MinimalismusDas Rasenmäherprinzip

Der rote manuelle Rasenmäher steht stellvertretend für das Lebensprinzip von Harald Welzer.
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Herr Welzer, was für einen Rasenmäher haben Sie?
Ich habe einen so genannten Spindelrasenmäher. So ein Gerät, das man schiebt. Es kostet nur wenig und mäht schonend meinen Rasen. Ich muss nur ab und zu die Messer schleifen lassen.
Ihren Rasenmäher nennen Sie in Ihrem Buch als Beispiel dafür, wie eine Gestaltung von Reduktion aussehen könnte: Er braucht anders als andere Rasenmäher keine Energie, weniger Platz und muss seltener gewartet werden. Wann ist Ihnen klar geworden, dass Wachstum nicht die Lösung ist?
Das ist mir schon sehr früh aufgegangen. Ich komme ja ursprünglich aus der psychologischen Arbeitsmarktforschung. Damals haben die Ökonomen über Jahrzehnte hinweg behauptet, wir bräuchten Wachstum, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Das stimmte aber einfach nicht. Deutschland hatte kontinuierliche Wachstumsraten, aber die Arbeitslosen blieben. Das nannte man dann „Jobless Growth“. Damals ist mir also klar geworden, das der Ruf nach ständigem Wachstum Blödsinn ist – unabhängig von den Umweltfolgen, die dieses Handeln mit sich bringt. Das ist mir erst später aufgegangen.
Harald Welzer, Soziologe, analysiert in seinem Buch „Transformationsdesign – Wege in eine zukunftsfähige Moderne“, wie sich eine Gesellschaft bei knapper werdenden Ressourcen verändern muss.
Was bedeutete diese Erkenntnis für Ihr praktisches Leben – jenseits des Spindelrasenmähers?
Bei mir hat es sich schnell in praktische Konsequenzen umgesetzt. Ich bin aus dem wissenschaftlichen Betrieb ausgestiegen, um die Stiftung „Futur zwei“ zu gründen. Sie zeigt und fördert alternative Lebensstile und Wirtschaftsformen.
Sie schreiben, dass wir uns noch entscheiden können, ob wir die Transformation selbst gestalten oder uns irgendwann von den Umweltgegebenheiten dazu zwingen lassen wollen. Haben wir wirklich eine Wahl?
Die Frage kann man ganz einfach beantworten. Wir stehen nicht vor der Katastrophe. Sie resultiert erst daraus, dass wir so weitermachen wie bisher. Wir können die Katastrophe verhindern, wenn wir die Dinge anders machen.
Sie betonen immer wieder, dass es nur einer relativ kleinen Gruppe von Menschen bedarf, um gesellschaftliche Prozesse zu verändern. Was kann denn eine kleine Gruppe bewegen?
Ich rede immer von drei bis fünf Prozent. Wir können alle die Gewohnheiten von Mehrheiten ändern. Mehrheiten dagegen verändern nie die Gesellschaften. Es sind immer nur diejenigen, die ein Anliegen haben und das öffentlich vertreten. Und dann braucht es gar nicht viele. Man denke nur an Martin Luther King, der Amerika radikal verändert hat. Wir hatten in Europa eine machtvolle Arbeitnehmerbewegung. Die Frauenbewegung hat unser Geschlechterverhältnis in Frage stellt.
Aber was kann dabei jeder einzelne tun?
Aufhören zu fragen, was man selbst tun kann, und anfangen zu tun. Wir haben überall Handlungsspielräume. Die gilt es zu nutzen. Wir sollten uns nicht weiter von Experten einreden lassen, dass alles so unglaublich kompliziert oder sogar gar nicht machbar ist. Es gilt, einfach loszulegen. Dafür leben wir schließlich in einer freien Gesellschaft.
Das Gespräch führte Miriam Betancourt