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Möbel-DesignDas Ende der Regalwand

Lesezeit 6 Minuten

Werner Aisslinger auf seinem eigenen Entwurf „Elementary Shapes“ für Vorwerk. Modular zusammensetzbar aus geometrischen Formen

Herr Aisslinger, welche aktuellen Trends beobachten Sie im Möbel- Design?

Wir leben in einer Zeit, in der immer alles geht. In den 50er, 60er und 70er Jahren gab es noch epochale Trends. Plastik-Kultur in den 60er Jahren – alles war bunt und schrill. Rot, orange oder gelb. Heute kann man eigentlich nicht mehr davon sprechen, dass es den einen Trend gibt. Es gibt Parallel-Trends. Mit verschiedenen Farben und unterschiedlichsten Oberflächenmaterialien. Im Moment hat Holz ein Revival, gleichzeitig gibt es Oberflächen aus Kunststoff und Metall. Der Trend ist Collage, alles geht, alles ist möglich.

Der 51-Jährige Designer lebt und arbeitet in Berlin. Er gründete 1993 sein Designbüro „Studio Aisslinger“. Seit 1999 ist er Jurymitglied für den Lucky Strike Designer Award. Das A&W Magazin kürte ihn 2014 zum Designer des Jahres. Auf der Kölner Möbelmesse wird seine Teppichkollektion „Elementary Shapes“ von Vorwerk, der Filzstuhl „Chairman“, die Installation „Stylepark“ von Conmoto und das Cube-System von Interlübke präsentiert. Seine Teppiche sind gleichzeitig bis zum 7. Juni in der Ausstellung „System Design – Über 100 Jahre Chaos im Alltag“ im Museum für Angewandte Kunst ausgestellt. (rako)

Welche Entwicklungen haben Sie als Designer besonders im Blick?

Leider muss man feststellen, dass sich die ganze Design-Welt beschleunigt. Was ein Problem für alle Beteiligten ist, weil die Innovations- und Produkt-Lebenszyklen immer kürzer werden. Die Kannibalisierungsprozesse innerhalb von Kollektionen werden größer. Der Markt wird enger. Oft bekommen die Produkte dort nicht mehr die Gelegenheit, sich zu entwickeln. Sie haben gar nicht die Gelegenheit, sich zu bewähren. Das ist für mich ein großes Problem.

Inwiefern?

Es ist ein ökonomisches Problem. Ich muss immer schneller und mehr arbeiten, immer mehr abliefern. Aber ich partizipiere über die Lizenzgebühren immer weniger, weil die Verweildauer der Dinge auf dem Markt ständig kürzer wird. Es kommt unterm Strich weniger raus.

Was macht gutes Design aus?

Gutes Design ist eine Gemengelage. Es muss poetisch sein, es muss nachhaltig sein und es muss natürlich funktionieren. Wichtig ist, dass das Produkt einen langen Lebenszyklus hat, weil es das Gegenteil von einem Wegwerfobjekt ist. Design ist immer dann gut, wenn man es seinen Kindern oder Enkeln vererben will und weiß, dass die dann nicht die Mundwinkel nach unten ziehen, wenn sie es bekommen, sondern sich freuen. Ein Ding, das man in zwei Jahren nicht mehr sehen kann und aus ästhetischen Gründen einfach auf den Müll schmeißt, ist schlechtes Design. Es sollte auch durchkonstruiert sein, Sinn machen von der Herstellung bis zur Lagerhaltung, vom Vertrieb bis zum Transport.

Wie lautet die Devise zukünftigen Designs?

Design fing vor etwa 100 Jahren mit „form follows function“ an, dann folgte vor ungefähr 30 Jahren „form follows emotion“, was das Design emotionalisieren sollte. Vor zehn Jahren haben dann alle angefangen, sich mit neuen Technologien und Materialen auseinanderzusetzen, nach der Devise „form follows material“. Meiner Meinung nach ist die nächste Stufe: „form follows storytelling“. Das heißt, dass Produkte narrative Qualitäten haben, Geschichten erzählen müssen. Damit meine ich keine artifiziellen Marketinggeschichten, sondern reale Bezüge. Wie die Original-Fliesen aus dem U-Bahnhof Berlin-Alexanderplatz von 1924, die ich in die Empfangshalle des 25-Hours-Hotel in Berlin integriert und dadurch einen historischen Ankunftsort in die heutige Zeit transformiert habe. Ein Produkt nur zu kaufen, weil es ein anderes ersetzt, das man schon hat, reicht in Zukunft nicht mehr.

