Was Jungen wissen solltenEin Sexualpädagoge für den Kölner Norden

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Mit Männern können Jungen offener über Verhütungsthemen sprechen. 

  • 20 Jahre lang gab es keinen Sexualpädagogen im Kölner Norden. Um mit einem Mann sprechen zu können, mussten Jungen an den Hansaring fahren. Eine weite Anfahrt.
  • Mit Malte Sicking (30) hat die Pro-Familia-Beratungsstelle Chorweiler diese Lücke jetzt gefüllt.
  • Im Gespräch erzählt der Diplom-Pädagoge, welche Fragen Jungen zum Thema Sex haben - und ob er oft schief angeschaut wird wegen seines Jobs.

20 Jahre lang gab es keinen Sexualpädagogen im Kölner Norden. Warum hat es Sie dringend gebraucht? Malte Sicking: Ich schließe eine Angebotslücke. Bisher hat die Arbeit mein Pro Familia-Kollege am Hansaring übernommen – eine weite Anfahrt für Jugendliche aus dem Kölner Norden. Sie selbst haben einen männlichen Berater eingefordert – es ist auch wichtig, dass sie nach den Veranstaltungen mit ihren Fragen zu uns kommen oder einfach Kondome mitnehmen können. Unsere Beratungsstelle liegt im Zentrum von Chorweiler und die Jungen nutzen die Angebote, die leicht für sie zu erreichen sind. Außerdem hatten wir zuletzt so viele Anfragen für Projekte in Schulen, dass wir sie nicht alle bearbeitet konnten. Was fragen die Jungen denn so an in puncto Sexualität?

Es sind ja nicht nur Jugendliche, die Rat und Informationen suchen. Kitas, Grund- und weiterführende Schulen, Vereine oder Jugendeinrichtungen wünschen sich professionelle Ansprechpartner und Fortbildungen auch für ihr pädagogisches Fachpersonal– sei es im Umgang mit kindlicher sexueller Entwicklung, Jugendsexualität, Sexting, Pornografie oder sexualisierten Grenzverletzungen. Aber zu Ihrer Frage: Jungen erkundigen sich nach Verhütungsthemen, wie man Kondome richtig benutzt, nach „Pannen“ beim oder Ängste vor dem ersten Mal. 

Warum braucht es Sie als Mann in diesem Metier?

Foto Malte Sicking

Malte Sicking ist neuer Sexualberater in Chorweiler.

Es liegt in der Natur der Thematik, dass dabei viel Scham im Spiel ist. Und Vertrauen. Wenn es etwa um Körperwissen und -gesundheit geht, vertrauen Jungen einem Mann, der ähnliche körperliche Erfahrungen gemacht hat, doch eher als einer Frau. Und haben mehr Mut, ihre Fragen und Probleme loszuwerden. Als Mann kann ich dazu beitragen, ihre Hemmschwelle, sich auch bei Problemen Hilfe zu suchen, herunterzufahren.

Die klassische sexualpädagogische Arbeit setzt darauf, frühe Schwangerschaften oder übertragbare Geschlechtskrankheiten zu vermeiden. Was sind die Kernthemen „Ihrer“ geschlechterbewussten Arbeit?

In unserer Beratungsstelle in Chorweiler geben wir Jungen und Mädchen beispielsweise in einem geschützten Raum die Chance, sich zu allen Fragen über Liebe, Beziehungen und Sexualität auszutauschen und beraten zu lassen – in der Gruppe und im Einzelgespräch.

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Inwiefern erleben Sie in Ihrer Arbeit mit den Jugendlichen Pornografie im Netz als negative Seite der Digitalisierung?

Wir arbeiten sehr viel in und mit Schulklassen und haben dort die Erfahrung gemacht, dass der überwiegende Teil der 14-Jährigen bereits mit Pornografie – freiwillig oder nicht – konfrontiert wurde. Studien sprechen von 80 Prozent der Jugendlichen in dieser Altersklasse. Wir gehen stark davon aus, dass es auch schon viel Jüngere betrifft.

Worin liegt das Hauptproblem mit dem erleichterten Zugang zu pornografischen Videos?

