Abo

„Versorgung funktioniert“Wie eine Kölnerin die Corona-Krise in Italien erlebt

6 min
5FA0DE0018456FBB

Der Platz vor dem Mailänder Dom ist menschenleer. Die Coronavirus-Pandemie betrifft derzeit Italien besonders stark.

  1. Die Kölnerin Caroline Becker (42) lebt mit ihrem Lebensgefährten Fabio (50) und der gemeinsamen Tochter Sophie (8) im Norden von Mailand.
  2. Viele der Einschränkungen für das öffentliche Leben, die die Politik in Deutschland gerade umsetzt, gelten im vom Coronavirus besonders betroffenen Italien bereits seit Wochen.
  3. Wie lebt die Familie damit? Caroline Becker hat es uns erzählt.

Frau Becker, ich nehme an, ich erwische Sie gerade zu Hause?

Ja, ich habe Zeit, wir können telefonieren.

Unter welchen Umständen dürfen Sie Ihre Wohnung überhaupt noch verlassen?

Es wird dringend davon abgeraten, raus zu gehen, wenn man keinen wichtigen Grund hat, aber es ist nicht grundsätzlich verboten. Man darf sich allerdings nur innerhalb seiner Gemeinde bewegen und auch nur dort einkaufen. Die Menschen hier machen auch noch Sport, Fabio geht fast täglich eine halbe Stunde laufen. Aber es ist schon so, dass man versucht, mindestens zwei Meter Abstand zu halten, wenn man unterwegs jemanden trifft.

Welche Geschäfte haben noch geöffnet?

52d6d7c9-1952-453a-857a-3c70ea2c4237

Die Kölnerin Caroline Becker lebt seit 15 Jahren in Mailand.

Lebensmittelgeschäfte, Apotheken und Ärzte, auch Tankstellen – wobei eigentlich kaum noch Autos unterwegs sind. Denn du darfst nur noch fahren, wenn du gute Gründe hast. Man muss einen Vordruck dabei haben, den man im Internet herunterladen kann. Eine Art eidesstattliche Selbstauskunft, mit der man versichert, dass man aus nicht verschiebbaren Gründen unterwegs ist, zum Beispiel weil man zur Arbeit muss oder zum Arzt. Es kommt vor, dass die Polizei Autofahrer anhält, die von einem Ort in den Nachbarort fahren. Im Zweifel rufen die auch bei deinem Arbeitgeber oder beim Arzt an und erkundigen sich, ob das stimmt. Wenn nicht, drohen eine Geldstrafe oder bis zu drei Monate Gefängnis. In Mailand hält die Polizei auch Menschen an, die in größeren Gruppen unterwegs sind.

Wurden die Spielplätze geschlossen?

Einige Gemeinden haben ihre Spielplätze geschlossen. Unsere nicht, aber sie sind trotzdem leer. Wir haben einen Spielplatz direkt vor unserem Fenster, ich sehe da eigentlich nie jemanden. Die meisten Menschen bleiben zu Hause.

Wie pflegen Sie Ihre Kontakte?

Bis vor einer Woche haben wir uns noch mit Freunden bei irgendwem zu Hause getroffen. Aber das machen wir jetzt auch nicht mehr. Es ist zwar nicht verboten, aber es wird dringend davon abgeraten. Und das auch zu Recht, denn es bringt ja nichts, wenn man das tut. Die ganze Anstrengung der Quarantäne wäre dann völlig umsonst.

Der nötige Gang zum Supermarkt alle paar Tage ist dann schon das Highlight?

Nein, wir waren letzte Woche zuletzt einkaufen und haben dann gleich ein bisschen mehr gekauft, damit es eine Woche reicht. Es ist einfach blöd, weil die Geschäfte die Leute nur noch in begrenzter Zahl reinlassen, damit man sich nicht zu nahe kommt. Und dann stehst du eben schon mal eine halbe Stunde in der Schlange. Wir gehen aber schon raus, einmal um den Block oder eine Runde Fahrrad fahren. Zehn bis 15 Minuten die Füße vertreten.

Gibt es Lebensmittelengpässe?

Nein, die Versorgung funktioniert ganz normal, da mache ich mir auch überhaupt keine Sorgen. Man liest schon mal von Hamsterkäufen, aber ich persönlich habe die hier noch nicht erlebt.

Toilettenpapier ist in Deutschland gerade besonders begehrt.

(lacht) Damit gibt’s hier überhaupt keine Probleme. Liegt vielleicht auch daran, dass in Italien Bidets weit verbreitet sind.

Wie steht es um die ärztliche Versorgung?

