BuchVon Müngersdorf aus ins Vernichtungslager

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Müngersdorf – Als Klara Stoffels' Familie sie in Berlin besuchte, musste ihre Schwester sich übergeben. Die Situation, in der sie die 40-Jährige vorfanden, war extrem bedrückend. Klara und ihr Mann Fritz saßen im Todestrakt des Gefängnisses und warteten auf ihre Hinrichtung. Am 11. August 1944 wurde das Todesurteil mit dem Fallbeil vollstreckt. Fritz Stoffels wurde drei Tage später hingerichtet. Der Grund für die drakonische Strafe: Klara und Fritz Stoffels waren Zeugen Jehovas und wollten ihrem Glauben nicht abschwören.

Die Stoffels kamen ursprünglich aus Müngersdorf. Deswegen hat ihre Geschichte nun Platz in einem kleinen Buch gefunden. Kurt Schlechtriemen, Mitglied des Müngersdorfer Bürgervereins , hat unter dem Titel "Opfer des Nationalsozialismus" die Schicksale des Ehepaars Stoffels und anderer Viertelsbewohner aufgeschrieben.

Müngersdorf spielte eine eigene tragische Rolle in der Zeit. Es war Zwischenlagerort für die Menschen, die von den Nazis verschleppt wurden. Die Nationalsozialisten hatten das ehemalige preußische Fort V im Grüngürtel als Arbeits- und Deportationslager für sich entdeckt und in der Nähe Baracken als Unterkünfte für die Gefangenen aufgestellt. Hier wurden Juden und andere - dem Regime nicht genehme - Menschen zusammengetrieben und dann zumeist über die Drehscheibe Bahnhof Deutz in die Vernichtungslager transportiert.

Die besondere Vergangenheit von Müngersdorf war ein Grund für Kurt Schlechtriemen, den Spuren der Viertelsbewohner während der NS-Zeit nachzuspüren. Er hat bewegende Schicksale aufgedeckt. Wer sein Buch durchblättert, bleibt an einer Seite hängen, die einige Zeichnungen zeigt, schlichte schwarze Striche auf weißem Papier. Ein überdimensionierter Tropf hängt bedrohlich über einem zerbrechlichen Körper. Darunter klafft eine Wunde. Darüber steht das Wort "Sterilisation", darunter: "keine Narkose".

Als Renée Düring die Zeichnungen davon machte, was ihr im Konzentrationslager Auschwitz geschah, war sie längst in die USA ausgewandert. Doch das Trauma blieb, wie die Bilder belegen. Sie war Insassin des Block 10 im KZ Auschwitz. Hildegard Jahn-Schnelle, Vorsitzende des Bürgervereins Müngersdorf, weiß, was das bedeutet: "Dort trieb der berüchtigte Arzt Josef Mengele sein Unwesen", sagt sie. Er degradierte die Gefangenen zu Versuchskaninchen, führte mit ihnen medizinische Experimente ohne Narkose durch, verstümmelte und tötete sie. Renée Düring überlebte den Horror, genauso wie ihre beiden Geschwister. Die Eltern wurden in Auschwitz ermordet.

Die fünfköpfige Familie war einst in einem großen Haus an der Büsdorfer Straße in Müngersdorf zu Hause, in einer ländliche Idylle "mit Blick über die Felder bis hin zur Schule Wendelinstraße und zur Kirche St. Vitalis". So ist es in Schlechtriemens Buch beschrieben, auch wie die Heimat langsam zu einer feindlichen Umgebung wurde, ab 1935, als die Hetze gegen Juden zunahm. Kurt Schlechtenriemen glaubt, dass sie in Müngersdorf geringer war. "Die dörflich-bürgerliche Bevölkerung war überwiegend katholisch mit großer Nähe zur Pfarrkirche. Die Menschen verhielten sich der NS-Ideologie gegenüber wohl überwiegend distanziert." Dennoch, die zunehmende Ausgrenzung schlug Familie Düring in die Flucht. Sie schickte zunächst Renée zu einer Tante nach Amsterdam. Dorthin flohen sie auch 1940 mit der jüngeren Tochter Ellen - vergeblich. Sie wurden im Durchgangslager Westerbork inhaftiert, kurz nachdem Renée im Jahr 1942 Fritz Krämer geheiratet hatte. Sie hatte ihn einige Jahre zuvor kennengelernt. Das Paar wurde mit den Eltern bald darauf nach Auschwitz deportiert und voneinander getrennt. Die letzten Worte ihres Mannes blieben Renée im Gedächtnis: "Wir werden uns nicht wiedersehen, lebe wohl!" Weil sie überlebte, ist ihre Geschichte aufgrund von zahlreichen Interviews und Briefwechseln heute dokumentiert. Wie ihre Eltern und ihr Mann starben, ist unklar.

Was von den Lebensgeschichten der verschleppten und ermordeten Müngersdorfer geblieben ist, hat Schlechtriemen mit zahlreichen Fotos in jahrelanger Recherche zusammengetragen und somit dafür gesorgt, dass die Opfer ein Stück weit wieder da sind, wo sie hingehörten: in Müngersdorf.

Die Broschüre kann beim Bürgerverein für zwei Euro zuzüglich Porto oder im örtlichen Buchhandel erworben werden.

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