Nachhaltiges Kreuzfahrt-FeelingHausboot für Ruhr-Touren funktioniert mit Muskelkraft

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Wer seine Muskelkraft einsetzt, kann in den Escargots der Grünen Flotte gänzlich nachhaltig tagelang auf der Ruhr umherschippern.

Zum Glück gibt es ja die Emscher, spöttelt man gerne an der Ruhr. Denn wenn der alte Industriestrom mit dem ramponierten Ruf überhaupt auf etwas herabblicken könne, so sei es der kleine Nachbar von nebenan. Nichts sei so dreckig wie die Emscher, sagt man. Doch vielleicht ist das nur der tief verwurzelte Komplex, den die Ruhrbewohner mit sich herumschleppen wie einen zentnerschweren Sack Steinkohle.

Die Ruhr, ein Fluss, der allenfalls durch seine Maloche Geschichte geschrieben hat, als Lastenesel für das Grubengold aus dem Pott. Er hat eine Region reich gemacht, das Wirtschaftswunder mit vollbracht und ist dabei selbst fast zugrunde gegangen. Seither kämpft die Ruhr gegen das Image, eine lebensfeindliche Kloake zu sein. 

Eines der ereignisreichsten Dinge, die man in NRW auf dem Wasser machen kann

Die Menschen haben ihn dabei nicht im Stich gelassen. „Fluss der Superlative“, heißt es in einer Tourismusbroschüre. Die Ruhr entspringe im „größten Wintersportgebiet jenseits der Alpen: auf dem Ruhrkopf bei Winterberg. Und sie mündet in Duisburg in den Rhein: direkt neben dem größten Binnenhafen der Welt.“ Das hört sich doch schon ganz anders an. Und man mag es vielleicht kaum glauben, die Ruhr bei einem mehrtägigen Ausflug zu befahren, dürfte zu den ereignisreichsten Dingen gehören, die man in NRW zu Wasser unternehmen kann.

Aber auch andernorts kann man das Industrieland vom Wasser aus ganz nachhaltig von seiner natürlichen Seite kennenlernen. Mit dem Kanu oder – wer die sportliche Herausforderung sucht und mit dem Trend gehen will - mit dem Stand-up-Paddle auf einem der großen Seen, Talsperren oder Flüssen.

Die Zeiten des Malochens sind vorbei. Jetzt wird geschippert

Wer sich heute wagt, die Ruhr auf ihren 220 Kilometern von der Quelle bis zur Mündung zu begleiten, durch 23 Städte, unter 160 Brücken hindurch, der wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Aus Industrie wurde im Ruhrpott Industriekultur. Es gibt den viel befahrenen Ruhrtal-Radweg und auch die Kulturhauptstadt hatte sich mit dem Fluss geschmückt: „Ruhr.2010“. Besucher können nur noch erahnen, was das Gewässer so alles durchmachen musste.  Die Zeiten jedenfalls, in denen die Ruhr für Industrie und Wirtschaftswunder schwer malochen musste, sind längst vorbei. Erlebbar macht das beispielsweise ein bereits im Jahr 2003 gegründeter Haustretboot-Verleih am Hafen von Mülheim, Ruhr-Kilometer 8,5, unweit der Schleuse Raffelberg.

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Ausgestattet sind die Escargots mit allem, was man braucht. Auch ein Spirituskocher und eine Toilette sind vorhanden.

Die „Grüne-Flotte“, die die frühere Hörgeräte-Akustikerin Nicole Breidenbach zusammen mit ihrem Mann vor zehn Jahren übernommen hat, besteht aus Escargots, die einst ein US-amerikanischer Designer erfunden hat. Der damalige Gründer und sein Kompagnon kauften sich die Zeichnungen und gemeinsam machten sie sich an die Montage.

Mit Escargot (Schnecke) haben die Boote einen trefflichen Namen erhalten. Denn viel schneller als das schleimige Tier an Land können sich auch die Ausflugswilligen auf der Ruhr nicht fortbewegen. Die Kundschaft tritt mit Hilfe der eigenen Beinkraft die Ruhr flussaufwärts, nachhaltig und stilecht auf einem Fahrradsattel. Sollten die Beine doch mal müde werden, steht allerdings auch ein Viert-Takt-Außenbordmotor zur Verfügung. Das Strampeln lohnt sich. „Man kann von der Wasserseite aus Dinge sehen, die man von Land aus gar nicht wahrnimmt“, sagt Breidenbach. „Vor allem die Natur ist bombastisch.“

Nach der Schleuse wird es idyllisch

Zunächst aber geht es vorbei an dem, was von der Industrie noch übriggeblieben ist: Riesige Berge aus Metallschrott, um deren glänzende Gipfel die Möwen kreisen, ein paar Raffinerien und Getreidesilos. Nach der ersten von insgesamt drei Schleusen wird es idyllisch.

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Der Baldeneysee ist der größte der sechs Ruhrstauseen. Er ist ein Paradies für Wassersportler und liegt im Süden der Stadt Essen.

Die Industrielandschaft entlässt die Flussfahrer in ein saftig grünes Trinkwassergewinnungsgebiet, dann passiert man den Wasserbahnhof Mülheim, die alten Villen des Industrieadels und das Kloster Saarn. Anschließend geht es weiter durch die Schleuse Kettwig zum Kalten Turm bis nach Werden, wo eine prächtige Abtei auf Besucherinnen und Besucher wartet. Das Kloster gehörte einst den Benediktinern, seine Geschichte geht zurück bis ins achte Jahrhundert.

