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Fotografin porträtiert Kinder mit Down-Syndrom„Die Fotos sind mein Tagesaufheller"

Lesezeit 5 Minuten

Es began als ehrenamtliche Tätigkeit, nun stellt die Fotografin Jenny Klestil ihre Bilde in ganz Deutschland aus.

Eigentlich sollte es nur ein kleines, ehrenamtliches Projekt werden, zum Welt-Down-Syndrom Tag im März. Die Kölner Fotografin Jenny Klestil hatte sich vorgenommen, Porträts zu machen von Kindern mit Down-Syndrom aus Köln und der Umgebung. Zehn Aufnahmen, gratis für die Familien auf Papier und CD. Sie bewarb die Aktion in ihrer Facebook-Gruppe. Die Resonanz: riesig. Familien reisen immer noch aus ganz Deutschland zu ihr an, fast jede kennt eine weitere, die auch mitmachen will. „Glück kennt keine Behinderung“ hat Klestil ihre Aktion getauft. Neun Tage alt war ihr jüngstes Fotomodel, 49 Jahre das älteste. Heute ist Nico dran. 15 Monate, blond, ein Sonnenschein im Streifenpulli. Seine Wangen sind gerötet vom Wind als er von seinem Vater in Jennys Rodenkirchener Fotostudio getragen wird. Er erkundet den Raum und will sich vorwärts schieben, doch der Holzdielenboden ist glatt, das Krabbeln hier nicht so einfach. Seine Eltern setzen sich zu ihm, Jenny Klestil zückt ihre Kamera.

Keine gekünstelten Posen

Fotografiert sie Kinder mit Behinderung eigentlich anders als Kinder ohne? „Nein“, sagt sie, „ich fotografiere meine Menschen immer spontan, mit Tageslicht und möglichst natürlich, so wie sie eben sind.“ Gekünstelte Posen mag sie nicht, Vorurteile über Menschen mit Down-Syndrom auch nicht. „Klein, gedrungen, Klops – das sind die Bilder, die viele immer noch im Kopf haben. Andere glauben, dass Down-Syndrom-Kinder immer fröhlich und gut drauf sind. Das ist ebenfalls Quatsch. Sie sind genau so wie wir, nur wenn sie keine Lust auf etwas haben, zum Beispiel auf Fotos machen, dann zeigen sie das auch deutlich.“ Nico hat heute Lust, er lässt sich sogar in eine rechteckige Holzkiste setzen. Versucht aber kurz darauf, an einer Seite wieder hinaus zu klettern. Rainer Bolz, sein Vater, fängt ihn auf, kurz vor dem Fall. Er und seine Freundin haben erst nach der Geburt erfahren, dass Nico Trisomie 21 hat. „Ich bin mit 24 Jahren schwanger geworden“, sagt Jenny Engelkemeier. „Da denkt man doch über so etwas gar nicht nach. Wir haben auch bewusst keine Tests gemacht, wir wollten unser Kind so nehmen wie es ist.“

Im Moment leben

Als nach der U2-Untersuchung beim Kinderarzt die Diagnose feststand, war das für die Eltern „natürlich ein Schock“, wie sie rückblickend sagen. „Ich war so kurz nach der Geburt noch im Rausch der Hormone. Dass unser Sohn das Down-Syndrom hat, fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Warum wir?“, haben sich Jenny und Rainer damals gefragt. Aber gleichzeitig war da auch ganz schnell dieses starke Gefühl: „Es ist unser Kind und wir lieben es so wie es ist.“ Heute sagt das Paar aus Köln-Buchheim: „Wir machen einfach das Beste draus.“Kinder mit Down-Syndrom leben völlig im Moment. „Und das ist nicht traurig oder bemitleidenswert, sondern toll, davon hätte auch ich manchmal gern mehr in meinem Leben“, sagt Jenny Klestil. „Ich will dich heiraten!“ Sie war ganz baff, als ihr ein 14-Jähriger das nach dem Fotoshooting gesagt hat. „Das kam so herzlich und von innen heraus, einfach schön.“

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Der Mensch steht im Vordergrund, nicht seine Behinderung

Inzwischen hat die Fotografin schon 130 Familien porträtiert. Ihre Bilder wurden in der Alten Feuerwache, im Kölner Geburtshaus und in der Kinderklinik in der Amsterdamer Straße ausgestellt. Momentan sind die Fotos in der Frauenklinik der Kölner Uniklinik zu sehen. Für 2016 hat sie Ausstellungstermine unter anderem in München, Heidelberg und in der Schweiz. „Ziel meiner Ausstellungen ist es, vielen Familien ein Fotoshooting zu ermöglichen, in dem das Kind, der Bruder oder die Schwester als Mensch zu sehen ist, ohne dass die Behinderung eine Rolle spielt oder in den Vordergrund tritt“, so Klestil. Ein Fotobuch mit persönlichen Texten von den porträtierten Familien ist auch gerade erschienen. „Das Projekt macht mir so einen Spaß, ich finde einfach den Absprung nicht“, gesteht die dreifache Mutter lachend. „Ich freue mich auf jede neue Begegnung. Sie sind so etwas wie ein Tagesaufheller für mich.“ Im neuen Jahr nimmt sie wieder Fototermine an. Aber sie gibt auch zu, dass das Projekt sehr viel Organisationsarbeit verschlingt. Durch Crowdfunding hat Klestil 5000 Euro gesammelt, sonst hätte sie die vielen Gratis-Shootings gar nicht realisieren können.

Fotos als Mutmacher

Wenn die Fotografin die Familien vergleicht, die zu ihr ins Studio kommen, ist ihr ein Unterschied schon öfter aufgefallen. „Die Normalo-Mütter haben oft ganz bestimmte Vorstellungen vom Shooting. Es muss an einem Samstag sein, der Papa muss unbedingt mit, Parkplatz suchen, schnell, schnell. Wenn sie ankommen, sind sie oft ziemlich gestresst.“ Die Down-Familien dagegen seien meist entspannter, weil sie gar keine Erwartungshaltung hätten. „Und viele Alltagsprobleme wie Parkplatzsuche lassen Eltern von behinderten Kindern relativ kalt.“ Jenny Klestil weiß aber auch: Etwa 95 Prozent aller Ungeborenen mit Down-Diagnose werden in Deutschland abgetrieben. Mit ihren Bildern will die Kölnerin werdenden Eltern und allen anderen Mut machen und zeigen, wie lebenswert das Leben sein kann, auch wenn ein Chromosom oder Teile von ihm dreifach vorhanden sind. „Die sehen ja gar nicht so behindert aus“, ist einer der Sätze, die sie von manchen Besuchern während den Ausstellungen immer wieder hört. „Einer der schönsten Momente war, als eine junge Mutter zu mir kam, die vor kurzem selbst ein Kind mit Down-Syndrom bekommen hat. Sie sagte zu mir, meine Bilder hätten ihr Mut gemacht. Sie hätten ihr ein Stück weit die Angst genommen. Weil auch die Erwachsenen auf den Fotos glücklich aussehen.“