Selbstversuch mit Küchenmaschine von VorwerkWie gut ist der Thermomix wirklich?

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Köln – Sie müssen sich das so vorstellen: Ich bin 36 Jahre alt, haushaltsmäßig nur mittelinteressiert, aber ich muss: Ich habe zwei kleine Kinder, die essen wollen. Ich habe aber auch einen Job und mehrere Hobbys, also wenig Zeit. Die Fotografin, die mich zum Vorstellungstermin des Thermomix begleitet, ist 37, lebt in einer großen WG, begeistert sich für klassisches Kochen, experimentiert gern mit Gewürzen und entspannt sich beim Paprikaschneiden. Wir wohnen beide mitten in der Kölner Innenstadt und haben - vielleicht auch deswegen - öfter mal Geldprobleme. Aus all diesen Gründen behaupte ich mal, dass wir nicht die ganz typische Thermomix-Klientel sind. Trotzdem hätten wir beide fast ein Gerät gekauft. Wie konnte das passieren?

Beim Thermomix handelt es sich um eine Küchenmaschine, die außer backen und braten alles kann: wiegen, mixen, mischen, zerkleinern, mahlen, kneten, schlagen, rühren, emulgieren, dampfgaren und kochen. Man kann in ihr mehrere Komponenten des Essens gleichzeitig zubereiten, also zum Beispiel unten Reis kochen und mit dem aufsteigenden Dampf in einem Topf darüber rohes Gemüse und rohen Fisch garen.

Verkauf nur im Direktvertrieb

Der Thermomix kommt vom Wuppertaler Familienunternehmen Vorwerk und wird ähnlich wie Tupperware im Direktvertrieb verkauft. Dazu lädt eine Repräsentantin in ihre Küche oder kommt in eine Wohnung und führt das Gerät vor. Für uns, die wir als Skeptiker von Köln in das Thermomix-Küchenstudio nach Langenfeld fahren, macht das Ulrike Mezger. Mit wachem Blick und festem Händedruck begrüßt uns die Teamleiterin. Sie ist 55 Jahre alt, sieht aber mit ihren kurzen, gut frisierten braunen Haaren und dem strahlenden Gesicht viel jünger aus, außerdem praktisch, ordentlich und kompetent. Sie hat vier Kinder und präsentiert seit neun Jahren den Thermomix. Eine Frau, die sich sowohl mit Haushaltsorganisation als auch den dazugehörigen Geräten auskennt. Und genau weiß, was sie sagen muss. Sie möchte mit uns Tomatensuppe, Baguetteteig und Fruchteis zubereiten. Zunächst traut sich keine von uns an die futuristisch wirkende Maschine heran, doch wir müssen. Klar, wer erst einmal etwas angefasst hat, entwickelt eine Bindung und verspürt schneller den Impuls des Haben-Wollens. Darauf falle ich nicht herein!

Was Ulrike Mezger uns zeigen will: Der Thermomix führt, man kann gar nichts falsch machen, mit diesem Gerät kann einfach jeder kochen. Das liegt vor allem am Rezept-Chip. Das ist eine Art digitales Kochbuch, das an der Seite angeklippt wird. Auf dem Display des Gerätes erscheinen verschiedene Rezepte. Wir scrollen uns bis zur Tomatensuppe durch und befolgen die Anweisungen. Alles, was wir selbst machen müssen, ist eine Zwiebel und eine Knoblauchzehe zu schälen. Die werfen wir dann als Ganzes in den Topf, der Thermomix zerschreddert sie und gibt weitere Anweisungen: "Bitte Tomaten einlegen, bitte Wasser zugeben, bitte Salz, Pfeffer und Oregano einstreuen." Die eingebaute Waage misst auf fünf Gramm genau, wie viel noch fehlt. Dann Deckel festschrauben, Temperatur und Zeit einstellen, die das Gerät vorgibt, zehn Minuten warten. Fertig.

Fluffiger Baguetteteig

"Schon toll, wie schnell das geht! Da muss man abends nicht immer Brot essen", sage ich. "Ja, nicht wahr?", sagt Ulrike Mezger. "Da müssen sie nicht jeden Abend Brot essen und können nebenbei noch mit den Kindern Hausaufgaben machen oder spielen." Volltreffer. Ich fühle mich ertappt. Weiter geht's mit dem Baguette. Der Thermomix gibt wieder an, was und wie viel er braucht und knetet dann einen schön fluffigen Teig, der im vorgewärmten Ofen zum knusprigen Baguette wird, das toll zur Suppe passt. "Viel billiger und gesünder als gekauftes Brot, weil ich genau weiß, was drin ist. Mache ich immer so", sagt Ulrike Mezger. Die Fotografin und ich nicken und schweigen.