Das Problem ist auch die medizinische Versorgung von Nicht-Corona-Fällen. Die Mutter einer Freundin hatte vor zwei oder drei Wochen einen Termin im Krankenhaus für eine Brustkrebs-Operation, aber da war gerade das große Chaos ausgebrochen, die OP wurde abgesagt. Sie soll nun nächste Woche stattfinden. In einem Ort mit 11.000 Einwohnern sind in den letzten zwölf Tagen 70 Leute am Corona-Virus gestorben. Inzwischen ist es hier leider so weit, dass nicht mehr alle behandelt werden können. Wenn ein 50-jähriger und ein 80-jähriger Patient gleichzeitig ins Krankenhaus kommen, und es ist nur noch ein Beatmungsgerät frei, dann wird der 50-Jährige beatmet. Wir müssen einfach alle um jeden Preis zusehen, dass sich die alten Menschen nicht anstecken.

Besuchen Sie mit Ihrer Tochter zurzeit die Großeltern?

Nein, auf keinen Fall. Gestern kamen sie unangekündigt bei uns vorbei, und wir haben sie nicht reingelassen, sondern sie gebeten, wieder nach Hause zu gehen. Das alles ist für die Großeltern nicht leicht zu verstehen, wir haben uns fast darüber gestritten. Wir telefonieren jetzt stattdessen mehrmals täglich miteinander und auch mit meinen Eltern in Köln mehrmals die Woche. Es geht nicht anders. Die Todesraten hier sind enorm. Die Sorge ist aus meiner Sicht nicht übertrieben. Die Todesanzeigen in der Lokalzeitung von Bergamo füllen normalerweise drei Seiten, mittlerweile sind es mehr als zehn Seiten. Die meisten Betroffenen sind älter als 60.

Wie geht Ihre Tochter mit der Situation um?

Die ist super relaxed. Sie ist sogar froh, weil sie ihre Eltern gerade jeden Tag sieht und den ganzen Tag um sich hat. Wir sind ja sonst voll berufstätig. Sophie hat inzwischen so gut wie alles an Lego verbaut, was da ist. Ansonsten haben wir ein Hausaufgabenprogramm. Ich bin in der Whatsapp-Gruppe von ihrer Klasse. Da kriegen wir jeden Tag neue Hausaufgaben zugeschickt. Seit letzter Woche müssen die Kinder auch neue Themen erarbeiten. Das heißt, man muss sich mit ihnen hinsetzen und Mathesachen erklären. Ich weiß nicht, ob ich das didaktisch alles so richtig gemacht habe, aber sie hat es offenbar verstanden und die Aufgaben richtig gelöst. Die Lehrer schicken uns auch Videos, in denen sie den Kindern Dinge erklären. Letzte Woche hatte Sophie Klavierunterricht über die Videofunktion von Whatsapp. Zwischendurch musste ich das Handy mal über die Tasten halten, damit die Lehrerin die Fingerhaltung korrigieren konnte.

Sie und Fabio arbeiten im Homeoffice?

Ja. Bislang soll der Zustand erst mal bis zum 3.April anhalten, heißt es. Alle, mit denen ich rede, und ich auch gehen aber davon aus, dass es noch länger dauern wird. Ich arbeite in einer Unternehmensberatung und habe noch genug zu tun bei der Arbeit, könnte auch noch den ganzen April zu Hause arbeiten. Aber Fabio wird ab kommender Woche vielleicht in Zwangsurlaub geschickt. Er arbeitet in der Autobranche, und da kommen gerade nicht so viele Aufträge nach. Fiat Chrysler hat zum Beispiel gerade erst für zunächst zwei Wochen seine Fabriken geschlossen.

Und abends gibt es Netflix und Fernsehen?

Ja, klar, was soll man sonst tun? Auf der Arbeit machen wir es so, dass wir uns mit 20 Kollegen aus der Abteilung einmal die Woche über Google Hangout zur Kaffeepause treffen, um elf Uhr. Dann sehen wir uns gegenseitig alle in unseren schicken Jogginganzügen in der Küche abhängen und Kaffee trinken.

In Deutschland stehen wir mit Bewegungseinschränkungen und Geschäftsschließungen gerade erst am Anfang. In Italien sind Sie uns gut drei Wochen voraus. Haben Sie einen Ratschlag?

Ich gehörte anfangs auch zu denen, die gesagt haben: Ach, das wird schon alles nicht so schlimm. Das sehe ich inzwischen komplett anders. Ich würde empfehlen: Vermeidet es einfach rauszugehen, auch wenn es jetzt noch erlaubt ist. Versucht, euch so zu verhalten, dass möglichst wenige angesteckt werden. Sagt euren Eltern Bescheid und versucht sie zu überzeugen, dass sie zur Risikogruppe gehören und auch nicht mehr rausgehen sollen. Es wäre hier in Italien vielleicht vieles vermeidbar gewesen, wenn man das den über 65-Jährigen früher klargemacht hätte.

Das könnte Sie auch interessieren:

Vielleicht schafft man es so noch, die Kurve in Deutschland flach zu halten. Wenn die Zahlen erst einmal so in die Höhe schnellen wie hier, hat man ein Problem.