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Interview„Schaukeln schult die Motorik“

Lesezeit 2 Minuten

Prof. Dr. Volker Limmroth ist Chefarzt der Neurologie und Palliativmedizin am Klinikum Köln-Merheim.

Was passiert beim Schaukeln im Körper ?

Wer schaukelt, also aktiv schaukelt, absolviert ein Koordinationstraining. Das Schwungholen, das Abbremsen, all diese Bewegungsabläufe erfordern eine Feinabstimmung, die bei alltäglichen Bewegungen, wie dem Gehen oder Laufen, nicht zum Tragen kommt.

Macht Schaukeln schlau?

Erst jüngere Studien haben gezeigt, dass das Kleinhirn mehr an motorischen Lernprozessen beteiligt ist als lange Zeit angenommen wurde. Der Vorteil beim Schaukeln ist, dass ein Kind es gerne macht. Dadurch dass auch beim Schaukeln komplexe Bewegungsabläufe stattfinden, wird das Kleinhirn stimuliert. Kognitive Prozesse werden so beschleunigt. Schaukeln hilft also beim Lernen.

Andersrum betrachtet. Kinder, die nicht schaukeln, haben ein Defizit?

Wenn sie nicht alternativ zur Leichtathletik oder zum Turnen gehen, ja. Stubenhocker haben allgemein Nachteile, weil sie ihre Feinmotorik nicht schulen. Auch Erwachsene, die komplexe Sportarten, wie Tennis. Klettern oder Wakeboarden ausüben, sind im Alter feinmotorisch besser. Immer wenn Sie ihren Körpern mit komplexen Bewegungsabläufen herausfordern, tun Sie auch etwas für Ihr Gehirn.

Auch Affen schaukeln.

Affen sind uns Menschen ja sowieso sehr ähnlich. Ein Affe ist wie ein kleines Kind. Beide lieben Bewegung und schaukeln deshalb gerne.

Warum verlernen wir das Schaukeln?

Wir verlernen es streng genommen nicht, aber wir als Erwachsene haben oft nicht mehr dieses bejahende Gefühl, das Kinder beim Anblick einer Schaukel oder eines Karussells haben. Der rein positive Zugang zum Schaukeln ist bei den Erwachsenen stark überlagert von der Ratio. In der Zeit, in der man schaukelt, kann man doch 1000 wichtigere Dinge erledigen. Manche Erwachsene kompensieren die fehlende Freude an kindlichen Sinnesreizen durch die Suche nach dem Kick bei neuen Sportarten, wie Kitesurfen, Klettern oder Skateboard-Fahren.

Wieso wird vielen vom Schaukeln schlecht?

Mit zunehmendem Alter leidet auch die Synchronität der Sinnesorgane. Das heißt, dass die Impulse der verschiedenen Sinnesorgane langsam nicht mehr zueinander passen. Melden zum Beispiel zwei Sinnesorgane – wie etwa die Nervenendigungen an den Beinen und der Gleichgewichtssinn im Ohr – unterschiedliche Daten, empfinden wir Schwindel. Auch Jüngere kennen das, zum Beispiel wenn das Auge den geraden Horizont sieht, der Gleichgewichtssinn aber ein Schwanken meldet. Das passiert auf einem Schiff und heißt Seekrankheit. Das wiederum können Erwachsene oft besser verarbeiten als Kinder. Bei Kindern funktioniert die Rückmeldung von Sinneseindrücken ans Gehirn oft noch langsamer als bei Erwachsenen.