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Gönn dir statt VerzichtWarum wir lieber wieder mehr genießen sollten

Lesezeit 7 Minuten
Lachende Frau isst Schokokuss

Bitte nicht immer so streng mit sich selbst sein.

Ausgerechnet im tristen Januar ist Verzichten besonders angesagt. Dabei raten Psychologinnen: Gönnen Sie sich lieber mal was! Warum das erfolgversprechender sein kann.

Der Genuss hat einen schlechten Ruf, im Januar gilt das besonders. Ausgerechnet im grässlichsten Monat des Jahres, wenn es draußen, nass, kalt und dunkel ist, fassen die Menschen auch noch allerlei Verzichts-Vorhaben. Inzwischen hat das Event-Charakter, aus dem Vorsatz ist eine Challenge, quasi ein Wettbewerb geworden. Ganze Freundeskreise tun sich zusammen, mindestens einen Monat lang kein Alkohol, keine tierischen Produkte, kein Zucker, jeden Tag Sport.

Alexandra Eul

Alexandra Eul

Redakteurin im Ressort Magazin, Ratgeber und Freizeit. Im Rahmen des Arthur F. Burns Fellowship hat sie 2017 aus Kanada berichtet. Als eine der Medienbotschafter Indien-Deutschland der Robert Bosch St...

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Das Reizvolle daran sei genau dieses Gemeinschaftliche sagen die, die beim „Dry January“ oder der „30 Tage Yoga Challenge“ dabei sind. Wer mit seinem Vorhaben nicht allein ist, hält besser durch, sagen auch Gesundheitsexperten. Allerdings entfällt so die Option, den guten Vorsatz einfach so über Bord zu werfen. Was etwa die Hälfte derer tut, die einen gefasst hat, ergab eine Umfrage von DAK und Forsa. Challenge accepted? Challenge cancelled! Wissen Sie was? Ist gar nicht schlimm!

Warum für manche der Januar einfach nicht der richtige Monat zum Verzichten ist

Wie erfolgreich solche Verzichtsvorhaben Anfang des Jahres sind, ist nämlich Typsache. Für die einen ist der frische Start besonders motivierend, erst recht nach den genuss-verwöhnten Weihnachtstagen. Anderen schlägt die Tristesse des Winters so auf das Gemüt, dass jeglicher Antrieb fehlt. „Um ein Ziel zu erreichen, brauchen wir aber positive Emotionen“, erklärt die Psychologin Katharina Bernecker von der Universität Zürich. Hedonismus und Genuss sind ihr Fachgebiet. Sie rät: Wer im Januar ohnehin bedrückt ist, sollte seine Vorhaben lieber ins Frühjahr oder in den Sommer legen.

Das Neujahrsfest als ein zentraler Bezugspunkt für Veränderung ist geschichtlich betrachtet ohnehin recht neu. Lange Zeit seien es vor allem die Religionen gewesen, die Normen für das angenommene gute Leben vorgegeben hätten, erklärt der Kulturwissenschaftler Helmut Groschwitz, Experte für immaterielles Kulturerbe an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Der Verzicht im Diesseits war ein Weg, im Jenseits belohnt zu werden. Gute Vorsätze waren damit keineswegs auf den Jahreswechsel beschränkt. Übergangszeiten, zu denen Menschen sich ein gottesfürchtigeres Leben vornahmen, gab es gleich mehrere im Jahr, oft vor wichtigen religiösen Festen. Auch im Rheinland wird die Fastenzeit vor Ostern bis heute begangen.

Erst mit der Säkularisierung ab dem 18. Jahrhundert wurden solche religiösen Motive dann zunehmend durch den Gedanken der Selbstoptimierung abgelöst, erklärt Groschwitz weiter. Geblieben ist die zugrundeliegende Motivation: „Termine, an denen etwas endet und etwas Neues anfängt, sind immer mit einer Unsicherheit verbunden – und mit dem Wunsch, dass das, was als Nächstes kommt, gut sein wird.“ In diesen Krisenzeiten gilt das ganz besonders.

Warum es bei guten Vorsätzen schon lange nicht mehr nur um Selbstoptimierung geht

Das Verhältnis von Genuss und Verzicht ist zudem immer schon politisch gewesen, auch als ein Mittel, um Menschen auf ihren Platz in der Gesellschaft zu verweisen. Wer augenscheinlich genießen durfte, hatte Macht. Wobei das komplizierter geworden sei, sagt Groschwitz. Der erklärte Verzicht ist inzwischen ebenso ein Merkmal von Wohlstand und Einfluss. Der Gedanke der Nächstenliebe spielt dabei genauso eine Rolle, wie das Gefühl, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen.

Denn es geht ja schon länger nicht mehr nur darum, es durch gute Vorsätze für sich selbst besser zu machen. Hinzu kommt das Anliegen, es für alle anderen, die ganze Welt zu tun. Übermäßiger Fleischkonsum ist nachweislich nicht nur schlecht für die Gesundheit, sondern auch schlecht für das Klima. Wo heute die Plantage steht, aus der das Palmöl in der Schokolade stammt, war früher Regenwald. Mit dem Flieger in den Strandurlaub, mit dem Auto ins Grüne, mit den Freunden zum Shoppen – vieles, was Menschen mit Genuss und Auszeit verbunden haben, steht heute (völlig zurecht) in der Kritik. Weil für die Erfüllung dieser Bedürfnisse viel zu oft Menschen, Tiere, der Planet ausgebeutet werden. Stellen sich die Fragen: Bleibt da überhaupt noch etwas übrig, dass ich gedankenlos genießen kann? Und angesichts der desolaten Weltlage: Geht das gerade überhaupt? 

