InterviewKlettern lernen heißt fürs Leben lernen

Professorin Eike Quilling im Odenthaler Seilgarten K1
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Professorin Eike Quilling von der Kölner Sporthochschule forscht zum Thema Bewegungserziehung und Interventionsmanagement. Sie war häufig mit Jugendlichen im Seilgarten und hat bemerkt, dass diese dort über sich hinauswachsen.
Frau Quilling, es gibt so viele Seilgärten in der Region. Für wen ist das gesicherte Klettern von Baum zu Baum geeignet? Für wen nicht?
Das Schöne am Klettern in Hochseilgärten ist, dass es keinerlei Kenntnisse oder Vorerfahrungen voraussetzt. Es gibt nur wenige Einschränkungen, die die körperliche Verfassung der Besucher betreffen. So ist das Klettern im Hochseilgarten beispielsweise nicht geeignet für Personen mit akuten Herz-Kreislauferkrankungen, gravierenden Verletzungen des Bewegungsapparates oder Schwangere. Andere chronisch Erkrankte sollten ihren Arzt dazu befragen. Die körperliche Verfassung wird in den Hochseilgärten in der Regel vor dem Besuch explizit abgefragt. Selbst Menschen mit Behinderungen können in manchen Seilgärten aktiv werden.
Was genau macht einen Hochseilgarten aus?
Hochseilgärten sind Kletterparcours, die in großer Höhe angelegt sind und eine ausgezeichnete Möglichkeit für verschiedenste Bewegungs- und Naturerfahrungen bieten. Dabei wird zwischen Naturhochseilgärten und frei angelegten Hochseilgärten unterschieden. Erstere zeichnen sich dadurch aus, dass die Hindernisse sich an und zwischen Bäumen in einem natürlichen Waldgelände befinden. Die Bäume sind also die wichtigsten Bestandteile des Kletterparks. Sie werden durch Elemente wie Balken, Brücken oder Seilrutschen miteinander verbunden. Verschiedene Plattformen, die an den Bäumen befestigt sind, bieten den Besuchern die Möglichkeit, wieder festen Halt unter den Füßen zu spüren.
Die Alternative ist ein frei angelegter Hochseilgarten.
Im Vergleich zum Kletterwald sind die Hindernisse eines frei angelegten Hochseilgartens komplett aus Balken, Brettern und Seilen an etwa zehn bis 15 Meter hohen Masten aufgebaut. Dabei ist jeder Mast mit einem bis zwei Podesten versehen, auf denen die Besucher pausieren können. Es sind keine Bäume für den Bau erforderlich. In Hochseilgärten werden die Besucher mit verschiedenen Hindernissen konfrontiert, von der wackeligen Hängebrücke über das Entlanghangeln an einem riesigen Netz bis zur Seilrutsche – und das in einer Höhe von fünf, zehn oder 15 Metern.
Vor Höhen sollte man nicht unbedingt Angst haben, oder?
Den Kletterern stehen in den unterschiedlichen Hochseilgärten verschiedene Parcours zur Verfügung, die sich meist in Schwierigkeit und Höhe unterscheiden. Oft gibt es einen Testparcours, in dem sich die Besucher mit dem Sicherungssystem vertraut machen. Es gibt eine detaillierte Einweisung und auch ein Helm ist selbstverständlich Pflicht. In der Regel findet sich in den Hochseilgärten – anhängig von der Größe der Anlage – für jeden etwas, egal ob Anfänger oder Profi. Alle haben die Möglichkeit, ihre Grenzen zu erfahren und zu überwinden.
Ab welchem Alter sehen Sie Kinder im Kletterwald?
Das hängt immer von den Möglichkeiten des Hochseilgartens ab. Es gibt Hochseilgärten, da ist eine Mindestkörpergröße von 1,20 m erforderlich, um die Hindernisse bewältigen zu können. Daher sind sie meist nicht für Kinder unter sechs Jahren geeignet. Inzwischen gibt es aber immer mehr Hochseilgärten, die Elemente in niedriger Höhe so konzipieren, dass auch kleinere Kinder klettern können – sie bieten eigene Kinderparcours an, die Kinder zum Teil schon ab drei Jahren erklimmen können. Daher sollten die Kinder in ihrem natürlich Bewegungsdrang unterstützt und solche gesicherten Parcours zur frühen Bewegungsförderung schon für die Kleinen genutzt werden, sofern sie mit Spaß bei der Sache sind.
Erfahren Sie auf der nächsten Seite, welche Muskelgruppen beim Klettern trainiert werden.
Welche Muskelgruppen werden beim Klettern trainiert?
