Streitfrage der WocheSollte die Isolationspflicht abgeschafft werden?

Lesezeit 6 Minuten
MicrosoftTeams-image

Sollten Infizierte ohne Symptome zur Arbeit gehen dürfen?

  • Der Kassenärzte-Chef Andreas Gassen hat eine bundesweite Debatte über die fünftägige Isolationspflicht losgetreten. Die Frage ist: Sollten Infizierte ohne Symptome zur Arbeit gehen dürfen?
  • Der Epidemiologe Klaus Stöhr findet: Es ist Zeit für einen Kurswechsel.
  • Der Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer hält dagegen: Ein Ende der Isolationspflicht sei weder medizinisch noch wirtschaftlich sinnvoll.

Köln – Pro: Eine Ansteckung mit dem Virus ist unvermeidbar, findet der Epidemiologe Klaus Stöhr. Bei der Isolation müsse es einen Kurswechsel geben

„Man sieht es nicht gleich, aber: Pandemiebekämpfung hat einiges gemeinsam mit dem Segeln. Man muss ein klares Ziel haben und den Kurs so wählen, dass man bei Beachtung der wechselnden Bedingungen effizient an der richtigen Stelle ankommt.

290379167

Klaus Stöhr, Epidemiologe

Bei den alle ca. 30 Jahre im letzten Jahrtausend auftretenden Pandemien durch Atemwegserreger war der Endpunkt die natürliche Immunisierung der Menschheit, die nachfolgende Zirkulation des Erregers mit Erstinfektionen bei Kindern und dann nachfolgend häufigen Reinfektionen bei Erwachsenen. Das Bekämpfungsziel bei solchen Ausbrüchen: durch Kontaktbeschränkungen einschließlich Quarantäne und Isolierung die Belastung des Gesundheitssystems reduzieren durch zeitliches Strecken der nicht abwendbaren Masseninfektionen.

Bei COVID-19 gab es zum ersten Mal ein zweiten Grund für „flatten the curve“: zeitnah verfügbare Impfstoffe. Also nicht nur: so viele Infektionen verhindern, dass das Gesundheitswesen nicht überlastet wird, sondern auch noch: idealerweise komplette Infektionsvermeidung bei den Vulnerablen bis zum Impfangebot für alle. Zu mindestens die entwickelten Ländern haben diesen Wendepunkt zum Pandemieende schon seit einiger Zeit erreicht.

Dazu kommt, das SARS-CoV-2 nun auch noch zusätzlich durch sehr viele Genesene und Immunisierte ausgeschieden und weiterverbreitet wird und die Infektionen wegen Omicron weit häufiger mild oder asymptomatisch verlaufen; auch wegen der bereits sehr dichten Immundecke aus Impfung und Infektion. Zwischen 60-90% der in Krankenhäusern SARS-CoV-2 positiv getesteten Patienten sind Nebenbefunde. Das Virus zirkuliert also frei in der Bevölkerung, wird von vielen unbemerkt ausgeschieden und das Gesundheitswesen ist nicht überlastet.

Quarantäne und Isolierung sind also in der gegenwärtigen Phase der Pandemie nicht mehr notwendig: es geht nicht mehr darum, so viel Infektionen wie möglich zu verhindern. Jetzt kann man nur noch die Auswirkungen der auf lange Frist leider nicht vermeidbaren Infektion für die Vulnerablen eindämmen. Dafür gibt es wirksamere als erhoffte Impfstoffe und Medikamente und ein belastbares Gesundheitswesen: besser wird es nicht mehr.

Und nicht vergessen: die Positivrate der Testungen gegenwärtig beträgt ca. 50% und vermutlich ca. 40% der Infektionen stammen von asymptomatisch Infizierten. Das heißt: die vielen Millionen Menschen, die sich nicht testen lassen (und zur Arbeit gehen weil sie gesund sind) haben also ein vergleichbares Risiko Virus auszuscheiden wie diejenigen, die sich asymptomatisch testen lassen und dann positiv sind (zu Hause bleiben und auf der Arbeit fehlen). Welchen nutzbringenden Effekt hätte also QuI für die Allgemeinheit gegenwärtig noch?

Für den besonderen Schutz der Vulnerablen in z.B. Krankenhaus und Altenpflege helfen Hygienekonzepte mit Masken und zusätzliches Testen auf dem letzten Abschnitt zur Endemie das Infektionsrisiko in den nicht vermeidbaren Hochrisikosettings herabzusetzen.

