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Rheinland für Entdecker (34)Spannende Touren auf Bonns vorindustriellen Pfaden

Lesezeit 6 Minuten

Eine phantastische Aussicht hat man von der Rabenlay-Plattform auf Rhein und Eifel.

Wie gut kennen Sie das Rheinland? Wir nehmen Sie mit auf Entdeckertouren zu unbekannten Orten und erzählen neue Geschichten zu bekannten Ausflugszielen. Heute wandeln wir in Bonn auf frühindustrieller Spur.

Beißender Schwefelrauch lag über der Hochebene von Niederholtorf. Auf den kahlgeschlagenen Flächen qualmte die glühende Braunkohle Tag und Nacht, Säure verunreinigte das Wasser in den Bächen. Wo heute Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten an den idyllischen Ennert-Wald grenzen, erstreckte sich bis vor 150 Jahren ein Industriegebiet. Auf der sogenannten Ennert-Hardt war die größte Alaun-Produktion im damaligen Staat Preußen angesiedelt. Das Salz war Grundstoff für die Papierherstellung, diente als Beize in Färbereien und wurde zum Blutstillen genutzt – und es wurde mit einem so aufwendigen wie schmutzigen Verfahren im Ennert gewonnen.

Die Relikte aus dieser Zeit sind für Spaziergänger erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Der „Geschichtsweg Braunkohle und Alaun“ auf der Ennert-Hardt mit acht Infotafeln an Wegesrand öffnet den Wanderern die Augen für die Industriegeschichte. Unter der Federführung des Denkmal- und Geschichtsvereins Bonn-Rechtsrheinisch haben verschiedene Bürgergruppen die Historie wieder sichtbar gemacht.

Das „Forsthaus“ im Wald war das Verwaltungsgebäude einer der Fabriken, die Alaun in einem aufwendigen Verfahren aus schwefelhaltiger Braunkohle gewannen, wie diese Zeichnung zeigt.

Die Natur erobert zurück

Wer den Wanderparkplatz kurz vor Niederholtorf in Richtung Holzlar verlässt, blickt auf einen kleinen Weiher mit von Wasserlinsen grüner Oberfläche. Hier hat sich die Natur ihr Terrain zurückerobert. „Das war einmal ein Stauteich, indem Wasser für die Siedebecken gesammelt wurde, in denen das Alaunsalz aus der Asche der Braunkohle gekocht wurde“, sagt Christoph Keller. Der Archäologe vom Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland hat sich mit der industriellen Vergangenheit des Ennerts ausführlich befasst.

Keller weiß, dass in dieser Gegend ein Waldweg nicht einfach ein Waldweg ist. „Hier fuhr früher eine kleine Lorenbahn, die die Braunkohle aus dem Abbau in Oberholtorf auf die Flächen neben der heutigen Pützchens Chaussee brachte“, sagt der Experte und zeigt auf die Strecke, die hinter dem Weiher den Hang hinabgeht. Die Mulden in regelmäßigen Abständen am Wegesrand? „Hier sind die Loren vom Hauptweg abgebogen“, sagt Keller.

Carl Jakob Bachem erforschte die Alaun-Produktion.

Ein paar Meter weiter geht es steil bergab. Mountainbiker nutzen die bewaldeten Hügel als Trainingsstrecke. Natürlich gewachsen sind nur die Bäume. „Der Untergrund hier besteht nur aus Abraum der Alaun-Produktion“, sagt Keller. Im 19. Jahrhundert haben die Arbeiter die Aschereste aufgeschüttet. Was bleibt ist die rötliche Erde, durchzogen von Tonstücken, die für die Alaunproduktion notwendig sind. Ab und zu finden sich unter Laub und Ästen Mauerreste der schon erwähnten sogenannten Siedebecken.

„Vieles aus dieser Zeit ist allerdings nicht erforscht“, sagt Keller. Wichtige Dokumente seien im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Archäologen und Heimatforscher müssen sich auf alte Zeichnungen der Alaunhütten verlassen. Als gesichert gilt: Das als „Forsthaus“ bekannte Gebäude der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung an der Pützchens Chaussee diente einer der drei Fabriken in der Gegend als Verwaltungsgebäude. Diese Alaunhütte war im Jahr 1806 als erste von den Brüdern Leopold und Abraham Bleibtreu errichtet worden. Sie nutzten die Braunkohle aus Oberholtorf, die wegen ihres hohen Schwefelgehalts für die Alaunproduktion nützlich war.

