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AusflugszielWarum auf dem Kölner Südfriedhof ein Stück britisches Staatsgebiet liegt

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Britisches Staatsgebiet mitten in Köln: Das Gräberfeld von Soldaten und Mitarbeitern des Commonwealth

Britisches Staatsgebiet mitten in Köln: Das Gräberfeld von Soldaten und Mitarbeitern des Commonwealth

Friedhöfe als Ausflugsziel – mancher mag den Vorschlag befremdlich finden. Der Kölner Stadt-Anzeiger widmet ihnen trotzdem eine Sommerserie, weil diese Orte in der oft so lauten und hektischen Großstadt tatsächlich wunderbare Ziele für entspannende Spaziergänge sind. Die Idee liegt nahe, war doch Ziel der Planer von Kölns großen Friedhöfen immer auch, richtige Parkanlagen zu schaffen.

Der Südfriedhof in Zollstock ist ein solcher Ort der Besinnung, Erholung und Erbauung in einem Stück Stadtnatur, das Lebensraum für Füchse, Eulen, Mäusebussarde oder Halsbandsittich geworden ist; dazu ein faszinierender Ort, um ein wenig in die Stadtgeschichte zu reisen. Außerdem ermöglicht er ohne Aufwand einen Besuch in Großbritannien.

Gärtnertruppe im Auftrag ihrer Majestät

Eine internationale Gärtnertruppe pflegt in diesen Tagen im Auftrag Ihrer Majestät ein Stück Zollstocker Land, das vom Vereinigten Königreich 1922 gekauft und in sein Hoheitsgebiet einbezogen wurde. Fast 3000 Angehörige der Commonwealth-Staaten sollten nicht in fremder Erde begraben werden. Die Namenszüge auf den schlichten weißen Grabsteinen zwischen Rosen, Teppichknöterich und gelbem „Mädchenauge“ zeugen von der einstigen Größe des britischen Empires.

Es verwundert, dass die Soldaten und Angehörigen der Militärverwaltung nach dem Ersten Weltkrieg nicht in ihren Heimatländern beigesetzt wurden. Franzosen und Belgier gruben die Überreste ihrer Landsleute aus, um sie nach Hause zu überführen. Großbritannien, aber auch Italien, das ebenfalls Anfang der 1920er Jahre in Zollstock ein Grundstück kaufte, ließen ihre Toten in Köln. So ruhen sie nun gemeinsam mit deutschen Soldaten, im Lazarett verstorbenen Russen, Rumänen und Serben sowie Tausenden zivilen Kriegsopfern auf dem gleichen Friedhof.

Bis heute andere Zuständigkeiten

Bis heute gelten für das britische Gräberfeld andere Zuständigkeiten: Friedhofsführer wie der Kölner Krätzchensänger Günter Schwanenberg erzählen die Geschichte von zwei Jugendlichen, die britische Gräber geschändet haben sollen. Die Briten verlangten ihre Auslieferung. Erst diplomatische Verhandlungen sollen es möglich gemacht haben, dass die Täter nach dem in diesem Fall milderen deutschen Recht bestraft wurden.

Akkurat, wie mit dem Zollstock angelegt, ist das Gräberfeld auf fremdem Staatsgebiet, bei dem das typische Schlichte eines Soldatenfriedhofs auf englische Gartenkunst trifft, einer der imposantesten Orte der Stadt. Wenn man ihn durch eines der Eingangstore betritt, verändert sich die Sicht auf das Leben, aber auch auf eine Politik, die Krieg androht oder führt. Der Schauer des Massengrabs verbindet sich jedoch auch mit einer beruhigenden Kraft, die den ganzen Südfriedhof regelrecht durchflutet. Der britische Teil ist der ruhigste Ort inmitten eines Parks der Stille – ein Ehrenfriedhof der Ehrfurcht erzwingt. Neben den gefallenen Soldaten liegen hier nicht nur Opfer der Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs. Bereits im Ersten Weltkrieg waren Bomber losgeschickt worden, um Städte in Brand zu setzen. Nachdem zunächst Granaten aus Cockpits geworfen worden waren und deutsche Zeppeline englische Küstenstädte und London angeflogen hatten, bekam der Luftkrieg eine ganz neue verheerende Qualität. Unweit des Haupteingangs am Höninger Platz erinnern 27 Grabsteine an die ersten Kölner Toten durch Bomben aus der Luft, darunter viele Kinder.