Bücher, Filme und Musik werden immer häufiger auf Festplatten archiviert. Ist das das Ende der klassischen Bücher-, CD- oder DVD-Regale?

Die bildungsbürgerliche große Regal- oder Schrankwand, die man früher hatte, gibt es gar nicht mehr als Typologie und wird seltener gekauft. Wenn einer promoviert hat, viele Jahre an der Universität verbrachte und tausende Bücher besitzt, dann muss der irgendwo hin mit den Dingern. Der wird noch immer die Regalwand mit den Büchern haben. Die Tendenz geht allerdings dahin, dass die Stauräume weniger werden. Die Stauraummöbel haben nur noch Vitrinenfunktion, in denen man zum Beispiel die Reisesouvenirs ausstellt. Was übrig bleibt, sind die Display-Welten. Es wächst aber der Bedarf an Kleiderschränken. Klamotten werden immer noch gekauft wie verrückt. Die muss man ja auch irgendwo verstauen. Manchmal in begehbaren Kleiderschränken, manchmal in kompakten, kleineren Elemente. Der Markt hierfür ist immer noch riesig.

Die klassische Familie-Fernseh-Frontalsituation gibt es nicht mehr. Sehen unsere Wohnzimmer bald dementsprechend aus?

Die Zeiten, in denen die Oma gemeinsam mit der Tochter und der Enkeltochter auf die Bildröhre guckte, wie zu meiner Kindheit, gibt es nicht mehr. Heute sieht das Familienleben so aus: Der Eine schaut sich Videos an, der Andere chattet, der Dritte liest eine Zeitung oder ein Buch und der Rest ist mit elektronischen Geräten wie Tablett oder Smartphone zugange. Zu diesen Bedürfnissen muss ein modernes Sofa passen. Meine Idee ist ein Collagen-Sofa, eine bunte Welt von Sitzobjekten, die sich jeder zusammenbauen kann wie er will. Eine Insel in der Mitte des Raumes, auf der man sich trifft.

Laut dem Möbel-, Küchen-, und Einrichtungsverband gaben die Deutschen 2014 pro Kopf mit 384 Euro europaweit am meisten für Möbel aus. Ohne Deko und Accessoires. Ist das viel?

Das ist erschreckend wenig, wenn man bedenkt, was die Leute für Bekleidung, Sonnenbrillen oder Telefon ausgeben.

An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?

Ich gestalte Möbel für verschiedene Hersteller in Italien, in der Schweiz und in Deutschland. Ich arbeite an neuen Hotelprojekten in Zürich und Berlin. Für Bugaboo, eine niederländische High-End Kinderwagenmarke, entwerfe ich momentan einen Concept-Store – und für die Deutschlandzentrale von Universal Music in Berlin ein neues Inneneinrichtungskonzept. Für Osram erstelle ich neue Lichtkonzepte und arbeite an einer neuen Armbanduhr für die Glashütter Uhrenmanufaktur Nomos.

Bietet denn so ein winziges Zifferblatt genug Spielraum für die Gestaltung?

Bei einer Armbanduhr ist es wie in einem Mikrokosmos. Man zoomt in die Welten der Zeiger, Indizes und Typographien hinein. Da muss man sehr genau analysieren und im Detail arbeiten. Zum Beispiel muss ich herausfinden, wie stark gewölbt die Saphirglasabdeckung sein soll. Die kleinste Abweichung macht gleich große Unterschiede aus.

Wie gefällt Ihnen Köln?

Die Stadt ist ein großes Opfer des Zweiten Weltkrieges. Die Folge ist eine Innenstadt mit vielen 60er und 70er Jahre Bauten, die man heute bestimmt nicht noch einmal so bauen würde. Aber ich finde, dass es Köln schafft, eine eigene Stimmung und Gemütlichkeit zu haben. Eine Authentizität, die man in vielen anderen deutschen Großstädten vermisst. Köln ist einfach unique und unglaublich sympathisch. Köln ist für mich gleich nach Berlin die Stadt in Deutschland, in der ich mich sehr gerne aufhalte. Ich bin ein großer Kölnfan.

Das Gespräch führte Csaba Peter Rakoczy