Risiko RollatorVon der Gefahr das Gehen zu verlernen
In Arztpraxen und Restaurants, in Bussen und Bahnen wird der Platz knapp: Immer mehr Ältere kommen mit Rollator. Aber wenn es sein muss, legen viele von ihnen kurze Strecken auch ohne mit erstaunlichem Tempo zurück. Wie die Frau, die einen Bus zu verpassen drohte – und ohne Rollator plötzlich sehr viel schneller am Bus war. Es ist offensichtlich, dass viele der Älteren keinen Rollator brauchen. Warum haben sie ihn dann?
Ein Patient, der beim Arzt über Gangunsicherheit klagt, bekommt nicht selten einen Rollator verschrieben. Nur zur Sicherheit. Außerdem fühlt sich der Patient mit seinem Problem ernst genommen. Und schließlich seien, wie ein Hausarzt unter der Hand sagt, die Rollatoren nicht budgetiert – im Gegensatz etwa zu Krankengymnastik könne er so viele verschreiben, wie er will.
Immer mehr Rollatoren auf Rezept
So wird großzügig verordnet: Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) nennt einen Zuwachs der jährlich auf Rezept verschriebenen Rollatoren von 38 Prozent in fünf Jahren. Den stärksten Anstieg verzeichnet die Kasse bei den relativ Jüngeren: bei den 60 bis 69-Jährigen sind die Verschreibungen sogar um 85 Prozent gestiegen. Plus Dunkelziffer, denn Rollatoren kann man günstig und ohne Rezept auch etwa beim Discounter kaufen.
Bei vielen ist der Rollator schlicht ein Missverständnis, wenn er lebenslang genutzt wird: „Wenn sich Patienten etwa die Hüfte gebrochen haben, wird das Gangbild durch den Rollator zunächst meist besser“, sagt Ulrich Lindemann, Sportwissenschaftler am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. „Allerdings sollte der Rollator bei den meisten Patienten nur vorübergehend eingesetzt werden: Schließlich sollen sie wieder lernen, ohne Rollator zu laufen.“
Aktionstage Gesund und mobil im Alter: Wann: Dienstag/Mittwoch, 23./24. Juni, je 10 bis 17 UhrOrt: Gürzenich, Martinstraße 29-37, 50667 Köln
Welche Veränderungen sind mit dem Alter verbunden? Wie erhalte ich meine Mobilität und Gesundheit? Zahlreiche Vorträge, Vorführungen und Workshops geben bei den vom Gesundheitsamt der Stadt Köln initiierten Infotagen Antwort. Freier Eintritt!
Bewegt älter werden in NRW
Das Programm des Landessportbundes will älter werdende Menschen zu mehr Sport und Bewegung animieren. Ob Walking, Tanzen, Schwimmen, Gymnastik oder Wandern – in einer Online-Datenbank finden Sie das passende Sportangebote in Ihrer Nähe.
www-lsb-nrw.de, Rubrik: „Bewegt älter werden in NRW“, telefonischer Kontakt: ☎ 0203/7381-832
Fit für 100 – Bewegungsangebote für Hochaltrige
Dieses Seniorensportprojekt will die Mobilität und Selbständigkeit aller Senioren ab 60, speziell aber der über 80-Jährigen fördern. Info: ☎ 0221/4982 6142
Rollatortraining
Mit dem Rollator unterwegs – aber sicher!
Donnerstag, 9. Juli 2015, 14 bis 16 Uhr
Malteser-Krankenhaus St. Hildegardis, Bachemer Straße 29-33, Köln. Kosten: 19 EuroAnmeldung: erforderlich unter ☎ 0221/4003-8080
Einmal Rollator - immer Rollator
Diese Entwöhnung ist aber schwer, oft bleibt der Rollator bis zum Lebensende erhalten. Auch weil es nach kurzer Zeit ohne Rollator schlicht nicht mehr geht. Denn das Gehirn gewöhnt sich an das Gehen mit einer zusätzlichen Stütze, es verlernt das normale Laufen. Die Verletzungsgefahr steigt. „Wer stürzt, kann sich natürlich immer verletzen. Aber wer mit Rollator stürzt, verletzt sich meist schwerer, einfach, weil er durch den Rollator am Abfangen gehindert wird oder in den Rollator hineinfällt“, sagt Lindemann. Auch die US-amerikanische und die britische Gesellschaft für Geriatrie führen die Nutzung von Gehhilfen (und damit auch den Rollator) unter den elf größten Risikofaktoren eines Sturzes.