Studien zeigen, dass Jungen Pornografie viel häufiger nutzen als Mädchen und sie anders bewerten. Mädchen sind ihr gegenüber eher abgeneigt, Jungen beschreiben sie als erregend und nutzen sie als Informationsquelle. Das Problem dabei: Pornofilme schaffen sexuelle Normvorstellungen, die nur wenig mit der Realität zu tun haben und Erwartungen erzeugen, die schwer zu erfüllen sind. Es wird ein stark fragwürdiges Bild von Sexualität transportiert: Ein stets potenter Mann wird von einer stets willigen Frau befriedigt. Alles funktioniert immer sofort. Vor allem pubertierende Jungen kann das stark verunsichern, sie selbst und ihre Sexualität als unzulänglich empfinden und unter Erfolgsdruck geraten lassen.

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Gerade Jungen brauchen männliche Fachkräfte, wenn es um Sexualberatung geht.

Was setzen Sie dem entgegen?

Ich versuche, ihnen zu einer selbstbestimmten Sexualität zu verhelfen und einem positiven Zugang zu ihrem Körper. Sexualität ist ein Aushandlungsprozess, es ist wichtig, aufeinander einzugehen und die Zustimmung von beiden Seiten einzuholen. Ich bestärke die Jungen, ihre Bedürfnisse mit der Partnerin oder dem Partner zu besprechen. Was gefällt Dir, was mir? Und was nicht? Ich versuche also, mit den Mythen aufzuräumen, die durch die Pornografie im Netz entstehen.

Ein anderes Thema ist Sexting, das digitale Verbreiten von intimen Bildern.

Auch hier hilft: Grenzen wahren und über das Recht am eigenen Bild Bescheid wissen. Ich vermittle aber auch, wie sicheres Sexting aussehen kann. Dass man intime Bilder und Videos nur an sehr vertraute Personen schickt, sein Gesicht verpixelt oder ein Emoji draufsetzt, Tattoos und andere Dinge, die einen identifizieren können, abdeckt.

Die Pro Familia-Beratungsstelle in Chorweiler

Ulla Engel-Horstkoetter

Ulla Engel-Horstkötter ist Leiterin der Pro Familia-Beratungsstelle in Chorweiler.

Die Beratungsstelle von Pro Familia in Chorweiler (Leiterin ist Ulla Engel-Horstkötter, Foto Pro Familia) bietet jetzt eine neues sexualpädagogisches Angebot speziell für Jungen an. Die Stelle von Malte Sicking (30) wird von der Stadt finanziert – befristet bis Ende 2021.

Zu den Kernaufgaben zählen Gruppenarbeit in der Beratungsstelle, Elternabende in Kitas, die Erarbeitung von Schutzkonzepten, Fortbildungen für Erzieher und Pädagogen und Sexualkundeangebote für die vierten Grundschulklassen.

Online-Angebote: Viele Veranstaltungen können Corona-bedingt nicht stattfinden, weshalb Pro Familia einen Instagram-Kanal gestartet und das Online-Angebot (Beratung, sexualpädagogische Workshops für Schulen, Fortbildungen im Bereich sexualisierte Gewalt und Sexismus am Arbeitsplatz) ausgeweitet hat. Beratungsstelle: Pro Familia, Athener Ring 3b, 50765 Köln-Chorweiler, 0221/703511 profamilia_koeln (Instagram) www.profamilia.de   

Ernten Sie viele schräge Blicke, wenn Sie sagen, dass Sie Sexualpädagoge sind?

Viele Leute sind erstmal irritiert, wenn ich sage, dass ich Sexualpädagoge bin, dann aber schnell sehr interessiert. Sie erinnern sich an ihren Aufklärungsunterricht, den die meisten als nicht sonderlich bereichernd erlebt haben. Meiner Meinung nach gehört das Thema auch nicht in den Schulunterricht, sondern ist Aufgabe von ausgebildetem Fachpersonal. Die meisten Lehrkräfte können das gar nicht gewährleisten, da Sexualpädagogik kein Inhalt der Lehrerausbildung ist. Mal ehrlich: Haben Sie gerne mit ihrem Biologie-Lehrer über dieses Thema geredet? Das sollte in einem freiwilligen Kontext stattfinden – außerhalb des Schulunterrichts und von Noten. Was nicht bedeutet, dass wir Schulen dabei nicht gerne unterstützen.

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