AtemtherapieRichtig atmen reinigt den Kopf

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Die Konzentration auf den Atem leert den Kopf und macht ihn frei. Veruschka Vennebusch (r.) nimmt die Autorin mit auf eine Reise durch den Geist.

Die Konzentration auf den Atem leert den Kopf und macht ihn frei. Veruschka Vennebusch (r.) nimmt die Autorin mit auf eine Reise durch den Geist.

Der Grüne Tee dampft auf dem Schreibtisch vor dem Fenster, im Körbchen in der Ecke warten dicke Wollsocken, zwei Stühle stehen sich in der Mitte des Raumes gegenüber, neben einem steht eine Packung mit Taschentüchern. Die hohen Fenster lassen das Tageslicht in den Raum mit der hohen Stuckdecke. Veruschka Vennebuschs „Behandlungsraum“ in ihrer Wohnung in der Kölner Südstadt wirkt angenehm aufgeräumt. Der Blick wird nicht abgelenkt, höchstens von den Büchern in der bis unter die Decke reichenden Regalwand.

Die eigenen Ressourcen aktivieren

„Die Atemtherapie ist keine Therapie im üblichen Sinne. Ich gehe nicht davon aus, dass dem Klienten etwas fehlt. Es geht vielmehr darum, die eigenen Ressourcen zu aktivieren, um sich selbst zu heilen“, so Vennebusch. Wer weiß, was sich da so alles findet, denke ich und schließe in gespannter Erwartung die Augen – meine Beine sind rechtwinklig aufgestellt, die Füße plan auf dem Boden, Hände auf den Knien. So sitzt doch kein Mensch, schwirrt mir noch durch den Kopf, aber schon geht’s los. Die sanfte Stimme der Therapeutin nimmt mich an die Hand.

Die indische Philosophie, die Übungen für Körper und Geist umfasst, ist in den 1970er Jahren im Westen angekommen. Die verschiedensten Richtungen (von Lach- bis Power-Yoga) sind heute erlernbar. Yoga erfreut sich nicht zuletzt dank prominenter Protagonisten enormer Beliebtheit. Durch die Konzentration auf das Atmen und das Ausführen von Bewegungsabfolgen ergibt sich beim Yoga ein meditative Element.

Ebenfalls aus den 1930er Jahren stammt die Methode des amerikanischen Arztes Edmund Jacobson. Jacobson erkannte, dass eine übermäßige muskuläre Anspannung Begleiterscheinung vieler Krankheiten sowohl physischer als auch psychischer Natur ist. Mit dem gezielten An- und Entspannen von Muskelgruppen lässt sich dieser Anspannung entgegenwirken und eine verbesserte Körperwahrnehmung erreichen. Die Methode ist praktisch überall anwendbar.

Meditation ist zentraler Bestandteil fernöstlicher Religionen wie Hinduismus und Buddhismus. Die höchste Stufe der Meditation ist das Nirwana, die Erleuchtung. Die christliche Entsprechung ist das Gebet. Jenseits religiöser Kontexte spielt die Meditation heute im Rahmen von Achtsamkeits- und Wahrnehmungsübungen eine große Rolle. Es geht darum, den Kopf zu leeren, die Gedanken loszulassen, sich zu versenken und so den Geist zu beruhigen.

Der Medizin-Professor Jon Kabat-Zinn ist der Gründer der Stress Reduction Clinic an der University of Massachusetts. Er hat den Begriff der „Mindfulness“, der Achtsamkeit, geprägt, der derzeit allgegenwärtig zu sein scheint. Seine Methode kombiniert Atemübungen, Yoga und Meditation. Das Ziel ist es, Menschen in die Lage zu versetzen, aus eigener Kraft besser mit Angst, Krankheit und Stress umzugehen.

Das Qi (Tschi) ist die Lebensenergie, die nach der Lehre der Chinesischen Medizin frei fließen können soll. Qigong bedeutet frei übersetzt: Arbeiten mit der Lebensenergie. Die mehrere Jahrtausende alte „chinesische Heilgymnastik“ wird oft im Freien praktiziert und umfasst eine Vielfalt verschiedener Übungen, bei denen Kräftigung, Dehnung und Koordination praktiziert werden. Die Bewegungen werden langsam und im Stehen ausgeführt. Das übt den Gleichgewichtssinn und eignet sich für ältere Menschen als Sturzprophylaxe.

Autogenes Training wurde in den 1930er Jahren von dem Berliner Psychiater Johann Heinrich Schultz entwickelt als ideologieneutrale Alternative zu fernöstlichen Meditationsmethoden. Grundlage des autogenen Trainings ist die Annahme, dass sich jeder Mensch selbst positiv beeinflussen kann. Die Auto-Suggestion wird mit Hilfe von Formeln wie „Ich bin ganz gelassen“ oder „Mein rechter Arm wird schwer“ ausgeübt. Es kann im Liegen oder Sitzen erfolgen. Erlernt wird es meist in der Gruppe, später kann es individuell angewendet werden. Eignet sich für Menschen mit Schlafproblemen.

