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Wohnen in ChorweilerLeben hinter Barrieren

3 min

Viele Häuser in Chorweiler sind nicht barrierefrei.

Chorweiler – Wenn Emma Boronstein an die frische Luft möchte, bugsiert sie ihren Rollator mühsam über die Schwelle der Balkontür. Ihre Wohnung liegt im achten Stock am Liverpooler Platz Nummer 5.

Das Hochhaus in Chorweiler zu verlassen, ist für die 83-Jährige noch weit mühsamer. Sie schiebt dann ihren Rollator über den Flur bis zum Aufzug und wartet – meistens sehr lange. Für die 90 Wohnungen im Haus ist der Fahrstuhl zu klein, kaum vier Personen passen hinein. Der zweite, größere Aufzug ist meistens außer Betrieb, sagen die Hausbewohner.

Wenn Frau Boronstein im Erdgeschoss ankommt, braucht sie Hilfe. Sie kann das Haus nicht allein verlassen. Vor der Tür führt eine steile Treppe zur Straße. Sie wartet jedes Mal auf jemanden, der ihren Rollator die Treppe hinunter trägt. „Ich würde gerne öfter nach draußen gehen“, sagt Frau Boronstein auf Russisch. Auch den Müll kann sie nicht allein wegbringen. Die Luke dafür befindet sich außen am Haus, in 1,60 Meter Höhe. Die Bewohner mehrerer ähnlich gebauter Häuser in der Florenzer Straße und am Liverpooler Platz haben die gleichen Probleme. „Die Leute haben das Gefühl, dass sie nichts ändern können“, sagt Sozialarbeiterin Sigrid Heidt, seit 1983 in Chorweiler tätig. In den Häusern, die wie das von Emma Boronstein unter Zwangsverwaltung stehen, haben es die Mieter besonders schwer, sich bei den Immobiliengesellschaften Gehör zu verschaffen.

Natalija Chestnova übersetzt für ihre Nachbarin Boronstein. „Alte Leute können hier eigentlich gut wohnen“, sagt sie. Ämter, Ärzte, Apotheken und viele Läden befinden sich in der Nähe. Sie selbst lebt seit zehn Jahren in dem Haus. „Es ist immer schlimmer geworden“, sagt sie über die Situation in ihrem Haus Liverpooler Platz 5. Seit einiger Zeit engagiert sie sich bei der Mieterkontaktstelle (Siehe „5 Fragen an“). Auch Hans Weißenborn, der sich als Lotse für Menschen mit Behinderung engagiert, will etwas ändern, aufmerksam machen auf die Barrieren in Chorweiler, die das Leben für Menschen, die auf einen Rollator oder einen Rollstuhl angewiesen sind, so schwer machen.

Das Unternehmen Hermes verwaltet das Haus am Liverpooler Platz 5. In einer E-Mail teilt ein Sprecher dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit, dass die Häuser nicht als barrierefrei angeboten würden, ein Umbau nicht vorgesehen sei. Es sei zudem nicht bekannt, dass die Aufzüge längere Zeit defekt seien. Frühere Schäden seien durch Vandalismus verursacht worden, eine Reparatur langwierig, weil die Ersatzteile teilweise nicht mehr hergestellt würden. Außerdem müssten die Kosten erst freigegeben werden. Das Unternehmen kündigt aber an, den Müllraum umzugestalten. Der „riesige Presscontainer“ werde durch blaue, gelbe und Restmülltonnen ersetzt.

Im Bezirk ist das Problem bekannt. In der Bezirksvertretung Chorweiler waren die Häuser mehrfach Thema. Zuletzt erkundigte sich die Grünen-Fraktion, wie für das Gebäude und die baugleichen Häuser in der Umgebung barrierefreie Zugänge geschaffen werden können. Eine Antwort der Verwaltung darauf steht noch aus. „Dass in manchen Häusern die Aufzüge häufig ausfallen, kommt erschwerend hinzu“, sagt Sozialarbeiterin Heidt.

Günter Giese lebt mit seiner bettlägerigen Partnerin im gleichen Haus. Zwei- bis dreimal im Monat müsse sie zum Arzt, sagt er. Im funktionierenden Aufzug sei nicht genug Platz. Die Krankenfahrer würden sie jedes Mal in einen Transportstuhl setzen und über das Treppenhaus nach unten bringen. „Sie sagen immer, ich müsse dafür sorgen, dass sie den großen Aufzug benutzen können“, sagt Giese und zuckt mit den Schultern. Kürzlich seien an einem Wochenende in ihrem Haus beide Aufzüge kaputt gewesen, erzählt Emma Boronstein, ihr zufolge nicht zum ersten Mal. Mit ihrem Sohn habe sie sich eine Stunde lang die Treppe hochgequält. Am Ende war sie so erschöpft, dass ihr die Tränen kamen.