CapoeiraKölscher Jung aus Brasilien ist Weltmeister

Lesezeit 4 Minuten
Capoeira-Professor Vanderson da Silva 3

Gezielte Tritte und geschicktes Ausweichen gehören mit zu den vielen Dingen, die die jungen Capoeiristas wie „Grillo“ (r.)  in Sülz lernen. 

Köln-Klettenberg – Grillo, der Grashüpfer, Sininho, das Glöckchen, Beija-flor, der Kolibri, und Sol, die Sonne. Alle sind da, wie immer, sitzen im Kreis, klatschen und singen, stehen auf, bewegen sich mit tänzelnden Schritten und verteilen Fußtritte, ducken sich weg. Capoeira-Alltag im Casamax-Theater. Nur ein Veilchen im Gesicht ihres Lehrers, Vanderson da Silva, zeugt von der Heldentat, die er vor einigen Tagen vollbracht hat. Faisca, „der Funke“, so der Spitzname, den auch er selbst – wie alle C    apoeiristas – trägt, seitdem er sein erstes Trainingsjahr absolviert hat, ist Weltmeister.

Bei der Meisterschaft in Baku, Aserbaidjan, hat Vanderson da Silva in der Mittelgewichtsklasse gewonnen. Und nach einer Weile bemerken auch seine sechs bis  elf Jahre alten  Schüler die Hinterlassenschaft des harten Siegeskampfes. „Das tat sicher weh?“, fragt einer. „Ja, schon“, gibt Faisca zu. Ein Fußtritt hatte sein Auge auf Eiergröße anschwellen lassen. „Jetzt ist es aber wieder gut. Ich kann ja mittlerweile schon etwas sehen“, lacht Faisca.

Capoeira-Professor Vanderson da Silva

Capoeira-Professor Vanderson da Silva bei einer Übung

Er genießt den Erfolg wie den ersten Schokoladenkuchen, den es nach der harten Vorbereitungszeit auf die WM am Nachmittag gab. Sechs Monate lang hat da Silva für den Wettkampf trainiert – und sich ausschließlich von Hühnchen, Süßkartoffeln und Eiern ernährt. Körperliche Fitness sei eine essenzielle Voraussetzung, um den Wettkampf möglichst gut zu bestehen, sagt der Weltmeister. Dreizehn Gegner musste er  nach einem K.o.-System in mehreren Runden bezwingen, und zwar in jeweils zwei bis drei „Spielen“, wie das Kräftemessen der Capoeiristas genannt wird.

 Capoeira ist eigentlich viel mehr als nur ein Kampfsport. Wegen der musikalischen und rhythmischen Untermalung durch traditionelle Instrumente wie der Berimbau, dem Gesang und dem Klatschen der anderen Capoeirista, aber auch wegen der durch eine Art Wechselschritt namens „Ginga“ bestimmten Grundbewegung hat es auch etwas von einem Tanz. „Letztendlich ist Carpoeira eine Kultur“, sagt Da Silva. Bei den Wettkämpfen geht es darum, welcher Spieler den anderen bei dem Wechselspiel aus Angriffs- und Verteidigungsbewegungen übertrumpft. Dabei gibt es weder einen K.o.-Schlag  noch eine sonstige körperliche Niederlage. Nach einem knapp einminütigen Spiel bewertet eine Jury, wer gewonnen hat.

Rhythmusgefühl, Technik und Kreativität

Kriterien sind der Abwechslungsreichtum, der Schwierigkeitsgrad und der sinnvolle Einsatz der Bewegungen, Rhythmusgefühl, die Technik, die körperliche Verfassung, sicheres Ausweichen, die Sprünge, der Ausdruck und die Kreativität.  Willensstärke, Entschlossenheit und Fairness werden ebenfalls bewertet. Um ein Spiel zu gewinnen, sei aber vor allem eines wichtig, sagt da Silva  – die richtige Strategie.

„Man muss immer mindestens zwei Strategien im Kopf haben“, erläutert der Spitzenkämpfer. „Bei einem Wettkampf auf hohem Niveau sogar vier.“ Man müsse eine Vorstellung davon haben, wie man auf welchen Gegner reagiert.

 In Baku habe ihn die falsche Strategie das erste Spiel gekostet, erzählt er. „Ich hatte mir vorgenommen, möglichst sauber zu kämpfen, mit viel Akrobatik. Das war aber im Hinblick auf den Gegner völlig falsch. Er hat einfach nur auf meinen Angriff gewartet und die Möglichkeit zu reagieren.“ Dreimal fand  da Silva sich völlig überraschend auf dem Boden wieder – das Spiel ging an den anderen. „Ich hatte meinen Gegner unterschätzt“, so seine Analyse. „Er sah so aus, als ob er nicht so gut sei. Das war er aber.“ Da Silva änderte seine Strategie, gewann die nächsten zwei Spiele – und den Rest. Sein Spiel überzeugte die Richter.

Capoeira-Professor Vanderson da Silva 2

Capoeira-Professor Vanderson da Silva zeigt seine Medaille.

Lange und hart hat er dafür gearbeitet –  fast sein ganzes Leben lang. Capoeira wurde Vanderson da Silva quasi in die Wiege gelegt, als er 1985 in einem einfachen Stadtviertel von Sao Paulo auf die Welt kam. Er war acht Jahre alt, als ihn sein älterer Bruder in die brasilianische Kampftanzkultur einführte. Ein anderer Bruder und Freunde trugen das ihrige dazu bei.

Es folgten  wichtige Lehrer und Vorbilder, die ihm den Kampf beibrachten, aber auch die Regeln, den Respekt vor dem Gegner. Vor einigen Jahren wurde ihm von einem der großen Mestres (Meister) der im Capoeira auch übliche Titel „Professor“ verliehen.

Als da Silva in einem Jugendprojekt in Sao Paulo selbst Kinder Capoiera unterrichtete, mischte sich das Schicksal ein. Er lernte  seine deutsche Frau kennen. Sechs Jahre führten sie eine Fernbeziehung, bis er schließlich den schweren Schritt tat und nach Köln übersiedelte.  „Am meisten vermisse ich das brasilianische Wetter“, sagt da Silva, „das Essen, mein Team.“ Obwohl er für letzteres mittlerweile Ersatz gefunden hat, seine eigene Gruppe „Andarilho é Bamba na Capoeira“, die er vor zwei Jahren mit einem Freund gegründet hat.  Menschen, die mit ihm trainieren, die darauf achten, dass er genügend Hühnchen, Süßkartoffeln und Eier isst, die sich um geschwollene Augen kümmern, seine Familie, seine Frau und ihre drei Kinder. Es sind die Schüler, die Professor Faisca beispielsweise im Casamax-Theater und  im Sportcenter Kautz in Sülz trainiert und denen er  nach der einjährigen Probezeit portugiesische Spitznamen verleiht. Mittlerweile ist Vanderson da Silva nicht nur Capoiera-Weltmeister, sondern auch ein kölscher Jung aus Klettenberg.

andarilhoscapoeira.de

KStA abonnieren