„Spüre deinen Atem. . .  lass die Gedanken kommen und gehen. . .  halte sie nicht fest. . .  sie sind wie Wolken am Himmel. . .  sowieso da. . .  halte sie nicht fest, lass sie zu und bewerte sie nicht. . .“ Tatsächlich gelingt es mir nicht, komplett abzuschalten, die Gedanken schweifen, am Anfang gibt es gar eine Paniksekunde. Von 1000 Alltagsumdrehungen auf 0 zu reduzieren, das halte ich nicht aus. Ich muss doch noch das und das und das. . .  Vennebuschs sanfte Stimme fängt mich wieder ein. „Spüre, wie dein Atem die Nase verlässt und die Oberlippe streift. . .  Jetzt mal tief in den Bauch atmen. . .  wie ein Kind. . .  die Rippen weiten sich. . .  Der Atem wird verbunden. . . “ Die Atmung soll fließen, die ruckartige Flachatmung, wie ich sie im Alltag oft praktiziere, ist tabu, aber ich kann mich nur schwer davon lösen. Einfach atmen ist gar nicht leicht. Das ist wie mit dem Wohnen. Wann tut man das schon, einfach so?

„Nimm die Anstrengung an“

„Anstrengend“, sage ich dann auch auf die Frage, wie sich das anfühlt. „Nimm die Anstrengung an, umarme sie wie ein weinendes Kind, versuche nicht, sie wegzumachen“, begleitet mich die Stimme weiter und in der Tat, ich fühle mich bald besser. Vielleicht weil ich an meinen kleinen Sohn denken muss.

„Liebevolles Wohlwollen ist ein Kerngedanke bei der Atemtherapie“, klärt mich Vennebusch auf, als ich die Augen nach 50 Minuten öffne. Widerwillig, denn das Nicht-Hinsehen, Nicht-Reagieren müssen tat gut. Der Alltag tritt trotz unaufhaltsamen Gedanken in den Hintergrund, das Atmen wird zum Selbstzweck. Irgendwie habe ich das zum Schluss ganz gut hinbekommen – und genossen.

„Atmen ist wie Surfen“, sagt Beate Korioth, Yoga-Lehrerin aus Köln und wie Vennebusch Atemtherapeutin. „Die Basis beim Yoga ist Atmen“, sagt sie, „das reine Atmen führt zu noch tieferer Entspannung.“ Diese Art der Meditation helfe, sich Klarheit zu verschaffen und den Geist zu reinigen – das Ziel aller fernöstlich inspirierten Meditationen, aus denen sich die Atemtherapie speist. Die nehmen Angst- oder Schmerzpatienten in Anspruch, aber auch Asthmatiker – als Ergänzung zur medikamentösen oder psychologischen Behandlung.

Einfach mal innehalten

„Man lernt, den Schmerz anzunehmen, wohlwollend, nicht wütend“, sagt Vennebusch, die selber oft mit Nackenschmerzen zu tun hatte. Aber auch Menschen, denen es gut geht, wollen richtig Atmen lernen. „Wie beim Yoga, kommt das Denken dabei zur Ruhe“, sagt Korioth. „Wir waschen uns ja auch die Hände, weshalb nicht auch regelmäßig den Kopf?“ Das, was in der Atemtherapie gelernt wird, soll im Alltag zum Tragen kommen.

Einfach mal innehalten, sich auf das Atmen konzentrieren, das könne helfen mit Stresssituationen im Job, zu Hause oder an der Supermarktkasse besser klarzukommen. Innehalten, atmen.

Der Umgang mit Stress ist etwas, was derzeit großen Anklang findet. Monika Heiligtag von der Volkshochschule Köln kann sich über mangelnde Nachfrage nicht beklagen. „Gerade Yoga und Qigong erfreuen sich großer Beliebtheit. War vor zehn bis 20 Jahren noch Autogenes Training angesagt, empfehlen auch Ärzte immer häufiger fernöstliche Entspannungstechniken“ – das hat Heiligtag in der Praxis beobachtet.

Welche Art der Entspannung für den einzelnen tatsächlich richtig ist, versucht Monika Heiligtag in Einzelgesprächen herauszufinden. „Was für die beste Freundin funktioniert, muss noch lange nicht für mich gelten“, sagt sie – denn: „Entspannung ist Typsache.“

Homepage von Veruschka Vennebusch

www.jetzt-atmen.de

Beata Korioth

www.vishnuscouch.de

www.vhs-koeln.de

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