Zwei Top-Sommelières im Gespräch„Paula hat Frauen in der Weinwelt überhaupt erst sichtbar gemacht“

Lesezeit 8 Minuten
Zwei Frauen sitzen an einem gedeckten Tisch und prosten sich mit Weißwein zu

Die Wein-Expertinnen Paula Bosch (r.) und Romana Echensperger sprechen über Sexismus in der Branche.

Die Wein-Expertinnen Paula Bosch und Romana Echensperger sprechen über Sexismus in der Branche und ihre Leidenschaft für guten Wein.

Frau Bosch, Sie waren in den 1980er Jahren die erste Frau, die in Deutschland als Sommelière Erfolg hatte. Was hat Sie darauf gebracht, die Männerdomäne Weinexpertise zu knacken?

Paula Bosch: Falsche Frage! Das war nicht meine Absicht, sondern höchstens eine Folge. Was ich als junge Frau wollte, war eine Ausbildung in der Gastronomie. Nach dem Abschluss – so meine Fantasie – würde ich vielleicht auf die „MS Europa“ gehen und meinen Traum vom Reisen verwirklichen können. An den Wein kam ich über meine trinkende Familie. Meine Mutter und meine Patentante hatten regelmäßig eine Flasche Süßwein geöffnet, die sie über ein paar Tage verteilt genossen. Und da fiel schon früh ein Schlückchen für Paulinchen ab. Ein Gläschen Wein am Tag ist gesund, pflegte meine Mutter zu sagen. Im Gegensatz zu Cola. Die war strikt verboten.

Aber vom Wein trinken führt der Weg längst nicht jeden zum Wein kennen.

BOSCH: In der Hotelfachausbildung kam ich natürlich auch professionell mit Wein in Verbindung. In einem der Lehrbücher stand etwas über den Beruf des Sommeliers. Das hat mich gereizt, auch weil es mir viel interessanter vorkam, als Kellnerin im Service zu sein. Also habe ich angefangen, zu lesen, zu lesen und nochmal zu lesen.

Frau mit kurzen grau-weißen Haaren sitzt an einem Tisch

Paula Bosch gilt als erste Sommelière Deutschlands.

Und die Praxis?

BOSCH: Die habe ich tatsächlich so richtig in Köln gelernt. Dabei wäre meine Karriere um ein Haar vorbei gewesen, noch bevor sie überhaupt begonnen hatte. Ich hatte einen Vorstellungstermin bei einem Vorstand der Interconti-Gruppe im Hotel Inter-Continental in Frankfurt. Der damalige Präsident der Sommelier-Union war dort Restaurantdirektor. Bei ihm wollte ich unbedingt lernen. Er wurde am Ende meines Vorstellungsgesprächs dazu geholt, um mich kennenzulernen. Er war völlig perplex, musterte mich von oben bis unten und sagte: „Eine Frau? Bei uns als Sommelière im Restaurant? Völlig ausgeschlossen! Sie können uns zum Frühstück gern den Kaffee servieren, aber doch nicht den Wein am Abend.“



Wow.

BOSCH: Ungefähr so was ging mir auch durch den Kopf. Ich habe völlig intuitiv reagiert und um den Abschluss des Gesprächs unter vier Augen, ohne den Restaurantchef, gebeten.

Und dann?

BOSCH: Habe ich zu dem Interconti-Manager gesagt: „Dieses Gespräch brauchen wir nicht mehr weiterzuführen. Wenn ein Mensch nicht einmal die einfachsten Regeln der Höflichkeit beherrscht, was soll ich von dem lernen?“ – So sind wir auseinander gegangen. Ein Dreivierteljahr später erhielt ich einen Anruf aus dem Kölner Inter-Continental, ob ich vielleicht dort anfangen wolle. Man suche gerade einen Sommelier. Und warum nicht – eine Sommelière? Tja, und so kam ich dann nach Köln in die „Bergische Stube“.

Auf einmal war das mit der Frau im Weinfach auch Teil des Marketings
Paula Bosch, Sommelière

Da ging es Ihnen besser – als Frau?

BOSCH: Besser? Das ist kein Ausdruck. Ich wurde als junge Frau in der Herrenriege zunehmend auf Händen getragen. Mal abgesehen von gelegentlichen Sprüchen der Gäste wie „Junges Fräulein, dürfen Sie überhaupt schon Wein trinken?“ Darauf antwortete ich dann regelmäßig: „Mehr als meine Mutter mir gestattet. Ich muss ja vorher probieren, was ich Ihnen empfehle und zum Essen serviere.“ So wurde ich quasi die Weinkönigin von Köln. Mein Restaurantchef war ganz stolz, dass er mich hatte. Und als mich der Gault Millau 1988 auf meiner nächsten Stelle im „Victorian“ in Düsseldorf zur „Sommelier des Jahres“ kürte, da war das mit der Frau im Weinfach auch Teil des Marketings.