Deutlich größer als der Melatenfriedhof

Davon ahnte noch keiner etwas, als der Kölner Stadtrat die Anlage des Südfriedhofs 1897 beschloss. Nach vier Erweiterungen wurde das Areal bis 1963 deutlich größer als der Melatenfriedhof, zu dessen „Entlastung“ die Anlage im Süden ursprünglich geplant wurde. Kölns damaliger Gartenbaudirektor Adolph Kowallek konzipierte den im Jahr 1901 eingeweihten Friedhof wie ein Landschaftspark mit geschwungenen Wegen unter hohen Bäumen. Leider haben die Vergrößerungsgebiete Kowalleks Formen nicht fortgeführt. Hier dominieren die typisch gradlinigen, viereckigen Gräberfelder. Zu Entdecken gibt es aber auch hier eine ganze Menge.

Viel Prominenz liegt auf dem Südfriedhof begraben, einige kölsche Originale wie der große Liedermacher Karl Berbuer oder der Edelweißpirat „Schang“ Jülich. Er ist nicht der einzige berühmte Jean, der hier die letzte Ruhe fand. Man kann sich die Gräber von Brauerei-Gründer Jean Sion, des „Schull- un Veedelszöch“-Erfinders Jean Küster oder Fortuna-Boss Jean Löring anschauen.

Im Bereich der ursprünglichen Anlage von Kowallek, der hier auch selbst begraben wurde, befinden sich nicht nur die achteckige Trauerhalle und die repräsentativen Grabstätten aus der Zeit der Gründung. Hier findet man auch die letzten Ruhestätten des langjährigen FC-Präsidenten und Vaters der Fußballbundesliga, Franz Kremer, oder des kölschen Kult-Boxers Peter „de Aap“ Müller, der im Juni 1952 im Kampf um die Mittelgewichtsmeisterschaft den Ringrichter umhaute. Nicht weit entfernt kann man den mit einem Fahrradhelm dekorierten Sarkophag eines vergessenen Kölner Sportidols entdecken. Hier wird des „Weltmeisterfahrers“ Peter Günther (1882 bis 1918) gedacht: „Der Rennbahn galt sein Leben. Zu früh riss der Tod vom Haupt ihm den goldenen Kranz.“

Gedenken an eine echt Kölner Heldin

Nur wenige Gräber wie das der Industriellenfamilie Lindgens oder das der Familie Hartmann-Virnich, das sich nach und nach die Natur zurückholt, sind so protzig und groß wie die entlang der „Millionenallee“ auf Melaten. Die Südstadt-Prominenz scheint im Durchschnitt ein wenig bescheidener, obwohl auch hier einige Grabsteine mit viel Wucht von Endlichkeit und Hoffnung berichten – und gleichzeitig den Wohlstand der Verstorbenen bezeugen: Trauernde Engel, Schicksalsgöttinnen, Ruhmesfanfaren und Posaunen, Flammenschwerter und schmerzverzerrte Gesichter von Trauernden, dazu der Gekreuzigte und Auferstandene in Sandstein, Marmor oder Muschelkalk.

Sehr viel schlichter, aber umso beeindruckender ist der helle Stein auf dem Grab einer Kölner Heldin: Er zeigt eine mutige Frau, die sich zwischen die Flammen des Amokläufers von Volkhoven und die ihr anvertrauten Schulkinder stellt. Ursula Kuhr wurde im Juni 1964 von einem Geisteskranken erstochen, der mit einem selbst gebauten Flammenwerfer und einer Lanze das Gelände der Katholischen Volksschule betreten und wahllos gemordet hatte. Acht Kinder und zwei Lehrerinnen starben. So seltsam es klingt: An solchen Orten des Todes wird Stadtgeschichte sehr lebendig. Wer will, kann den Schmerz spüren.

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