Das Klettern im Hochseilgarten ist, je nach Kletteranlage, ein komplexer Sport und trainiert vor allem Kraft und Ausdauer. Schon das Hochklettern an Masten erfordert oft einen hohen Krafteinsatz. In verschiedenen Übungen – auf wackeligem Untergrund in luftiger Höhe – werden besonders Gleichgewicht und Körperspannung trainiert. Je nach zu überwindenden Elementen werden verschiedene Muskelgruppen wie Hand-, Arm-, Oberschenkel- und Schultermuskulatur trainiert. Je nach Möglichkeiten der Anlage kommen Bauch- und Rückenmuskulatur hinzu. Besonders hervorzuheben ist das Training der Beweglichkeit, der Koordination und des Gleichgewichts.
Nicht nur die Sicherung am Seil erinnert dabei ein wenig ans Bergsteigen.
Tatsächlich müssen die Kletterer jeden Schritt gut durchdenken. Denn in der Tat kann auch der gesicherte Absturz erfolgen. Insbesondere durch das Überwinden instabiler Elemente bekommen Hochseilgarten-Kletterer mit der Zeit ein immer besseres Gefühl für ihren Körper und dafür, welche Veränderungen für einen sicheren Stand notwendig sind. Dabei müssen sich die Kletterer den Gegebenheiten des Hochseilgartens anpassen und mittels ihres Körpergefühls Umgangs- und Lösungsformen suchen.
Das Klettern erfordert nicht nur Kraft und Ausdauer, sondern oft auch Mut. Welche Rolle spielt dieses Sich-Überwinden, wenn Sie zum Beispiel, mit einer Gruppe Jugendlicher aus sozialen Brennpunkten in den Kletterwald gehen?
Die Jugendlichen lernen im Hochseilgarten ihre Ängste und Grenzen kennen und erleben, wie sie diese überwinden können – das schafft Erfolgserlebnisse. Diese Form des Erfahrungslernens fördert einerseits die Körperwahrnehmung und andererseits Selbstwirksamkeit und das Selbstbewusstsein der Jugendlichen, das häufig nicht besonders stark ausgeprägt ist. Diese Jugendlichen haben häufig negative Lernerfahrungen gemacht, die ihr Selbstbewusstsein bestimmen. Hier lernen sie, dass sie etwas können.
Sie gehen mit den Jugendlichen für zwei Wochen in den Wald, wo schlechter Handy-Empfang herrscht. Das kommt sicher gut an . . .
Tatsächlich sind oft Kinder dabei, die in ihrem Leben noch keine echte Kuh gesehen haben. An die ländliche Umgebung müssen sie sich also erstmal gewöhnen. Aber spätestens beim Klettern fragt dann keiner mehr nach seinem Handy. Untersuchungen in den vergangenen Jahren im Rahmen von K1-Sommercamps haben gezeigt, dass wir die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit, steigern konnten.
Was genau wirkt sich positiv aus auf die Jugendlichen?
Neben der individuellen Persönlichkeitsentwicklung erleben sich die Jugendlichen in einem neuen Kontext: Als Teil eines Teams lernen sie, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, zum Beispiel, wenn sie sich gegenseitig sichern. Bei Teamaufgaben wie der Bezwingung der Riesenleiter oder der Wand, die keiner alleine schafft und bei denen jeder auf den anderen angewiesen ist, müssen die Jugendlichen miteinander kooperieren. Jeder muss dem anderen helfen und sich vor allem auch selbst helfen lassen.
Einfach nur cool rumstehen hilft hier also nicht.
Es ist sogar kontraproduktiv. Das gemeinsame Bestehen solcher Aufgaben und Abenteuer fördert die sozialen Kompetenzen der Jugendlichen wie Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme. Die Erfahrung, wichtiger Teil einer Gruppe zu sein und den Rückhalt in der Gemeinschaft zu spüren, bildet eine grundlegende Ressource für die eigene Entwicklung und die Lebensbewältigung. Sie ist Ansporn und Bestätigung zugleich.
Klettern lernen heißt also fürs Leben lernen?
In der Tat bieten Hochseilgärten ein optimales Lernfeld für die Persönlichkeitsentwicklung und das eigene Verhalten innerhalb einer Gruppe. Die Herausforderung besteht darin, die Fähigkeiten und Fertigkeiten jedes Jugendlichen zu entdecken und zu mobilisieren. Haben die Jugendlichen Erfolgserlebnisse, sind sie hoch motiviert, weitere motorische Lernerfahrungen machen zu können.
Das Gespräch führte Lioba Lepping