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8. Mai Tag der BefreiungKöln nach dem Zweiten Weltkrieg

Lesezeit 6 Minuten

Der Krieg ist vorbei, die Menschen kehren mit ihren Habseligkeiten zurück nach Köln, das fast vollständig zerstört ist.

Köln – Die Familie überquert den Rhein über die Behelfsbrücke, die die Amerikaner aus Holz gebaut hatten. Der kleine Georg Seiwert, seine Mutter, sein Bruder und seine beiden Schwestern sind zurück in der Heimat. Irgendwann Anfang der 1940er Jahre war Georg Seiwert mit seinem Vater in der Kölner Innenstadt gewesen. Damals war die Stadt noch halbwegs intakt. Jetzt, im Oktober 1945, liegt sie in Schutt und Asche. Trotzdem: Als Familie Seiwert aus Weidenpesch über die improvisierte Flussüberquerung neben der zerstörten Hindenburgbrücke ins Linksrheinische zieht, den aus Trümmern emporragenden Dom vor Augen, ist sie glücklich. Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, die Nazis entmachtet, die Evakuierung in Thüringen überstanden. „Wir waren froh, dass wir in Köln waren“, sagt Georg Seiwert, damals acht Jahre alt.

1945 ist Köln eine Ruinenstadt. 78 Prozent aller Gebäude sind mehr oder weniger beschädigt, die Innenstadt ist zu 90 Prozent zerstört. Die Trümmermenge wird auf 30 Millionen Kubikmeter taxiert – 73 Mal mehr als das Volumen des Kölner Doms. Ganze Straßenzüge sind bis zur Unkenntlichkeit verwüstet. Die Einwohnerzahl lag vor dem Krieg bei 768 000. Nun sind es etwa 40 000, im Linksrheinischen 10 000. Es ist eine entvölkerte Großstadt. Viele Kölner sind vor den Fliegerangriffen, die Köln in den letzten Kriegsjahren in eine Hölle verwandelten, geflüchtet beziehungsweise in Sicherheit gebracht worden. Die Gesamtbilanz ist verheerend: Etwa 20 000 Menschen starben bei den Angriffen, weitere 20 000 Kölner an der Front, 11 000 Juden in den KZs. Zu den Opfern der Nazis zählen zudem etwa 4000 Sinti, Roma, Behinderte, Zwangsarbeiter und politische Gegner. Die Überlebenden kommen nun zu Tausenden zurück. Viele von ihnen zu Fuß, gemäß Willi Ostermanns Evergreen „Ich möch ze Foß noh Kölle jon“.

Paul Haentjes

Paul Haentjes kommt mit dem Zug. Der 17-Jährige war Ende April 1945 in amerikanische Gefangenschaft geraten, in Bad Kreuznach musste der einstige Luftwaffenhelfer aus Lindenthal mehrere Wochen lang mit Tausenden Mitgefangenen auf freiem Feld übernachten. Wie Familie Seiwert steigt Haentjes am Bahnhof Deutz aus, abgemagert und lebenshungrig. Er hat eine Keks-Dose mit Andenken an den Krieg und die Gefangenschaft dabei – darin befinden sich unter anderem ein selbst gebauter Löffel, seine Erkennungsmarke, ein Rosenkranz, seine Schulterklappe mit Durchschussloch.

„Mit mir ziehen viele Menschen zur Holzbrücke“, schreibt Haentjes einige Jahre später über seine Rückkehr: „Zu Fuß, mit Karren und Wägelchen, mit Fahrrädern oder auf Lastautos thronend, so ziehen sie herüber in die Trümmerwüste. Die Brücken liegen in Trümmern, aus dem Wasser ragen die Reste noch heraus – und im Hintergrund stehen noch die Domtürme. Dieser Anblick der Vernichtung und zugleich die Freude der Heimkehr lassen einem jeden die Tränen in die Augen treten.“

Haentjes, der 2012 mit 84 Jahren starb und der das Nachkriegs-Köln in Wort und Bild akribisch dokumentierte, geht auf dem Weg zur elterlichen Wohnung zum Neumarkt, dann zum Ring und vorbei an den Trümmern der Dürener Straße. „Es kommt mir nun komisch vor, dass dies hier alles nun unter der Besatzung steht. Bisher waren diese Trümmer für mich verbunden mit der Erinnerung an brennende Häuser, an aufgeregte Parteibonzen, löschende HJ und seltsamen SHD (Sicherheits- und Hilfsdienst, Anm. d. Red).“ Nun beginnt eine neue Zeit.

