Bilder, die die Erinnerung bewahren
Innenstadt – Schwer zu sagen, ob Chava Pressburger bei einer anderen Entwicklung ihres Lebens auch Künstlerin geworden wäre. Sicher ist allerdings, dass der Holocaust, in dem Millionen Juden während der nationalsozialistischen Herrschaft im Dritten Reich ermordet wurden, auch das Leben der Menschen jüdischer Herkunft grundlegend veränderten und prägten, die ihn überlebten.
Von dieser Erfahrung handelt eine Ausstellung in der Tenri Japanisch-Deutschen Kulturwerkstatt, wo ausgewählte Werke der inzwischen 89-jährigen, in Israel lebenden Künstlerin gezeigt werden. Das Leben der im Jahr 1930 als Eva Ginzovain in Prag geborenen Jüdin änderte sich schlagartig nach der Okkupation Böhmens und Mährens durch deutsche Truppen im Jahr 1940.
Im Zuge der sogenannten Endlösung wurde sie im Jahr 1944 von den Deutschen verhaftet und ins Durchgangslager Theresienstadt deportiert. Dort blieb sie bis zur Befreiung des Lagers im Mai 1945 interniert, während ihr nur wenige Jahre älterer Bruder Piotr ins Konzentrationslager Auschwitz überführt und ermordet wurde. Dass sie nichts über seine letzte Lebenszeit weiß, hat Chava Pressburger, die erst mit ihrer Umsiedlung nach Israel die hebräische Version ihres Namens annahm, Zeit ihres Lebens ebenso beschäftigt wie die Frage, warum er in den Gaskammern zu Tode kam und nicht sie.

... das sie selbst herstellt aus Pflanzen, die sie in der Negev-Wüste gesammelt hat.
Copyright: Jürgen Kisters
Aus dieser seelischen Not ist die Bildserie „Mein Bruder und ich“ entstanden, in der sie Fotos aus ihrer Kindheit mit Fotos von Opfern des Massenmordes an Juden verknüpft. In direkter Beziehung dazu steht ein anderer Bildzyklus, in dem die Familie ihres Vaters Oto Ginz im Zentrum steht, deren Mitglieder fast alle im Holocaust ermordet wurden.
So sind die vielen schönen Erinnerungen ihrer Kindheitsgeschichte, von denen viele mit dem Haus ihrer Tante und ihres Onkels verbunden sind, nach Theresienstadt und Auschwitz untrennbar mit der Erfahrung von Gewalt, Tod und Verlust verknüpft. Die Fotodokumente, die sie in ihren Bildwerken verwendet, sind stets umrahmt von handgeschöpftem Papier, das Chava Pressburger aus in der Negev-Wüste gesammelten Pflanzenteilen selbst geschaffen hat. Viele Papierschichten überlagern und durchdringen einander wie die vielfach verwobenen Ebenen der Erinnerung. Immer geht es der Künstlerin um das Wechselspiel von Enthüllen und Verbergen. In dieser Spannung muss ein Mensch das (seelische) Gleichgewicht seines Lebens finden.
Dass die Geschichte von Gewalt, Terror und Krieg mit dem Holocaust keineswegs aufgehört hat, sondern Hass, Grausamkeit, Zerstörung und Leid auch unsere gegenwärtige Welt schonungslos bestimmen, zeigt ein weiterer der insgesamt sieben Bilderzyklen, die Chava Pressburger im Laufe ihres Lebens schuf. Titel: „Narben in unserem Leben.“ Als sie im Jahr 1948 aus Prag, wo die kommunistische Partei nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Macht übernommen hatte, hoffnungsvoll nach Israel übersiedelte, hatte sie nicht erwartet, dass genau in dieser Region der Welt nicht der von ihr ersehnte Frieden, sondern fortgesetzter Krieg und Terror sich einstellen würden. Wenn sie ihr Leben lang mit Kunstwerken auf die Barbarei in der Welt reagierte, stellte sie sich zugleich die Frage, was überhaupt der Sinn von künstlerischer Kreativität in Zeiten von Krieg und Terror sein kann. „Im Garten der Erinnerung“ heißt ein Bildzyklus, in dem sie gemeinsam mit der Lyrikerin Vera Schwarcz fragt: „Kann ein Künstler überhaupt über diese Dinge berichten? Was ist die unverwechselbare Kraft von Kunst?“

... das sie selbst herstellt aus Pflanzen, die sie in der Negev-Wüste gesammelt hat.
Copyright: Jürgen Kisters
Mit Bildern gegen die Verrohung und Entmenschlichung in der Welt anzugehen, setzt allerdings einen besonders sorgfältigen Umgang mit Bildern voraus. Seit einigen Jahren verspürt Chava Pressburger immer mehr den Wunsch nach Stille und Abgeschiedenheit. In der Ausstellung kommt das in ihren aktuellen Werken zum Ausdruck, in denen es keine gegenständlichen Bildmotive gibt, sondern nurmehr die Poesie der unendlichen Nuancen feinster Spuren. Sie zieht sich mit diesen Papierarbeiten bewusst aus unserer allzu schnelllebigen, lärmenden Welt zurück. „Der Stille in mir Raum geben, um zu wachsen,“ sagt sie.
In der Stille wächst ein Empfindungsraum für alles Vergangene, aber auch für die Möglichkeit zur Versöhnung mit allen erfahrenen Schmerzen und Verlusten. Pflanzen sind ihr die Helfer bei ihrem „Vorhaben, ohne Übertreibung und Unehrlichkeit zu den Wurzeln des Lebens zurückzukehren und die tiefe Wahrheit des Seins zu erfahren.“ Ihre Bilder zur Bewältigung ihrer eigenen Lebensgeschichte sollen zugleich Gegenbilder zum visuellen Überbietungskampf von Bildern des Grauens in der heutigen globalisierten Medienkultur sein. So steht für Chava Pressburger fest: „Immer wieder gibt es Momente, in denen wir verstummen. Und manchmal, aus der Tiefe dieser Sprachlosigkeit, höre ich Klänge und sehe Visionen, die das Leben lauter preisen als irgendwelche Worte.“
Tenri Japanisch-Deutsche Kulturwerkstatt, Kartäuserwall 20, geöffnet Di-Sa 13-19 Uhr, bis 21. 12.

Pressburgers Arbeiten kombinieren Bilder aus ihrer Kindheit mit denen des Grauens. Alle sind von handgeschöpftem Papier umgeben, ...
Copyright: Jürgen Kisters
Chava Pressburger, Künstlerin und Holocaust-Überlebende

Pressburgers Arbeiten kombinieren Bilder aus ihrer Kindheit mit denen des Grauens. Alle sind von handgeschöpftem Papier umgeben, ...
Copyright: Jürgen Kisters

Pressburgers Arbeiten kombinieren Bilder aus ihrer Kindheit mit denen des Grauens. Alle sind von handgeschöpftem Papier umgeben, ...
Copyright: Jürgen Kisters