Jetzt noch das Eis. Einfach Zucker, gefrorene Himbeeren und Sahne in den Topf, den richtigen Knopf drücken und drei Minuten später leckeres Sorbet löffeln. "Das würde den Kindern super gefallen", denke ich. "Das würde Ihren Kindern doch sicher gefallen, oder?", fragt Ulrike Mezger und setzt noch einen drauf: "Und überlegen Sie mal, wie wenig Geschirr Sie verbrauchen, da steht nicht die ganze Küche voll. Sie können alle Teile bequem in der Spülmaschine reinigen." Die Fotografin nickt, ich gebe auf und löffle mein - ja, köstliches - Himbeersorbet. Es ist nicht auszuschließen, dass wir beide mit einem Thermomix aus Langenfeld heimgekehrt wären, wenn wir 1109 Euro übrig gehabt hätten.

Natürlich wissen wir beide, dass Ulrike Mezger darauf geschult ist, uns genau das zu sagen, was wir hören wollen: Kochen mit dem Thermomix geht schnell und spart Geld. Man kann andere Dinge nebenbei machen. Besucher mit anderen Wünschen werden von ihr vermutlich etwas anderes hören.

Wie das Unternehmen Vorwerk funktioniert, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Der Text in der Werbebroschürehält sich nach allen Seiten offen: "Leben Sie in einer Familie oder allein? Sind Sie beruflich stark engagiert und haben wenig Zeit? Oder sind Sie im Ruhestand? Ganz gleich, wie ihr Lebensstil aussieht: Der Thermomix ist das ideale Multitalent für die Zubereitung von frischen Familienmahlzeiten, schnellen Gerichten nach einem langem Tag und ebenso für kulinarische Genüsse." Ulrike Mezger hat uns intensiv beobachtet, uns zugehört und sich unseren Kommentaren angepasst, damit der Thermomix genau in unser Leben passt. Wir wissen das eigentlich. Uns ist auch bewusst, dass sie uns nicht die Dinge zeigt, die der Thermomix nicht so gut oder gar nicht kann, Salat machen oder Steak braten zum Beispiel. Aber all das blenden wir bei unserem Fruchtsorbet aus. Wir haben uns einlullen lassen.

Vorwerk hat in der Verkaufsschulung offenbar ganze Arbeit geleistet und produziert fleißig Verkäuferinnen-Nachschub. Insgesamt sind mehr als 34 000 Repräsentantinnen im Einsatz. Laut Broschüre sind vor allem Frauen gerne gesehen, die sich bisher hauptsächlich um die Kinder gekümmert haben und nun etwas dazuverdienen oder überhaupt (wieder) in den Beruf einsteigen möchten.

Die Nachfrage steigt stetig. Im Jahr 2014 wurden allein in Deutschland 210 000 Thermomixe verkauft. Vorwerk machte mit dem Küchengerät erstmals in seiner Geschichte mehr Umsatz als mit den Staubsaugern ("Kobold"), für die das Unternehmen vor allem bekannt ist. Insgesamt stieg der Erlös der Vorwerk-Gruppe 2014 um 5,8 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro. Der Thermomix kam 2014 sogar auf ein Plus von 15 Prozent und erwirtschaftete einen Umsatz von 920 Millionen Euro. Die meisten Geräte werden in Deutschland gekauft, aber auch in Italien, Frankreich und Spanien ist der Küchenhelfer beliebt.

Das Gerät gibt es seit 1961

Das Gerät gibt es schon seit 1961. Kochen und erhitzen konnte diese erste Universalküchenmaschine von Vorwerk damals noch nicht. Diese Funktion gibt es erst seit Anfang des neuen Jahrtausends. Die neueste Version "TM 5" ist seit September 2014 erhältlich und setzt mit Touchscreen, Rezept-Chip und dem "begleiteten Kochen" im Display ganz auf digitale Kompetenz. Offenbar bedient diese Mischung aus "Es muss schnell gehen, soll aber selbst gemacht sein" aktuelle Bedürfnisse: Der Thermomix erlebt seine beste Zeit, die Verkaufszahlen sprechen für sich. Die "Süddeutsche Zeitung" bezeichnete ihn bereits als "deutsches i-Phone".

Zugleich spaltet das Gerät das Land in Anhänger und Feinde. In Internetforen existieren kilometerlange leidenschaftliche Diskussionen über dieses Gerät. Befürworter schätzen, dass man nichts falsch und mehrere Dinge gleichzeitig machen könne. Genau das lehnen die Kritiker ab. Hier fehle die Leidenschaft beim Kochen, das Rühren und Abschmecken. Eine Suppe, die aus diesem "Automaten" stamme, könne nicht echt sein, sondern bloß ein blutleeres Produkt, das unmöglich schmecken könne. Dabei bleiben Zutaten und Zubereitungsart doch gleich. Ob man nun selbst schneidet und umrührt oder das eine Maschine erledigen lässt, soll doch jeder selbst entscheiden.

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