Wer das Boot für drei Tage mietet, schafft es bis zum Baldeneysee, dem größten der sechs Ruhrstauseen. Etwas Vorsicht ist geboten. Denn hier trainieren nicht nur Ruderer für Olympia, hier wird auch hart am Wind gesegelt. Und mit Tretbootfahrern haben es die Segler nicht so. Die Devise: Immer schön in der Fahrrinne bleiben.

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Die Villa Hügel aus dem 19. Jahrhundert ist das ehemalige Wohn- und Repräsentationshaus der Familie Krupp.

Auch hier lässt sich am Ufer Historisches bestaunen: Die Villa Hügel, bis 1945 Wohnsitz der Stahldynastie Krupp und Symbol des Zeitalters der Industrialisierung. Ein feudaler Bau mit 269 Räumen, umgeben von einem 28 Hektar großen und mit Skulpturen gespickter Park.

Eine Wochenendtour kostet 255 Euro für vier Personen

Um den Alltag zu vergessen und anständig zu entschleunigen, empfiehlt sich die zweitägige Wochenendtour für 255 Euro, dazu kommen noch die Benzinkosten. Auf dem Weg gibt es mehrere Möglichkeiten, übernacht festzumachen. Die winzigen Boote bieten alles, was man braucht. Herd mit Spiritus-Kocher, Schrank, Stauraum, Tisch mit Sitzgelegenheiten, Schlafplätze für bis zu vier Erwachsene und eine Toilette, Typ „Cactus TT“.

Das gemächliche Dahinschippern bietet ausreichend Zeit, in die ereignisreiche Geschichte der Ruhr einzutauchen. Es war der Alte Fritz, der den Fluss für den Transport bis zur Rheinmündung in Duisburg schiffbar machte. Um 1780 ließ Friedrich der Große, König von Preußen, von Langschede bis nach Ruhrort 16 Schleusen bauen und ebnete damit ebenso den Aufstieg der Region von tiefer Provinz zum Mega-Industriestandort wie den der Ruhr von der fließenden Pfütze zu Deutschlands meistbefahrenen Industriefluss. Allerdings dauerte es bis zu den zwanziger Jahren des 19. Jahrhundert, bis die 54 Meter Gefälle in einem Rutsch überwunden werden konnten. Das Ruhrgebiet ward geboren. An den Ufern des Flusses wurde ein Schacht nach dem anderen in die Erde getrieben und Tonne für Tonne Kohle zu Tage gefördert und über die Ruhr zum Rhein geschippert. Dem Fluss machte das schwarze Pulver schwer zu schaffen. Entsetzt notierte der Biologe August Thienemann im Jahre 1911: „Sie stellt eine braunschwarze Brühe dar, die stark nach Blausäure riecht, keine Spur von Sauerstoff enthält und absolut tot ist“.

Die Ruhr ist heute ein ökologisch stabiles Gewässer

Inzwischen hat sich die Ruhr verwandelt, von einer verseuchten No-Go-Area zurück zur vitalen Lebensader. Knapp fünf Millionen Menschen trinken und waschen sich mit Ruhrwasser. 69 Kläranlagen haben den Fluss entgiftet und ihn zu einem ökologisch stabilen Gewässer gemacht.

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Zusätzlich Balsam für die geschundene Ruhrpottseele lieferte der 22. November 1985. Zum ersten Mal nach fast 100 Jahren wurde in der Ruhr ein Lachs gefangen. Der Ruhrverband-Ruhrtalsperrenverein frohlockte in einer Festschrift, wie das 80 Zentimeter lange, zehneinhalb Pfund schwere laichreife Männchen an der Raffelberger Brücke bei Mülheim aus dem Wasser gezogen wurde – „nach halbstündigem Kampf“. Heute gilt also wieder, was der Essener Kaufmann J. F. Wilhelmi 1828 aufschrieb: „Wer eine herrliche Gegend kennen lernen will, findet im Ruhrtal reiche Befriedigung.“

Entlang der Sieg wartet malerische Natur

Auch andernorts lässt sich ganz ohne Hilfe fossiler Energien auf dem Wasser einiges erleben. Zu den Highlights zählen Kanufahrten mit dem Stand-up-Paddle beispielsweise auf dem Biggesee im Kreis Olpe oder dem Möhnesee, einem der größten Stauseen Deutschlands. Aber auch entlang der Sieg werden Wasserfreunde mit malerischer Natur belohnt. Besonders beliebt bei den Paddlern ist die Tour von Eitorf nach Siegburg.

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Auf der Sieg kann man einen entspannten Paddeltag verbringen.

Der Einstieg erfolgt etwa 300 Meter vom Eitorfer Bahnhof entfernt unter einer Brücke. Auf den ungefähr 30 Kilometern Richtung Siegburg schlängelt sich der Fluss durch eine eindrucksvolle Vogelwelt: Reiher, Graugänse, Rotmilane und sogar Eisvögel. Auch alte Gemäuer, etwa die Burg Blankenberg, bieten einen Blickfang. Da es flussabwärts geht, kann man sich immer wieder auch treiben lassen. Trotzdem verlangen die fast fünf Stunden bis zum Ziel durchaus sportliches Engagement.  

Die Tretbootfahrer in ihren Ruhr-Schnecken können ebenfalls Zeuge werden, wie die Natur ihre Vielfalt zum Ausdruck bringt. Was man zu sehen bekommt, wenn man an einem kühlen Septembermorgen durch den Nebel gleitet, ist verblüffend. Kormorane, die nach Fisch jagen, Bisamratten und Graureiher, Haubentaucher, die sich mit Aalen balgen. Sogar Rehe sollen hin und wieder durch den Fluss schwimmen.

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