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Forscher mahnenKlimaziele ohne verstärkte CO₂-Entnahme nicht erreichbar

Lesezeit 3 Minuten
Dampf und Rauch steigt im Gegenlicht aus den Braunkohlekraftwerken Neurath II (l) und Neurath I bei Grevenbroich auf.

Das freigesetzte Kohlenstoffdioxid muss aus der Atmosphäre wieder entfernt werden, um das Klima zu schützen.

Hunderte Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid müssen aus der Atmosphäre entfernt werden. Das sei Forschenden zufolge notwendig, um die Klimaziele zu erreichen. Sie haben erstmals eine Bestandsaufnahme zur CO₂-Entnahme gemacht – und einen enormen Aufholbedarf festgestellt.

Ein Kohlenstoffdioxid-Speicher unter dem Meeresboden – genau der könnte Deutschland dabei helfen, seine Klimaziele zu erreichen. Es wäre eine Art CO₂-Endlager. Dort eingeschlossen, könnte das Treibhausgas dem Klima nicht mehr schaden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plant, die sogenannte „Carbon Capture and Storage“-Technik, kurz CCS, auch in Deutschland einzusetzen. Noch in diesem Jahr will er ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen.

CO₂ unterirdisch zu speichern, das klingt zunächst nach Science-Fiction. Doch um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, wie im Pariser Klimaabkommen festgelegt, braucht es kurz- und langfristig neben deutlich geringeren CO₂-Emissionen auch Formen der Kohlendioxidspeicherung. Hunderte Milliarden Tonnen des Gases müssen der Atmosphäre im Laufe des Jahrhunderts entzogen werden. Darauf weist der erste Sachstandsbericht zur CO₂-Entnahme „State of Carbon Dioxide Removal“ hin, an dem mehr als 20 internationale Fachleute mitgewirkt haben.

Bäume als natürliche Kohlenstoffsenken

„CO₂-Entnahmen sind eine Notwendigkeit“, betonte Jan Minx, Autor des Berichts und Leiter der Forschungsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change, im Gespräch mit dem Science Media Center (SMC). „Sie werden nicht vom Himmel fallen, wir müssen uns darum kümmern.“

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Schon jetzt wird CO₂ aus der Atmosphäre entfernt, vor allem durch konventionelle landgestützte Methoden wie Aufforstungen. Bäume sind natürliche Kohlenstoffsenken. Sie brauchen das Gas, um zu wachsen, und binden es dabei im Holz. Durch Aufforstungen, aber auch eine nachhaltige Bodenbewirtschaftung würden jedes Jahr etwa zwei Gigatonnen CO₂ der Atmosphäre entzogen, schätzen die Forschenden. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müsste sich die CO₂-Entnahme bis 2050 gegenüber 2020 verdoppeln.

Neue CO₂-Entnahmemethoden sind kaum im Einsatz

Konventionelle Entnahmemethoden allein würden dafür nicht ausreichen, heißt es im Bericht. Es müssten ebenso neue Entnahmetechnologien gefördert und ausgebaut werden. Dazu gehören etwa:

  • Bioenergie mit CO₂-Abscheidung und ‑Speicherung (BECCS): Dabei werden schnell wachsende Pflanzen angebaut, die der Atmosphäre CO₂ entziehen. Sie werden geerntet, in Anlagen verbrannt, wobei Energie gewonnen und das im Verbrennungsprozess freigesetzte CO₂ permanent gespeichert werden kann.
  • Biokohle: Sie kann in der Landwirtschaft als Dünger eingesetzt werden, was die Bodenqualität verbessert und CO₂ für Jahrtausende im Boden bindet.
  • Beschleunigte Verwitterung: Dabei werden zerkleinerte Mineralien auf Landflächen verteilt, die helfen, CO₂ aus der Luft chemisch zu binden.
  • Direktabscheidung von CO₂ aus der Luft und Speicherung (DACCS): Es handelt sich dabei um eine große Ventilatoren- und Filteranlage. Diese saugt Luft ein, leitet sie durch eine chemische Lösung, die das CO₂ entfernt. Danach wird die Luft wieder der Atmosphäre zugefügt. Das abgeschiedene CO₂ kann zum Beispiel über Pipelines in die Erde gepumpt und unterirdisch gespeichert werden.

Diese neueren Verfahren machen bisher nur einen winzigen Teil der CO₂-Entnahme aus. Die Forschenden gehen von schätzungsweise 0,002 Gigatonnen CO₂ pro Jahr aus, die so aus der Atmosphäre entfernt werden. „Da stehen wir wirklich noch total am Anfang“, sagte Minx. „Wir stehen fast noch bei null.“ Was wohl auch daran liegt, dass diese Methoden noch mit Argwohn betrachtet werden. Dabei müsste ihr Einsatz eigentlich massiv steigen – um das 1300-Fache bis 2050, wie aus dem Sachstandsbericht hervorgeht.

CO₂-Entnahmen sind kein Allheilmittel

„Wir hinken bei den CO₂-Entnahmen wirklich deutlich hinterher“, betonte Minx. Und die Lücke zwischen dem, was die Länder an CO₂-Entnahmen planen, und dem, was erforderlich ist, um das 1,5-Grad-Ziel und die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, wird nicht kleiner. Nur wenige Länder wollen ihre CO₂-Entnahmen deutlich steigern, geschweige denn neue Technologien einführen. Nach Ansicht von Minx ist die Kohlendioxidspeicherung momentan kein technologisches, sondern ein politisches Problem, weil der nötige Rahmen fehle, die Methoden und Optionen auszuweiten.

Ein Allheilmittel sei die CO₂-Entnahme aber nicht, heißt es im Sachstandsbericht. Es brauche am Ende beides: tiefgreifende Emissionssenkungen sowie konventionelle und neue Technologien zur CO₂-Entnahme. Es gehe nicht mehr um ein Entweder-oder, stellte Oliver Gerden, ebenfalls Autor des Berichts und Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, gegenüber dem SMC klar. Er forderte die Länder, die sich Netto-Null-Emissionsziele gesetzt haben, auf, mitzuteilen, wie viel CO₂ sie der Atmosphäre künftig entziehen wollen, mit welchen Methoden das geschehen soll und wer dafür zahlt. „Wer darauf keine Antwort hat, dessen Netto-Null-Ziel kann man eigentlich gar nicht ernst nehmen.“

Die Forschenden planen, regelmäßig einen neuen Sachstandsbericht zur CO₂-Entnahme zu veröffentlichen. Auch, um das Wissen zur Kohlendioxidspeicherung zu verbessern und Schritt für Schritt mehr Menschen zugänglich zu machen. „Vor zwanzig Jahren waren die erneuerbaren Energien ein Nischensektor“, schreiben die Autorinnen und Autoren. „Heute bietet sich ein völlig anderes Bild. (…) Das CDR (Carbon Dioxide Removal, also die CO₂-Entnahme, Anm. d. Red.) steht am Anfang einer ähnlichen Reise.“

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