Eine Antwort auf die erste Frage ist kompliziert, weil Menschen eben Unterschiedliches genießen. Die einen denken an einen guten Wein, ein leckeres Schnitzel, an Schoko-Eis oder Chips auf der Couch. Andere sehnen sich eher nach Sonne und Luft, einer Fahrradtour mit anschließendem Sprung in den See. Für wieder andere besteht der größte Genuss darin, einfach nichts zu tun. Leichter lässt sich die zweite Frage beantworten: Ja, das geht, das muss sogar gehen! Vielleicht sogar ganz besonders an tristen Wintertagen und in Krisenzeiten. Die Genussfähigkeit, belegen psychologische Studien, ist ganz entscheidend für ein zufriedenes und ein als erfolgreich empfundenes Leben.

Dabei galt in diesem Zusammenhang lange die Selbstkontrolle als ausschlaggebend. Also die Fähigkeit, kurzfristig auf etwas zu verzichten, um ein langfristiges Ziel zu erreichen. Psychologische Untersuchungen schienen zu belegen, dass Willenskraft davor schützt, kriminell oder drogenabhängig zu werden. Und dafür sorgt, glücklichere Beziehungen zu führen und beruflich wie finanziell besser dazustehen. Im Gegensatz dazu stünden selbst harmlose Freuden fast überall auf der Welt unter Verdacht, diese Selbstkontrolle zu unterlaufen, in Kontrollverlust zu münden und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gefährden, analysierte erst kürzlich ein Psychologen-Team der Université Paris Sciences et Lettres.

Warum wir nicht immer so streng mit uns sein sollten und ganz zu verzichten so selten funktioniert

Die Selbstdisziplin hatte also im Gegensatz zum Genuss immer schon einen hervorragenden Ruf, und darin besteht auch der Reiz für viele Verzichts-Vorhaben Anfang des Jahres. Denn die Selbstkontrolle, das beruhigende Wissen verzichten zu können, mache Menschen ja in der Tat zufriedener, sagt die Psychologin Katharina Bernecker. Disziplinierte Menschen seien nur in der Folge nicht automatisch erfolgreicher als Genussmenschen. „Es geht vielmehr um eine gesunde Balance. Genuss und Verzicht gehören für ein erfülltes Leben untrennbar zusammen.“

Sich einem harmlosen Genussmoment hinzugeben, kann die Fähigkeit zur Selbstkontrolle sogar stützen. Weil der Verzicht leichter fällt, wenn Menschen gleichzeitig auch etwas für ihr Wohlbefinden tun. Unterdrücktes Verlangen, auch das haben Studien ergeben, mündet hingegen oft in Kontrollverlust. Besonders dann, wenn die Gedanken nur noch um diese eine Sache kreisen, die als verboten gilt. Bekannt ist das vor allem aus Untersuchungen zum Ernährungsverhalten. Hier gehen Forschende davon aus, dass eine übermäßige Selbstkontrolle sogar hinderlich sein kann. Was hilft, sind Essgewohnheiten, die das ständige Gefühl des Verzichts überflüssig machen. Wer sich etwas Leckeres kocht und dann auch noch Zeit nimmt, isst nachweislich kleinere Portionen.

Aber genau diese Fähigkeit, Genuss im Hier und Jetzt zu erleben, ist vielen abhandengekommen, haben Bernecker und ihr Team herausgefunden. Anstatt eine Auszeit zu genießen, werden wir von unseren Verpflichtungen und unserem schlechten Gewissen eingeholt. Bernecker plädiert stattdessen dafür, dass die Menschen nicht immer so streng mit sich sein sollten, besonders wenn sie scheitern. „Es gibt das Konzept der Self-Compassion, des Selbstmitgefühls, das den Gedanken beinhaltet, mit sich selbst umzugehen wie mit der besten Freundin.“ Der würde man ja auch nicht vorwerfen: Schon wieder nicht geschafft, du hast ja gar keine Willenskraft!

Bleibt die Frage: Wie können wir noch guten Gewissens genießen? Katharina Bernecker glaubt, dass die Antwort auch davon abhängt, ob man überhaupt empfänglich für solche Zweifel ist. „Es gibt Menschen, die haben diese negativen Gedanken gar nicht.“ Alle anderen müssten nach Genussmomenten suchen, in denen sich das schlechte Gewissen im Rahmen hält. Durch kleine Schritte im Alltag, wie zum Beispiel Ja zum Schokolade naschen sagen, dann aber wenigstens Fairtrade-Ware kaufen. Oder einmal im Monat die fette Pizza mit allem Drum und Dran gönnen, aber vielleicht selbstgemacht und mit guten Zutaten. Am Ende geht es wie so oft um das richtige Maß, sagt die Psychologin. „Viele verwechseln Genuss mit Überfluss. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wenn Sie jeden Tag Pizza essen, hat das mit Genuss nichts mehr zu tun. Im richtigen Maß ist Genuss nicht nur vereinbar mit unseren individuellen Zielen, sondern auch mit dem Schutz unseres Planeten.“ Es ist ja nicht der Genuss, sondern der Überfluss, der schadet.

Tipps für Genussmomente in Köln haben wir hier für Sie gesammelt.

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