Gleichgewicht verbessern
Es gibt versteckte, aber vermeidbare Sturz-, Schwindel- oder Unsicherheitsursachen: „Häufig hat der Patient Probleme beim Sehen. Oder eine schlecht beleuchtete Wohnung mit Stolperfallen. Oder er nimmt Medikamente ein, die unsicher machen. Oder die Gangunsicherheit wird durch Angst vor Stürzen verstärkt“, sagt Heike Wittenberg, Physiotherapeutin der St.-Mauritius-Therapieklinik in Meerbusch. „In solchen Fällen löst der Rollator das Problem nicht, sondern verdeckt es nur.“ Meist wäre ein Gleichgewichtstraining besser: Thomas Brandt, Leiter des Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrums in München, empfiehlt bei Gleichgewichtsstörungen statt Rollator ein Training, bei dem die Patienten über die normalen Alltagsleistungen hinaus trainiert werden. Damit soll eine Art Sicherheitspuffer geschaffen werden: „Beim trainierten Patienten sind reflexartige Korrekturen möglich, die aber beim Rollatorgehen verlernt werden“, so Brandt. „Denn nur Herausforderungen verbessern das Gleichgewicht: Jeder von uns kann Seiltanzen – aber das lernt man nicht auf dem Bürgersteig, sondern auf dem Seil.“
Gefahr: Gehen verlernen
Stattdessen verlernen viele durch den Rollator schon das normale Gehen. Viele benutzen ihn außerdem falsch, auch weil die Armstützen zu niedrig eingestellt sind. Dadurch zwingen sie den Nutzer zu einer vornübergebeugten Haltung. Und dazu, gleichsam hinter dem Rollator herzulaufen: Der Schwerpunkt liegt zu weit hinten, sie laufen auf Zehenspitzen, die Sturzgefahr steigt weiter. Das liegt auch daran, dass den Betroffenen der Rollator nicht erklärt wird. Ellen Freiberger von der Bundesinitiative Sturzprävention warnt: „Sie müssten lernen, wie sie mit dem Ding laufen – stattdessen haben sie Minuten nach den lieblos kurzen Einführungen meist alles vergessen. Und Bücher oder Broschüren über die richtige Benutzung gibt es auch nur wenige.“
Rollator mit Navi
Rollatoren sind häufig – und nicht mehr peinlich: „Der Rollator hat kein Stigma mehr – es ist einfach normal, ihn zu benutzen“, sagt Elisabeth Thomas, Ärztin der DAK-Gesundheit. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach attraktiven, oft teuren Modellen. Ulrich Lindemann arbeitet bereits am „intelligenten Rollator“, wie er ihn selbst nennt. „Wir wollen, dass der Rollator auch am Hang nicht zum Risiko wird: Er soll beim Bergaufgehen mit einem Elektromotor beschleunigen – und beim Bergabgehen automatisch bremsen“, so Lindemann. Auch an einem Rollator mit Navigationssystem wird gearbeitet: Er soll Menschen mit beginnender Demenz den Weg nach Hause zeigen – und könnte im Notfall durch Ortung zeigen, wo sie sind.
Für Ellen Freiberger ist der Rollator eigentlich praktisch, dessen ständige Nutzung aber ein Problem: „Ältere Menschen haben oft nicht mehr die Kraft, Einkaufstüten zu schleppen oder auch nur längere Strecken zu gehen – dafür sind Rollatoren sinnvoll. Aber bitte nur für diese Strecken. Die Menschen müssen lernen, den Rollator nur dort zu benutzen, wo er für sie unverzichtbar ist – und den Rest ohne ihn zu gehen.“