Albin Köhler

Auch für Albin Köhler. Der gebürtige Ehrenfelder, der später 55 Jahre lang in der Merkensstraße in Neuehrenfeld einen Friseurladen haben wird, kehrt im Mai 1945 aus Menden im Sauerland nach Köln zurück.

Dort hat er bei einer Tante die letzten Kriegsmonate verbracht. „Wir haben mit tausend Leuten eine Nacht auf der Wiese am Deutzer Rheinufer verbracht, bevor die Brücke wieder geöffnet wurde“, erinnert sich der 83-Jährige. Am nächsten Morgen geht es nach Ehrenfeld, wo die Familie in der Overbeckstraße seit Jahrzehnten eine Bäckerei betreibt. „Die Fenster waren raus und das Dach war abgebrannt“, erzählt Köhler, „Aber die Bäckerei stand noch, und Vater, Oma und Opa lebten.“

Es geht voran. Die Bäckerei kriegt Strom, Wasser muss die Familie aus einem nahe gelegenen Brunnen holen. Es ist eine schwierige Zeit, „aber die Menschen waren glücklich, dass der Krieg vorbei war“, sagt Köhler. Und der damals 13-jährige Albin trägt seinen Teil zur Versorgung der Familie bei. Mit der Rheinuferbahn macht er sich zu „Hamsterfahrten“ nach Bornheim auf. „Beim ersten Mal hatte ich einen Koffer mit Grammophon, ein paar Schellackplatten und Betttücher dabei.“ Er solle mal schauen, was er dafür bekommt, hatten ihm die Eltern mit auf den Weg gegeben. Als er abends zurückkehrt, legt er seine Ausbeute auf den Tisch: Zwölf Eier, zwei Blumenkohl und ein paar Pfund Tomaten. „Damals wurde getauscht und gemaggelt wie jeck“, sagt das Ehrenfelder Urgestein. Neben der Bäckerei gibt es eine Margarinefabrik, „da bin ich dann immer mit 20 weißen Brötchen hin und kriegte dafür ein Kilo Margarine.“ Die Familie, sagt Köhler, habe nicht wirklich Hunger gelitten: „Es war immer was zu holen.“ Ein paar Monate lang geht Köhler auf die wieder eröffnete Volksschule Platenstraße – dann beginnt er eine Friseurlehre. Und er weiß noch genau, was die Kunden damals zahlen mussten: Haareschneiden 75 Reichspfennig, Rasieren 35 Reichspfennig.

Georg Seiwert

Auch Georg Seiwert, heute 79 Jahre alt, wird die erste Zeit nach dem Krieg nicht vergessen. Er und seine ältere Schwester legen nach dem tagelangen Rückweg aus Thüringen und der Entlausung am Deutzer Bahnhof eine Pause an der Nordseite des Doms ein. Kaum ein Mensch begegnet ihnen. „Die Kölner Innenstadt war tot, es lebte da keiner mehr“, sagt Seiwert. Seine Mutter, der Bruder und die jüngere Schwester machen sich währenddessen auf den Weg nach Weidenpesch, das damals Merheim linksrheinisch heißt. Sie wollen wissen, ob das Haus der Familie noch steht. Nach Stunden kommt der Bruder mit einer Nachbarstochter zurück: „Ihr könnt mitkommen“, sagen sie erleichtert: „Das Haus steht noch.“

Die vier Kinder machen sich auf den Weg über den Eigelstein zum Ebertplatz, der damals Deutscher Platz heißt. „Da fuhr die allererste Straßenbahn Richtung Norden“, erinnert sich Seiwert. Die Fahrt geht über die Neusser Straße, die zwar schon befahrbar ist, aber flankiert ist von zerstörten Gebäuden. Der Junge nimmt die Schäden nicht wahr. „Es waren doch überall nur Trümmer.“ Seiwerts Vater arbeitet als Postbeamter, in den letzten Kriegsmonaten war er in Göttingen im Einsatz. Kontakt zum Rest der Familie im thüringischen Kraftsdorf hat er in dieser Zeit nicht. Als Georg Seiwert sein Elternhaus erreicht, ist sein Vater schon zurückgekehrt. Die Familie ist wieder beisammen. „Wir waren zu Hause angekommen“, sagt Seiwert.