Zur Person: Paula Bosch, geboren 1956 in Riedlingen, gilt als erste Sommelière Deutschlands. Nach einer Ausbildung zur Hotelfachfrau und erster Berufserfahrung kam sie 1981 als Chef-Sommelière ins Hotel Inter-Continental nach Köln. 1985 wechselte sie ins Restaurant „Victorian“ nach Düsseldorf, wo sie drei Jahre später vom Fachmagazin Gault Millau als erste die Auszeichnung „Sommelier des Jahres“ erhielt. 20 Jahre lang arbeitete Bosch im Münchner „Tantris“, das zeitweilig mit drei Michelin-Sternen dekoriert war. Sie war dort verantwortlich für den Weinkeller mit 35000 Flaschen. Seit 2011 arbeitet Bosch als selbstständige Weinberaterin. Sie war Wein-Kolumnistin der „Süddeutschen Zeitung“ und ist Autorin einer Reihe von Weinratgebern. 2022 erschien von ihr das Buch: „Eingeschenkt. Deutschlands erste Sommelière über Winzer, Weine und die Zukunft der Branche“, Verlag ZS, 224 Seiten, 22,99 Euro.


Paula hat Frauen in der Weinwelt überhaupt erst sichtbar gemacht. Als Frau in einer Männerdomäne – das kann ein Malus sein, aber auch ein Bonus. Es pendelt zwischen den Extremen
Romana Echensperger, Master of Wine

Frau Echensperger, wenn Sie das als 20 Jahre jüngere Kollegin so hören: War Paula Bosch eine Wegbereiterin für Frauen wie Sie?

Romana Echensperger: Absolut! Paula, Du warst eine wirkliche Türöffnerin und hast Frauen in der Weinwelt überhaupt erst sichtbar gemacht. Als Frau in einer Männerdomäne – das kann ein Malus sein, aber auch ein Bonus. Es pendelt zwischen den Extremen. Durch Diskriminierung und Sexismus-Skandale in den USA beim Court of Master Sommeliers und in Deutschland in der Sommelier-Union ist die Branche heute – sagen wir – sensibilisiert.

BOSCH: Als ich von den Übergriffen hörte, war ich ehrlich überrascht. Ich hatte von solchem Verhalten nie etwas gehört oder es gar selbst erleben müssen.

Nicht Ihr Ernst!

BOSCH: Doch. Offenbar bin ich bis heute ein Kind vom Land.

ECHENSPERGER: Ich muss schon sagen, dass eine Branche wie die Gastronomie mit nach wie vor großen Mängeln in moderner Unternehmenskultur ungute Dynamiken von Machtmissbrauch und dann eben auch Sexismus begünstigt. In einem sehr harten Konkurrenzkampf ist Sexismus ein Instrument der Männer, um Frauen niederzuhalten. Und immer noch gibt es zu viele Frauen, die sich das bieten lassen, die es runterschlucken, wenn sie als Frau bloßgestellt, respektlos behandelt und im schlimmsten Fall sexuell belästigt werden.

Ist Ihnen das selbst passiert?

ECHENSPERGER: Ja, das ist mir auch passiert. Wobei die Versuche, sich mit Machtmissbrauch und Sexismus unberechtigt Karrierevorteile zu verschaffen, nicht geschlechterspezifisch waren. Und sind. Ich rede nämlich keineswegs bloß von der Vergangenheit. Vor kurzem erst hat es Versuche gegeben, mich von Engagements auszuschließen mit dem Argument: „Du bist doch jetzt Mutter von zwei kleinen Kindern, da dauert das mit den E-Mails zu lang. Mit Kindern bist du halt nicht responsiv genug.“

BOSCH: Ich finde das unglaublich. Aber letztlich geht es in der Sommelerie auch um Ruhm und Geld. Um beides wird in unserer „wunderbaren Welt des Weins“ genauso gnadenlos gekämpft wie anderswo auch.

Einer der Großen in der Gastro-Szene, Vincent Moissonnier vom gleichnamigen Restaurant in Köln, hat gerade das Handtuch geworfen und erklärt, er sei „seelisch müde“. Ist er ein Krisen-Indikator?

