Puffreis, Kokosbälle, PopcornDiese Kamelle hassen und mögen wir

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Kamelle

War es vergangenes Jahr nicht schon fast April, als ein Kollege die letzten Reste in die Redaktion brachte? Die letzten Reste komisch aufgepuffter Massen, Verpackungen mit fragwürdigen Inhaltsangaben, dubiose Riegel-Nachbauten, ewigem Puffreis, verbeulter Schoki-Tafeln, deren Verfallsdatum weit in der Vergangenheit lag. Bürogemeinschaften bestehen bekanntlich aus Allesfressern. Irgendwann schaltet die Unterzuckerung den Verstand aus, dann geht auch der ausgelatschteste Mäusespeck weg.

Manches bleibt trotzdem liegen, so toxisch erscheint das Produkt, vor allem, wenn es aus dem Fundus stammt, den Familien erst in Mengen von den Zügen wegschleppen, die mehrere Überseekoffer füllen, und dann – zum Schutz der Kleinen – den ganzen Kram an ihre Mitmenschen verfüttern wollen, um dem Gram der Lebensmittelentsorgung zu entgehen. Danke dafür!

Diese Erinnerung haben wir zum Anlass genommen, unsere liebsten und verhasstesten Wurfmaterialien zu porträtieren. Von 2018 war gottlob nichts mehr da. Aber wir gedenken mit kollektivem Gram der Lebensmittelentsorgung en gros in den Papierkörben – und bald ist es ja wieder so weit.

Kokosbälle

Höchstens zum Tauschen

Kokosbälle Kamelle Klemens

Zugegeben, ich musste mich erst einmal nach dem genauen Namen erkundigen: Kokosbälle heißen sie. Sie sind rosa, orange und gelb, sechs Zentimeter lang, drei Zentimeter hoch, leicht gerundet wie ein Brötchen, in Plastiktüten einzeln verpackt. Farbig  und federleicht, eigentlich kein Grund, sich abzuwenden.

Aber dann der Biss, das Bällchen bröckelt, an den Zähnen bleibt das Innere, diese Masse aus Zucker und Eiweiß, leicht kleben. Ein extrem zuckrig-dumpf-muffiger Geschmack; Angst, das Bällchen  könnte sich wie Bauschaum um das Siebenfache ausdehnen – dieser Geschmackstest blieb in schrecklicher Erinnerung und weckte in mir ein Bedürfnis, nein, die Notwendigkeit, einem Erstickungstod durch das Zuführen von viel Flüssigkeit entgegenzuwirken.

Wann immer seitdem vom Karnevalswagen diese Zuckerhandgranaten in meine Richtung trudeln – fürs richtige Fliegen oder Gleiten sind sie schlicht zu leicht –  geh’ ich in Deckung, versagt mein Fangreflex, lass’ ich das ungeliebte Wurfmaterial an mir  vorbeisegeln. Tja, und dass gerade die Kokosbällchen auffallend zahlreich vor dem Bordstein zerbröselt  zurückgelassen werden – nein, das ist keine Wahrnehmungsverzerrung. Die bunten Bröselreste fallen mir sofort auf.  Was mich  übrigens in meiner Abneigung bestätigt: Auch meine Kinder hatten umgehend eine Abwehrhaltung entwickelt. Kokosbällchen – die übrigens überhaupt kein Verfallsdatum zu haben scheinen –  wurden höchstens als Tauschobjekte  gesammelt. – Von Thomas Geisen

Puffreis

Wie bunt darf Essen sein?

Puffreis karneval kamelle

Erst probieren, dann urteilen, predige ich meinem Sohn – und halte mich dann ganz offensichtlich selbst nicht dran. Aber wer möchte schon quietschbunte Kügelchen essen, die aussehen als wären sie aus Styropor? Ok, mein Sohn möchte. Und ich versuche jedes Jahr, ihn davon abzuhalten. Das bunte Zeug schreit mich mit seinen Signalfarben schließlich geradezu an: Ich bin potenziell giftig! Bestimmt habe ich es  irgendwann mal probiert. Aber das muss sehr, sehr lange her sein. In meiner Erinnerung ist es furchtbar süß und erst knusprig, dann pappig auf der Zunge.

Eine Kollegin klärte mich jedoch auf, dass Puffreis, und sei er noch so bunt, eigentlich nach gar nichts schmecke. Ist aber auch vollkommen egal –ich werde ihn nicht essen. Ich verstehe natürlich, warum Puffreis ein beliebtes Wurfmaterial beim Zug ist: Billig im Einkauf, leicht (deshalb geringe Verletzungsgefahr) und quietschbunt wie Karneval halt ist.

Landet eine Packung davon in unserem Einzugsgebiet am Zugrand, hoffe ich insgeheim, dass mein Sohn sie nicht entdeckt. Tut er das doch, muss ich strategisch klug vorgehen. Das Zeug direkt zu entsorgen führt zu langen Diskussionen. Also tue ich, was eine gute Mutter tut: Ich infiltriere das Kind und rate ihm jedes Mal, wenn es in die Süßigkeiten-Schüssel greifen darf, zu etwas weniger buntem. Bis die fiesen Reste in Vergessenheit geraten. Dann setze ich sie meinen Kollegen vor. Das ist nicht so gemein wie es klingt, denn erstens sind Geschmäcker ja verschieden. Und zweitens tun die Kollegen das gleiche. – Von Jasmin Krsteski

Popcorn

Leichte Beute

Popcorn

Die Enttäuschung war meistens groß. Schokolade, Mäusespeck, bunte Zucker-Röllchen: Fast immer sah die Beute beim Karnevalszug in den 1970er Jahren leckerer aus, als sie war.  Die Schokolade schmeckte nach fast gar nichts und klebte an den Zähnen. Kaubonbons waren hart, bröselig oder hatten ein furchtbares Aroma. Am schlimmsten waren die „Klümchen“: Gleich, ob Ananas, Zitrone oder Kirsche auf dem Papier, immer bekam man spätestens nach zwei Bonbons eine wunde Zunge.