Die Hardt als Mondlandschaft

Bis zu 500 Arbeiter waren nach Erkenntnissen des Denkmal- und Geschichtsvereins in den Holtorfer Fabriken beschäftigt. Sie litten unter „Hitze, Gestank und giftigen Emissionen“, heißt es in den Veröffentlichungen des Denkmal- und Geschichtsvereins. „Weite Flächen der Hardt werden zu jener Zeit wie eine Mondlandschaft gewirkt haben, von der Schlacke rot gefärbt und absolut vegetationslos.“ Vor allem der „rote Berg“, eine Schlacke-Halde oberhalb von Holzlar, lässt erahnen, welche Abraummengen in der Alaunproduktion angefallen sind. Die Bonner Heimatforscher gehen von 300 000 Tonnen in der 70-jährigen Produktionszeit der Werke aus.

Heute ist von den alten Umweltschäden nichts mehr zu sehen. „Die Halden sind ganz normal bewachsen“, sagt Revierförster Bernd Sommerhäuser. Die künstlichen Hügel, Löcher und Hänge erschwerten den Waldarbeitern lediglich die Bearbeitung des Geländes.

Die Natur hatte immerhin mehr als hundert Jahre Zeit, die Spuren der Alaunindustrie im Ennert zu verwischen. Ab 1857 verdrängte eine neue Methode die aufwendige Alaunproduktion aus Braunkohle. Das Salz fiel als Abfallprodukt bei der Herstellung von Soda aus grönländischem Kryolith an – das Ende für den Industriestandort Holtorf. Teile der Fabrikgelände wurden noch einige Jahre als Ziegeleien genutzt, dann breitete sich der Ennert-Wald auf den Abraumhalden aus.

„Die Geschichte der Alaunproduktion ist über Jahrzehnte hinweg völlig in Vergessenheit geraten“, sagt Heimatforscher Carl Jakob Bachem. Der Vorsitzende des Denkmal- und Geschichtsvereins Bonn-Rechtsrheinisch hat gemeinsam mit anderen Bürgern und Vereinen die industrielle Vergangenheit der Region für den Wanderweg mit Schautafeln aufgearbeitet. Und so kann der Waldspaziergang im Ennert zu einer Reise in die Vergangenheit werden.

Infos zu Ihrem Entdeckerausflug

Anreise: Der Geschichtsweg verläuft von Holzlar über Holtorf fast bis nach Vinxel. Der Einstieg kann frei gewählt werden. Gute Parkmöglichkeiten bestehen in Bonn an der Pützchens Chaussee kurz vor Niederholtorf.Einkehr: Idyllisch am Waldrand, nur wenige Schritte vom Alaun-Geschichtsweg entfernt, liegt die Hausbrauerei Ennert-Bräu (An den Hecken 1, 53229 Bonn). Hier gibt es neben Selbstgebrautem eher deftiges Essen von Schnitzel bis Burger.Etwas weiter entfernt, aber dafür im historischen Ambiente der Alaun-Abbauzeit gehalten, liegt die Kommende Ramersdorf. In dem Schloss bietet das Restaurant I Medici gehobene italienische Küche (Oberkasseler Straße 10, 53227 Bonn).Für Kinder: Etwa zwei Kilometer von Niederholtorf entfernt liegt das Fußballgolf-Feld des Vinxeler Heiderhofs (Heiderhof 1, 53639 Königswinter). Kinder und Erwachsene können hier auf 18 Rasenspielbahnen durch Hindernisse kicken. Das sechs Hektar große Areal liegt auf einer sonnigen Ebene und ist von der letzten Station des Alaun-Geschichtsweges in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen. Zwei bis drei Stunden sollten eingeplant werden, um den Parcours zu absolvieren.Für Historiker: Schon deutlich vor der Alaungewinnung hatte die Gegend rund um Niederholtorf eine größere kulturgeschichtliche Bedeutung. Im Ortsteil Oberholtorf (Stieldorfer Straße, 53229 Bonn) wurden die Überreste einer Saalkirche gefunden, deren Anfänge aus dem 7. Jahrhundert stammen sollen. Archäologen fanden im ehemaligen Chor des Gotteshauses, das später als Wohnhaus diente, mehrere Kindergräber aus dem 11. oder 12. Jahrhundert. Die Grundrisse der alten Kirche sind mit Steinplatten am Dorfrand abgebildet.Für Wanderer: Einen spektakulären Ausblick über das Rheintal bis in die Eifel bietet die Aussichtsplattform an der Oberkasseler Rabenlay. Vom Geschichtsweg ist sie zu Fuß in etwa 20 Minuten zu erreichen. Neun Meter ragt die Plattform über den Steilhang, Infotafeln geben Auskunft über Geologie sowie Vor- und Frühgeschichte der Region. Unterhalb der Plattform wurde das steinzeitliche Oberkasseler Doppelgrab entdeckt. Die Rabenlay ist sowohl von Oberholtorf als auch von Niederholtorf zu erreichen.