sie schon richtig gut miteinander spielen. Manchmal zumindest.

Für Mitarbeit im Haushalt gibt’s Geld

Nicole Borghard und Stephan Altengarten, Patchworkfamilie,fünf Kinder (5,13,13,17 und 18 Jahre)

Neuer Inhalt

Eltern Nicole Borghard und Stephan Altengarten mit vier ihrer Kinder.

Nicole: Morgens wissen wir oft noch nicht, wie der Tag enden wird. Natürlich braucht man ein Grundgerüst an Organisation, aber muss trotzdem jederzeit flexibel reagieren können. Mit vielen Kindern lebt man daher eher kurzfristig. Letztens haben wir eine Einladung für eine Feier in sechs Monaten bekommen, da wissen wir jetzt noch gar nicht, was bis dahin ansteht. Eins ist klar, wenn man viele Kinder hat, müssen diese zwangsläufig schneller selbstständig werden. Das geht gar nicht anders. Wir Eltern bekommen von den Kindern dann auch schon mal zu hören: „Es war nicht unsere Idee so viele Kinder zu haben, jetzt müsst ihr eben schauen, wie ihr das organisiert.“

Mein Tag beginnt regelmäßig sehr früh, damit ich früh im Büro bin, um die Kinder, insbesondere vom Kindergarten pünktlich wieder abholen zu können. Stephan stellt sicher, dass die Großen zeitig zur Schule kommen und bringt den Jüngsten zum Kindergarten. Entsprechend spät startet er dann im Büro und kommt abends erst sehr spät nach Hause. Als Beamtin habe ich flexible Arbeitszeiten und kann auch teilweise von zu Hause aus arbeiten, das ist ein großer Vorteil. Unsere älteren Kinder sind inzwischen schon sehr eigenständig, am Wochenende sind inzwischen sie es, die ausgehen und nicht wir Eltern. Seit einiger Zeit machen wir auch keinen kompletten Familienurlaub mehr zusammen, weil die Großen schon alleine fahren. Unser 13-Jähriger babysittet inzwischen ganz gerne, weil er dafür Geld bekommt.

Kleinen lernen von den Großen

Generell spornen wir die Großen zur Mitarbeit im Haushalt dadurch an, so dass sie sich hier für die Übernahme einzelner Tätigkeiten etwas dazu verdienen können. Das haben wir irgendwann eingeführt, weil die Jungs sich vorher sehr zurückgehalten haben und das Mädchen viel gemacht hat. Dann haben wir gemerkt, dass das so nicht wirklich funktioniert. Jetzt läuft es so: Wer viel tut, der kriegt auch mehr Taschengeld. Wer wenig tut, der bekommt weniger.

Daneben stellen wir fest, dass sich die Kleinen schon stark an den Großen orientieren. Sie lernen nicht nur schneller sprechen und laufen, sie profitieren auch im Sozialverhalten. Familienfeiern wie Weihnachten und Silvester finden inzwischen meist bei uns statt. Einerseits ist es aufwändig, mit so vielen Kindern herumzureisen und andererseits will nicht jeder diese Zahl an Leuten bei sich zu Hause haben. Ich gebe zu: basteln mit meinem jüngsten Kind, das geht momentan gar nicht mehr. Das finde ich schon ein bisschen schade, denn das habe ich mit den Älteren früher deutlich öfter und intensiver gemacht. Manchmal bekomme ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich sehe, was andere Mütter mit ihren Kindern alles machen und tun. Aber dafür profitieren unsere Kinder ja untereinander sehr voneinander.

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