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100 Ideen für KölnNavid Kermani wünscht sich das „Theater der Welt“-Festival nach Köln

6 min
Der Schriftsteller Navid Kermani wünscht sich, dass Köln wieder Kulturstadt wird. (Archivbild)

Der Schriftsteller Navid Kermani wünscht sich, dass Köln wieder Kulturstadt wird. (Archivbild)

Navid Kermani wünscht sich eine Wiederentdeckung der Geschichte Kölns. Durch das Festival „Theater der Welt“ könnte die Stadt erneut eine Kulturstadt werden.

Was ist meine konkrete Idee für Köln?

Was mich begeistern würde, wäre eine Bewerbung Kölns als Austragungsort für das Festival „Theater der Welt“.

Warum wäre meine Idee gut für Köln?

Wir alle wissen, dass Köln als Kulturstadt in den letzten zwei, drei Jahrzehnten gelitten hat. Noch in den 1970er, 80er Jahren war Köln unter den deutschen Metropolen einfach „die“ Kulturstadt. Ich weiß, wenn ich unsere Stadt in einer Reihe mit New York und London stelle, höre ich von Jüngeren immer: „Ach, du übertreibst!“ Höchstens ein bisschen!

Köln verfügt über eine reiche Geschichte

Köln ist seit dem Krieg nicht mehr schön, leider, aber es hat Geschichte, den Dom, die romanischen Kirchen, die Überreste aus der Antike – aber vor allem hat beziehungsweise hatte es Kultur: die wichtigsten Galerien Europas, Alte Musik, Neue Musik, elektronische Musik, Weltmusik, Jazz, Rock (ich sage nur Stockhausen, Kagel, Can; und Keith Jarrett hatte sein berühmtestes Konzert auch nicht zufällig „in Cologne“). Oper und Theater hatten international Strahlkraft, auch die berühmten Kunstsammlungen. Es gab eine ungewöhnliche Dichte an großen Autoren, von Heinrich Böll bis hin zu dem viel zu früh verstorbenen Rolf-Dieter Brinkmann. Dann die neugebaute, immer noch fantastische Philharmonie mit dem Museum Ludwig obendrauf.

Autoren wie Heinrich Böll lebten in Köln. (Archivbild)

Autoren wie Heinrich Böll lebten in Köln. (Archivbild)

Das hatte Glanz, das zog Menschen von weither an und hatte auch in Köln selbst Publikumswirkung in großer Breite. Seitdem ist die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas elend gescheitert, sind viele Galerien abgewandert, und die Freie Szene erlebte eine Kürzungsrunde nach der anderen. Die artcologne hat auch nicht mehr die Bedeutung früherer Tage. Die „Akademie der Künste der Welt“ hat nicht richtig funktioniert. Und den „Acht Brücken“ als einem der wenigen überregional beachteten Festivals hat die Stadt für 2026 den Stecker gezogen: Die Finanzierung ist futsch, die Acht Brücken GmbH wird liquidiert.

Sicher, wir haben die lit.Cologne, die ist toll. Es gibt jetzt zusätzlich die Poetica, um die uns viele Literaturinteressierte beneiden, wir haben das Schauspiel, das im Provisorium in Mülheim erstaunlich gut standgehalten hat. Die Philharmonie macht weiterhin ein exzellentes Programm, es gibt viele weitere fantastische Kulturereignisse – aber für eine Millionenstadt sind es dann doch weniger geworden, zu wenige wohl, als dass man wie früher wegen der Kunstszene oder der Musik nach Köln zieht oder wir die Kultur als einen Standortvorteil einbringen können im Wettbewerb der Großstädte.

In Köln gibt es bereits kulturelle Angebote wie die Poetica. (Archivbild)

In Köln gibt es bereits kulturelle Angebote wie die Poetica. (Archivbild)

Die Bewerbung für „Theater der Welt“ würde ein Zeichen setzen, dass Köln wieder eine Kulturstadt sein will und keine Eventstadt, wie es das Stadtmarketing über viele Jahre idiotischerweise versucht hat. Das wichtigste internationale Theaterfestival in Deutschland ist ein seit 40 Jahren etabliertes Format. Inspiriert vom „Theater der Nationen“ 1979 in Hamburg, findet es seit 1981 in einem Turnus von zwei bis vier Jahren an wechselnden Standorten statt. Premierenstadt vor 44 Jahren war tatsächlich: Köln!