Eine Ausnahmen gab es jedoch, ein wirkliches Highlight und schon damals heiß begehrt:  Tütchen mit Popcorn, das wohl leichteste Wurfmaterial überhaupt. Nicht zu süß (im Vergleich zu anderen Kamelle), fast immer noch frisch, wenn gefangen, schmeckte das Popcorn genau so, wie es sollte. Und heute, Jahrzehnte später? Freue ich mich immer noch, wenn ich solche Tütchen ergattere. Kleine Portionen, und fast immer  frisch. – Von Ina Sperl

Funny Burger

Mit echter Rindergelantine

burger kamelle

Vergesst Goldtaler, Popcorn und Puffreis! Vergesst Brause-Brocken, Kokosbälle und all die Schokolädchen und Bonbons, die die Zoch-Teilnehmer euch andrehen wollen! Wenn ihr ganz großes Glück habt und die Auserwählten auf der Straße euch gut gesonnen sind, werfen sie euch nämlich einen Burger zu. Wie genial ist das denn?  Ich weiß auch genau, wann und wo damit geworfen wird: Am Sonntag in Brück. Da ist mein Kollege Christian unterwegs. Er hat mir verraten, dass er mit einer Süßigkeit namens Funny Burger das Volk beglücken wird, und hat mich probieren lassen.

Die oberste Schicht schmeckt fad, aber sie imitiert ja auch ein Brötchen. Eine leichte Süße schmecke ich heraus. Die grüne Mitte – der Fruchtgummi-Salat – bereitet schließlich den Weg für das Highlight: das rotsüße Fleisch-Gummi-untere-Brotscheibe-Gemisch mit echter Rindergelatine. Am besten schmeckt der Funny Burger, wenn man in alle drei Schichten auf einmal beißt. Natürlich ist ein saftiger Burger vom Grill noch immer am leckersten, aber im Zoch nimmt man, was man kriegt. Und da gehört der Funny Burger zum Besten. Ihr solltet nach Brück gehen und den Zoch gucken. Und wenn ihm euer Gesicht gefällt, schnippt Christian euch mit einem gönnerhaften Lächeln dann vielleicht auch einen Gummi-Burger in den Kamelle-Büggel. – Von Hendrik Geisler

Schokotaler

Perfektes Karnevals-Blingbling

taler kamelle klemens

Die Kehrseite der Medaille war stets ihr mediokrer Inhalt. Aber das war natürlich erstmal zweitrangig. In taschengeldfreien Zeiten, Zeiten, in denen man sich noch mit den wirklich wichtigen und bereichernden Dingen abgeben konnte, war ein Schokotaler ein Schatz. Viele Schokotaler waren das Paradies. Auch meine Kinder lassen jetzt die Münzen in Schachteln und Dosen verschwinden und hüten sie glücklich. Der Inhalt interessiert sie eigentlich nicht.

Und so kommt es, wie es auch zu meiner Schatzsuchezeit halt kommen musste. Das Münzwerk kommt in die Jahre, der Inhalt verliert stetig an Wert. In ganz mageren Zeiten, wenn die Süßigkeitentüte absolut nichts Begehrenswertes mehr hergibt, schält man dann den Alu-Einschlag ab. Ganz sorgfältig, damit das Bling keinen Knick bekommt, schließlich kann man die beiden Hälften später wieder zusammensetzen. Aber die Schokolade hat längst ihren Glanz verloren, schmeckt fad und matt. Am besten, man lässt die Dinger wie sie sind und hütet weiter. – Von Maria Dohmen

Brause-Brocken

Waldmeister mit Prickelfaktor

brause

Es britzelt so schön auf der Zunge,  lässt man diese dicken Brocken ganz langsam darauf zergehen. Der Mund ist voll. Voll prickelnden Glücksgefühls in Süßsauer. Wie früher am Kiosk, wenn man für einen Groschen fünf saure Drops aus dem großen Glas fischen durfte. Die Zuckerschocker zum Quadrat firmieren unter der Flagge des deutschen  Brausepulverspezialisten Ahoj, der mit dem kleinen Matrosen im Logo – und haben mindestens so viel Kultcharakter wie  echte Coca-Cola. Mit ganz viel Zucker drin. Pro Brocken (acht Gramm) 1,3 Prozent des Tagesbedarfs einer 35-Jährigen Frau.  Genießer können sich also ruhig ranhalten.

Die Brocken fliegen von gut bestückten Prunkwagen und sollten nicht zu lange auf nassem Boden liegen, damit es keine vorzeitigen Auflösungserscheinungen noch vor dem Auswickeln aus dem hübschen Papierchen gibt.  Zwar gibt es sie in den Geschmacksrichtungen Waldmeister, Zitrone, Orange und Himbeere. Für den wahren Brausefan kann es aber  nur  einen Favoriten geben: Waldmeister. Schon wegen der Farbe. Wie beim Wackelpudding führen Experten darüber heftige Richtungskämpfe. – Von Katrin Voss

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