ECHENSPERGER: Auf jeden Fall. Vor allem hat Corona eine Schneise durch die Gastronomie geschlagen. Ein großes Problem ist der Personalmangel. Diejenigen, die ohnehin den Laden schmeißen, müssen das auffangen, immer noch mehr leisten, und sind zunehmend erschöpft. Es ist ein Teufelskreis.

BOSCH: Dass das „Le Moissonnier“ aufhört, ist ein Riesenverlust. Mit seinem Liebreiz ist dieses Restaurant einmalig in Deutschland. Es hat über 35 Jahre einen eigenen Stil entwickelt und hochgehalten. Für mich sind die Moissonniers mit ihrem Restaurant das Französischste schlechthin. Ich glaube aber auch gut zu verstehen, was Vincent Moissonnier meint mit der Müdigkeit der Seele. Das Geschäft ist verdammt anstrengend, brutal zuweilen. Es lässt dir kaum Raum. Und: Du hast nie Zeit, wenn deine Freunde Zeit haben. Auf die Dauer zehrt auch das aus.

Die Gäste müssen wieder lernen, mit den Menschen, die ihnen Gutes tun, auch gut umzugehen
Paula Bosch

Würden Sie jungen Leuten das eigene Metier überhaupt noch empfehlen?

ECHENSPERGER: Ja, unbedingt. Ich würde heute weniger auf Gourmetrestaurants oder Sternetempel schielen, sondern auf Gastronomie, die mit nachhaltigen Produkten regionale Wertschöpfungsketten stärkt und nah beim Menschen ist. Ein Restaurant kann so Plattform für gute Landwirtschaft sein und vielfältige soziale Aufgaben wahrnehmen. Es ist neutraler Treffpunkt für Geschäftsleute, der Ort für Familienfeiern bis hin zum romantischen Ort für Liebespaare. Hier tauscht man sich aus, löst Konflikte oder träumt über die Zukunft. Gastgeber in diesem Bewusstsein zu sein, ist eine wunderbare Aufgabe.

zwei Frauen sitzen mit einem Glas Wein an einem Tisch und lachen

Romana Echensperger und Paula Bosch im Gespräch über die Arbeit als Sommelière in einer Männerdomäne.

BOSCH: Auf jeden Fall. Wer gern mit Menschen zusammen ist und gern Wünsche erfüllt – was gibt es für so jemanden Schöneres? Die Gastronomie ist ideal für alle, die andere glücklich machen wollen und davon auch selbst beglückt sind. Nur denke ich manchmal: Die Gäste müssen wieder lernen, mit den Menschen, die ihnen Gutes tun, auch gut umzugehen.

Da haben Sie mit Ihren Gästen bestimmt sehr viel erlebt. Verraten Sie zum Schluss Ihre Lieblingsgeschichte?

BOSCH: Gut, aber ohne Namen! Als ich in München im „Tantris“ arbeitete, hatten wir öfters berühmte Persönlichkeiten zu Gast, die zugleich große Weinliebhaber waren. Einer ließ mich eines Abends an seinen Tisch kommen und sagte: „Paula, ich habe eine gute Gage bekommen. Heute nehme ich mal einen Petrus“, den berühmten und teuren Bordeaux. „Sie wissen, einen guten Jahrgang, aber nicht den teuersten.“ Preis der Flasche: 2000 Euro. Die trank er an diesem Abend alleine aus, ganz und gar beglückt. Am Ende wollte er noch drei Flaschen mitnehmen. „Hmmm, Herr Professor“, sagte ich, „Scusi, non c’è – tut mir leid, aber so viele gibt’s nicht. Ich bekomme selbst pro Jahr nur insgesamt sechs Flaschen.“ – „Kein Problem, dann nehme ich eben drei aus unterschiedlichen Jahrgängen.“ Ich packte ihm also die Flaschen zusammen und sagte: „Wir schicken Sie Ihnen dann nach Hause.“ – „Nein, nein, Paula, machen Sie bloß kein Theater! Ich habe doch das Fahrrad dabei.“ Und tatsächlich: Mit drei Flaschen für 6000 Euro auf dem Gepäckträger und einer Flasche intus fuhr der Gast nach Hause. Ein paar Jahre später sprach er mich noch einmal darauf an: „Liebe Paula, Sie wissen gar nicht, was Sie mir für eine Freude gemacht haben, als Sie mir damals den Petrus mit nach Hause gaben. Seitdem sage ich zu meinen Freunden, die mich für einen Weinbanausen hielten: „Gern könnt ihr euch bei mir einen Petrus anschauen. Aber wenn ihr einen trinken wollt, dann müsst ihr ihn schon selber mitbringen.“ 

Das Gespräch führte Joachim Frank.

KStA abonnieren