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InterviewKaminer und sein Garten Eden

Lesezeit 4 Minuten

Herr Kaminer, wie sieht Ihr Garten derzeit aus?

Wladimir Kaminer Er wird immer voller. Freunde, die uns besuchen kommen, fragen schon: Wo ist überhaupt der Garten? Meine Frau pflanzt jede Woche etwas Neues, Rhododendron zum Beispiel. Im September waren wir in Brasilien im Regenwald, auch von dort haben wir Pflanzen mitgebracht. Drei haben die Reise überlebt. Wer weiß, ob die sich nicht abhärten in Brandenburg? Dann haben wir hier bald ein Stück Regenwald. Letztens hat ein Freund eine Kletterpflanze gebracht – alle zwei Stunden hat er geguckt, ob die schon geklettert ist.

Was bedeutet Ihnen der Garten?

Kaminer Der Garten ist unser Hafen, in dem wir andocken. Nachdem wir den Schrebergarten abgegeben hatten, haben wir gemerkt: Wir wollten in der Natur leben. Aber was ist überhaupt Natur? Alles um uns herum ist vom Menschen geschaffen, also eine Kulturlandschaft. Natürlich gibt es überall etwas, was an der Stelle besonders gut wächst. Ich überlege gerade, was das in Brandenburg ist. . . Brennnesseln! Die werden bei uns bis zu drei Meter hoch.

Was reizt Sie am Gärtnern?

Kaminer Gärtnern ist jedem Menschen angeboren. Wir kommen ja alle aus einem Garten, dem Garten Eden. Mein Vater hatte einen Garten auf dem Balkon, meine Mutter in der Küche. Überall versuchen Menschen zu gärtnern. Also auch ich. Dass meine Frau einen grünen Daumen hat, wusste ich schon lange, sie hatte schon früher im Kaukasus einen Garten. Aber dass jetzt so viele Freunde bei uns etwas pflanzen wollen, hätte ich nicht erwartet. Es steckt eben in uns drin.

Wladimir Kaminer: „Diesseits von Eden. Neues aus meinem Garten“

Manhattan-Verlag, 256 S., 17,99 Euro

Und was pflanzen Sie?

Kaminer Ich habe mir bei einer Gartenmesse „Japanische Wunderblumen“ andrehen lassen. Die sollen jedes Jahr anders blühen. Ich habe sie gepflanzt und gewartet. Erst dachte ich, die kommen gar nicht; die sind wohl zu zart für unser Klima, da wächst ja nur Unkraut. Dann habe ich rausgefunden: Das Unkraut sind die Wunderblumen! Im Kaukasus heißen sie „Morgenröte“, sprießen an jeder Ecke, man braucht gar kein Geld dafür auszugeben.

Was machen Sie im Winter auf dem Land?

Kaminer Wir haben einen Specksteinkamin und große Stapel von Holzscheiten. Wir sitzen am Feuer, trinken Rotwein und spielen Schach. Draußen liegt Schnee, es ist unheimlich leise. Aber dafür sind wir ja da, um ein bisschen Lärm zu machen.

Hätten Sie nicht Lust, ganz nach Brandenburg zu ziehen?

Kaminer Vielleicht später, wenn ich in Rente gehe. Wenn ich überhaupt in Rente gehen – als Geschichtenerzähler bin ich dazu verdammt, immer weiter Geschichten zu erzählen. . . Nein, die Großstadt möchte ich im Moment nicht missen. Wir leben in Berlin am Mauerpark, da sind wir auch in vorderster Front der Natur-Kultur-Linie. Im Mauerpark gibt es weder eine Mauer noch Natur. Eine Firma will Häuser bauen, die Menschen wollen den Park. Ich engagiere mich in der Bürgerinitiative, aber bisher ist noch kein Garten in Sicht.

Planen Sie noch weitere Gartenprojekte?

Kaminer Für eine Fernsehdokumentation hatte ich in diesem Jahr drei Gartenparadiese besucht, das wollen wir fortsetzen. Wir suchen noch unbekannte Gartenparadiese in Osteuropa, in der Ukraine und in Russland. Interessant ist: Hinter jedem Garten, den wir aufspüren, steckt irgendwo ein Deutscher. Entweder sind es Aussiedler, die den Garten einmal angelegt haben, oder eine deutsche Firma steht dahinter.

Wie kommt das?

Kaminer Das kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall gibt es in Osteuropa noch sehr viel zu entdecken, die meisten der Anlagen sind in Deutschland noch unbekannt.

Nach mehr als 20 Jahren in Berlin kennen Sie die Deutschen gut. Was raten Sie uns beim Gärtnern?

Kaminer Versuchen Sie nicht, alles nach ihrem Willen zu verändern. Der Gärtner ist nur ein Teil des Ganzen, nicht der Chef. Man muss Kompromisse machen. Wie die Griechen den Wein mit Wasser gemischt haben, muss man den Drang nach Kontrolle vereinbaren mit dem, was möglich ist. Ein Garten braucht Freiheit, um sich zu entwickeln. Gartenarbeit ist wie Kindererziehung. Man muss Kinder wie Pflanzen lieben, düngen, verpflanzen. Und hoffen, dass etwas Gutes dabei rauskommt.