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Beatmungs-WGs„Ich sehe die Gefahr von Qualitätseinbußen“

Lesezeit 4 Minuten

Herr Windisch, in letzter Zeit eröffnen immer mehr Heime und Wohngemeinschaften für Menschen, die dauerhaft künstlich beatmet werden müssen. Wo wurden diese Patienten früher betreut?

WOLFRAM WINDISCH: Es gab einfach nicht so viele. Die Zahl der Beatmungspatienten steigt stetig, weil die Menschen einerseits immer älter werden, andererseits die Intensivmedizin immer erfolgreicher arbeitet. Früher sind viele Patienten auf der Intensivstation an akutem Lungenversagen gestorben. Heute gibt es mehr Überlebende, die allerdings nicht alle gesund werden, sondern vielfach mit schweren chronischen Gesundheitsschäden und körperlichen Behinderungen weiterleben.

Sind Beatmungs-WGs grundsätzlich geeignet, diese Patienten zu betreuen?

WINDISCH: Im Prinzip ist es durchaus sinnvoll, dass ein Pflegedienst in einer Wohngemeinschaft mehrere Patienten versorgt. Das spart Kosten und ermöglicht es Patienten wie Angehörigen, sich mit Menschen auszutauschen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Entscheidend aber ist, dass der betreuende Pflegedienst gut qualifiziert ist für die schwierige Aufgabe der Pflege von außerklinisch beatmeten Menschen.

Welche Qualifikation muss ein Pfleger in diesem Bereich denn mitbringen?

WINDISCH: Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin hat Leitlinien mit Mindestanforderungen für die Beatmungspflege formuliert. Beteiligt waren auch die Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für Außerklinische Beatmung und andere Fachgesellschaften. Am liebsten hätten wir, dass die Pflegedienstmitarbeiter intensivsta-tions-, also beatmungserfahren sind. Aber weil das im Moment noch nicht flächendeckend umzusetzen ist, gibt es die Möglichkeit, in Kursen eine Zusatzqualifikation zu erwerben. Diese Kurse werden von der Deutschen Interdisziplinären Gesellschaft für Außerklinische Beatmung akkreditiert.

Gibt es neben den Leitlinien auch entsprechende gesetzliche Vorschriften?

WINDISCH: Nein. Problematisch ist aber auch, dass es keine definierte Struktur für die ärztliche Versorgung gibt. Die ambulante ärztliche Betreuung wird vielfach durch hausärztlich tätige Allgemeinmediziner vorgenommen. Allerdings sind nicht alle mit dem speziellen Thema der Beatmung vertraut. Außerdem ist die Vergütungsregelung für diese komplexe und aufwendige Aufgabe nicht zufriedenstellend.

Heißt das, theoretisch könnte zurzeit jeder Altenpflegedienst nebenbei eine Beatmungs-WG betreiben? Ohne jede ärztliche Kontrolle?

WINDISCH: Im Prinzip schon, nach unseren Vorgaben aber nicht. Auch die Kostenträger und der Medizinische Dienst der Krankenversicherung sind sehr daran interessiert, zuverlässige Partner zu finden. Ich sehe aber trotzdem die Gefahr, dass durch den Kostendruck im Gesundheitssystem Qualitätseinbußen drohen. Das muss unbedingt verhindert werden. Es muss aber auch betont werden, dass wir hier in Köln qualifizierte Pflegedienste und gut organisierte Beatmungs-WGs haben.

Was kann ungeschultes Personal bei der Betreuung eines Beatmungspatienten alles falsch machen?

WINDISCH: Patienten, die über eine Kanüle beatmetet werden, können zum Beispiel nicht richtig husten. Das heißt: Bei ihnen muss regelmäßig Sekret abgesaugt werden. Die Kanüle kann mit Sekret verstopfen. Ein Pfleger muss rechtzeitig erkennen, wenn ein Patient keine Luft mehr bekommt, und er muss die Kanüle wechseln können, auch unter Notfallbedingungen. Er muss zudem die Überwachung der lebenswichtigen Körperfunktionen des Patienten vornehmen und basierend hierauf drohende Verschlechterungen des Gesundheitszustands richtig erkennen und beantworten können. Das braucht Expertise und Erfahrung.

Worauf sollten Beatmungspatienten oder deren Angehörige achten, wenn die Verlegung aus dem Krankenhaus in den außerklinischen Bereich ansteht?

WINDISCH: Am wichtigsten ist, dass die Patienten nicht direkt aus jedem Krankenhaus in die außerklinische Pflege entlassen werden, sondern dass vorher erst mal geprüft wird, ob eine künstliche Beatmung überhaupt weiterhin erforderlich ist und wenn ja, in welcher Form und unter welchen Bedingungen.

Wer prüft das?

WINDISCH: Sogenannte Entwöhnungs- oder Beatmungszentren, die von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin akkreditiert sind, zum Beispiel die Lungenklinik am Klinikum Merheim. Existenziell wichtig ist, dass die Patienten auch immer wieder dort vorstellig werden, um zu prüfen, ob die Beatmung weiterhin notwendig ist. Ich habe Patienten erlebt, die lange beatmet wurden, die dann zu uns in die Klinik kamen und die wir relativ schnell komplett von der Beatmung entwöhnen konnten. Man hätte das schon viel eher tun können, das hätte Kosten gespart und den Patienten viel Leid.

Wie hoch sind denn die Kosten?

WINDISCH: Je nach Pflegeaufwand und Bundesland betragen sie bis zu 25 000 Euro pro Patient pro Monat. Vor dem Hintergrund der steigenden Zahlen von Beatmungspatienten ist es unsere Aufgabe, die Kosten so gering wie möglich zu halten und dennoch eine hohe Behandlungsqualität zu gewährleisten. Dann kann diese Form der außerklinischen Behandlung auch auf lange Sicht von unserer Gesellschaft getragen werden.

Das Gespräch führte Tim Stinauer