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Autofreie SiedlungNur noch Bobby-Cars erlaubt

Lesezeit 4 Minuten

Mit der Rikscha konnten sich Gäste durch die Siedlung kutschieren lassen; in einer Stichstraße gab es spannende Bobby-Car-Rennen.

Nippes – Auf dem zentralen Platz in der Autofreien Siedlung, rund um die Wiese mit dem kleinen Birkenhain, ist richtig was los: Vor der Bühne steht eine Menschenmenge und schaut die Tanzshow des Sport- und Fitnesszentrums "Andare Sport", das auch mit der benachbarten Kita kooperiert. Die heißen Rhythmen lassen den zwischenzeitlichen Regen etwas vergessen. Später treten zahlreiche Bands aus dem Veedel auf - wie das Country- und Blues- Duo "Luckylips 4 You".

Dass die Siedlung sehr kinderreich und gerade bei jungen Familien beliebt ist, fällt einem auch beim übrigen Programm des Festes auf: Auf der Wiese wird "Kubb"-Wikingerschach gespielt; in einer Stichstraße von Am Altem Stellwerk steigt das "kleinste Bobby-Car-Rennen der Welt", bei dem junge Rennfahrer auf einem 30-Meter-Parcours antreten. Auch gibt es Kissenschlacht-Duelle auf der Bierbank, Dosenwerfen, Springen und Toben im Heu sowie Angebote der Kölner Spielewerkstatt. Ältere Gäste konnten sich per Rikscha übers Areal kutschieren lassen; in der Siedlung stehen Infostände rund um Verkehr, Umwelt und gutes Leben - etwa vom Fahrradladen "Radlager", der Nippeser Willkommens-Initiative, Naturschutzbund und einem Stadt-Imker. Rund um den Kindergarten - die alte Eisenbahner-Kantine - gibt es ein kulinarisches Angebot von Kuchen bis zu Salat und Grill und sogar Paella.

"Klein-Bullerbü"

Mit der Rikscha konnten sich Gäste durch die Siedlung kutschieren lassen; in einer Stichstraße gab es spannende Bobby-Car-Rennen.

Mit dem sehr gelungenen Sommerfest, zu dem etwa 1000 Besucher kamen, feierte der Anwohnerverein "Nachbarn 60" sein zehnjähriges Bestehen. "Unser Festkomitee hat die Party bestimmt ein halbes Jahr im Voraus geplant", so Vorstandsmitglied Hans-Georg Kleinmann. Der Verein, der sich kurz nach dem Einzug der ersten Bewohner gründete, ist Ansprechpartner für Fragen rund ums Leben ohne Auto; er betreibt die Mobilitätsstation, wo die Mitglieder Lastenräder und Kettcars, aber auch sperriges Inventar wie Partygeschirr und Bierbänke ausleihen können. "Von den rund 455 Haushalten der Siedlung sind mehr als 50 Prozent bei uns Mitglied", erläutert Kleinmann.

Ein Besuch in der Siedlung hat etwas Entschleunigendes: In den zehn Jahren ist ein "Klein-Bullerbü" entstanden, wo Nachbarn vor den Häusern sitzen, Kinder auf den Straßen und Plätzchen spielen und dem man seine hohe Einwohnerdichte gar nicht anmerkt. Es wirkt durch die geschickte Planung wesentlich größer als die tatsächlichen 4,3 Hektar. "Wir hatten vorher durch Umfragen Erkenntnisse gesammelt, was den Leuten wichtig ist und wie sie leben wollen", erläutert Angela Schneider-Sedlacek, die damals die Planungen begleitete und mit ihrem Partner und Architekten-Kollegen Harald Sedlacek ebenfalls zum Fest kam. Bis zum Baustart sei es ein steiniger Weg gewesen. "Die Stadtplaner kannten kein Autofrei und waren ziemlich skeptisch." Man habe etwa, was durch den Verzicht auf Autostellplätze und breite Straßen möglich wurde, die Außenanlagen bewusst hochwertig und mit viel Aufenthaltsqualität geplant. Als Glanzstücke gelten auch die Fahrrad-Tiefgaragen sowie die verwinkelten kleinen Straßenzüge mit integrierten Höfen.

Besichtigung aus Japan

"Mittlerweile rennen uns Interessenten die Bude ein - aber wir haben ja nur die bestehenden Wohnungen", so Kleinmann. "Hier lebende Familien stapeln eher ihre Kinder übereinander, statt auszuziehen und sich etwas Größeres zu suchen", ergänzt er schmunzelnd. Jedoch komme es ihm so vor, dass das Autofrei-Konzept bei der Stadt immer noch Misstrauen ernte. "Unsere Besichtigungsgäste kommen unter anderem aus Japan, aber nicht aus dem Rathaus."

Von der Idee bis zur Fertigstellung: Die Geschichte der Autofreien Siedlung

1994: Der Arbeitskreis Autofreie Siedlung Köln wird gegründet. Ziel ist es, die erste autofreie Siedlung der Stadt zu errichten - ein Standort steht damals noch nicht fest.

1998: Der Rat beschließt den Bau eines neues Stadtviertels auf dem Areal des alten Eisenbahn-Ausbesserungswerks in Nippes, 1862 eröffnet und 1978 endgültig geräumt. Ein Teil davon soll autofrei geplant werden. Zuvor waren auch drei Flächen im Rechtsrheinischen als mögliche Orte der autofreien Siedlung im Gespräch.

1999: Die Wohnungsbaugesellschaft Ewald Hohr Projektentwicklungen erwirbt von der Bahn das komplette Gelände. 2001: Die Kontrola-Treuhandgesellschaft übernimmt die Projektentwicklung der Autofreien Siedlung.

2005: Der Vertrieb für die ersten Wohneinheiten startet; im gleichen Jahr ist Grundsteinlegung.

2006: Die ersten Bewohner ziehen in die Siedlung ein; bis Jahresende sind rund 100 der 450 geplanten Wohneinheiten belegt.

2007: Der Bewohnerverein Nachbarn 60 gründet sich. Die Siedlung wird als einer von 365 "Ausgewählten Orten" bei der Kampagne "Deutschland - Land der Ideen" der Bundesregierung ausgezeichnet.

2011: In den Räumen der alten Kantine - die von 1992 bis 2003 eine Event-Location war, die ihrerseits nach Niehl umzog - eröffnet ein Kindergarten.

2013: Die letzten vier Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 64 Wohnungen werden bezogen - damit ist die Siedlung endgültig fertig gebaut. Die Bewohnerparkgebiete Nippes II (im Sechzigviertel), III (Afrikaviertel), IV (Niehl-Weidenpescher Grenzgebiet zu Nippes) und EAW (nicht-autofreier Teil des Eisenbahnveedels, der ebenfalls entstand) gehen an den Start. Die neuen Parkzonen sollen auch verhindern, dass Bewohner der Autofreien Siedlung sich heimlich einen Pkw anschaffen und in den Nachbarvierteln abstellen. (bes)