Theater der Welt öffnet neue Horizonte

Seitdem war das Theater der Welt in Frankfurt zu Gast, in Stuttgart, Hamburg, Essen, München, Dresden, Berlin, beim rheinischen Städteverbund Köln/Bonn/Düsseldorf/Duisburg, in Halle, Mülheim an der Ruhr und zuletzt 2023 erneut in Frankfurt, kombiniert mit Offenbach. 2026 kommt das Theater der Welt nach Chemnitz. Überall war das für die Städte und die Bevölkerung ein Riesenfest. Weil es neue Horizonte eröffnete und ungewöhnliche Begegnungen ermöglichte, weil es Theaterformen zeigte, die man wenig bis gar nicht kennt, weil es Künstlerinnen und Künstler in die Städte brachte, die jeder für sich ein Fenster zur Welt waren.

Ich fände es großartig, wenn Köln den Finger heben würde und fürs übernächste Mal oder so den Zuschlag bekäme. Das wäre mal wirklich ein Ereignis, sogar ein richtig großes – gerade für Köln, das sich Vielfalt, Diversität, Internationalität auf die Fahnen geschrieben hat und dessen Bevölkerungsstruktur so bunt ist wie wahrscheinlich in keiner anderen deutschen Stadt.

Wie könnte die Umsetzung gelingen?

Zunächst einmal braucht es die Lust an Kultur, an Theater. Ich glaube, die gibt es in Köln – und sollte sie bei dem einen oder der anderen eingeschlafen sein, weil ihm der Weg nach Mülheim zu weit war, lässt sie sich mit der Aussicht auf das „Theater der Welt“ bestimmt wecken – in einer Bevölkerung, in der immer irgendwer die Sprache der auswärtigen Theatergruppen spricht, und in der es nun wirklich eine Offenheit gibt für Neues, für Fremdes, für Experimente.

Das Schauspiel Köln im Depot in Mülheim, der Interimspielstätte während der Sanierung des Offenbachplatzes.

Das Schauspiel Köln im Depot in Mülheim, der Interimspielstätte während der Sanierung des Offenbachplatzes.

Wir haben vielleicht nicht mehr die Fülle an künstlerisch herausragenden Ereignissen – aber das große und selten begeisterungsfähige Publikum haben wir allemal. Das höre ich von auswärtigen Künstlerinnen und Künstlerin immer wieder: Was für ein tolles Publikum es hier gibt!

Welche Ressourcen oder Beteiligten braucht es dafür?

Die Infrastruktur ist bereits da. Als Spielstätten lassen sich das „Depot“ des Schauspielhauses in Mülheim nutzen, aber ebenso die freien Theater, die in ihrer ständigen Arbeit ja auch vielfach auf ausländische Regisseure und Darsteller setzen – und natürlich das neue, alte Schauspiel! Statt länger über das Desaster und die immensen Kosten der Renovierung zu klagen (ja, auch ich würde gern erfahren, wer dafür eigentlich die Verantwortung trägt), wird es spätestens mit der Neueröffnung Zeit, sich über einen der schönsten und modernsten Theaterräume in Deutschland zu freuen. Wenn das kein Anlass ist, das Theater der Welt nach Köln zu holen, weiß ich es auch nicht. Der neue Intendant Kay Voges setzt jetzt auch auf Impulse von außen, auf Kooperationen, und daran könnte man wunderbar anknüpfen, die Netzwerke gibt es dann schon.

Eine übergeordnete, eingespielte Betreuung ist durch das „Internationale Theaterinstitut“ (ITI) in Berlin gegeben. Und die Finanzierung? Das „Theater der Welt“ erhält eine Basisförderung, die zu je einem Drittel von der austragenden Stadt, vom jeweiligen Bundesland und vom Bund kommt. Das heißt: Köln müsste Logistik und Kosten nicht alleine stemmen. Auch das sind gute Aussichten, oder?

Aufgezeichnet von Joachim Frank

Zur Person

Navid Kermani, geb. 1967 in Siegen, ist Schriftsteller, Orientalist und Reporter. Seit 1971 ist er Fan des FC, seit 1988 lebt er in Köln, und seit 2006 ist er mit Guy Helminger Gastgeber des „Literarischen Salons“ im Stadtgarten. Für sein literarisches Werk erhielt Kermani vielfach Auszeichnungen.

Zur Serie „100 Ideen für Köln“

„100 Ideen für Köln“ ist die Serie des „Kölner Stadt-Anzeiger“, die der Stadt neue Impulse verleihen soll: „100 Ideen für Köln“. Was muss passieren, damit die viertgrößte Stadt Deutschlands mit ihrer Strahlkraft in die Region zukunftsfähig bleibt? Was ist dringend zu verbessern? Was fehlt in dieser Stadt? Im Vorfeld der Kommunalwahl am 14. September sammeln wir besten Vorschläge, Lösungen und Visionen – auch als Inspiration für die künftige Stadtspitze. Dazu fragen wir nicht nur prominente Vertreter der Stadtgesellschaft, sondern auch Sie, liebe Leserinnen und Leser: Stimmen Sie ab über die ersten 50 Ideen für Köln.