Sollte bei solch geänderten Umgebungsbedingungen der Kapitän den Kurs besser anpassen zumal sich der Endpunkt: jeder wird sich infizieren, leider nicht ändern wird? Die überfällige Kurskorrektur wurde bereits in den meisten europäischen Ländern vorgenommen und nicht nur Quarantäne und Isolation sondern bereits fast oder alle Pandemiemaßnahmen im Sommer abgeschafft. Riskiert man in Deutschland die Passagiere auf dem Weg zum Pandemieende zu verlieren?“

Klaus Stöhr ist Epidemiologe und Mitglied im Corona-Sachverständigenrat der Bundesregierung. Zuvor arbeitete er 15 Jahre für die Weltgesundheitsorganisation WHO, wo er das globale Influenza-Programm leitete und SARS-Forschungskoordinator war. 

Contra: Wenn Infizierte Menschen zur Arbeit gehen und ihre Kollegen anstecken, führt das nur zu mehr Personalausfall, findet Gerd Fätkenheuer.

„Einer positiv getesteten Person würde ich sagen: Bleib zuhause. Auch, wenn es keine Isolationspflicht gäbe. Wer das Virus nachweisbar hat, ist ansteckend, und eine weitere Ausbreitung gilt es einzugrenzen. Das würden wir bei jeder Infektionskrankheit empfehlen, die so infektiös ist wie Corona und so schwerwiegende Folgen nach sich ziehen kann. Medizinisch macht es schlicht keinen Sinn, infizierte Menschen unter Leute zu schicken.

faetkenheuer_gerd_00278p-2

Gerd Fätkenheuer, Infektiologe

Die Idee, die Isolation aufzuheben, ist vor allem wirtschaftlich begründet. In Betrieben – auch in den Kliniken - fehlt aufgrund von Quarantänen derzeit viel Personal. Ich bezweifle aber, dass es wirtschaftlich sinnvoll ist, Infizierte ohne Symptome arbeiten zu lassen. Schließlich können sie so ihre Kollegen anstecken, die wiederum Symptome entwickeln können und dann krankheitsbedingt ausfallen. Auch können wir nicht immer wissen, ob ein Arbeitskollege vielleicht ein erhöhtes Risiko hat, schwer an Covid zu erkranken. Ob ein Ende der Isolationspflicht für asymptomatisch Infizierte tatsächlich mit weniger Ausfällen in Betrieben einhergeht, halte ich für extrem fraglich – das erscheint mir eher nicht zu Ende gedacht.

Außerdem denke ich, dass der Anteil asymptomatischer Personen an der Gesamtzahl der positiv Getesteten eher klein ist. Die meisten Menschen machen inzwischen einen Test nur dann, wenn sie einen Grund dafür sehen, also wenn sie Symptome haben. Und wer mit Symptomen positiv getestet wurde, sollte auf jeden Fall zu Hause bleiben

Ebenfalls nicht stimmig ist ein weiterer Punkt, der in der Diskussion seit Beginn der Pandemie immer wieder aufkommt: der Vergleich mit der Grippe. Das Argument lautet: Bei der Grippe testet man nicht. Zuhause bleibt, wer Symptome hat, wer sich schlecht fühlt. Aber der Vergleich hinkt. Für die Grippe stehen uns nicht wie bei COVID-19 einfache Tests zur Verfügung, die von jedem angewendet werden können. Es gibt deshalb praktisch keine asymptomatisch Infizierten, die von ihrer Infektion wissen. Wenn man die Infomation hätte, dass eine Person ohne Symptome mit Grippe, also dem Influenzavirus infiziert ist, würde man diese Person auf jeden Fall nach Hause schicken, damit sie niemanden ansteckt.

Nun fallen bei manchen mit Corona infizierten Menschen die Tests auch dann noch positiv aus, wenn sie bereits keine Symptome mehr haben. Aktuell kann die Isolation nach 5 Tagen beendet werden, wenn man symptomlos ist. Es wird aber empfohlen, die Isolierung erst dann aufzuheben, wenn der Test negativ ausfällt. Bei dieser Regelung würde ich vorerst bleiben wollen. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass man nach fünf Tagen niemanden mehr anstecken kann, aber die Wahrscheinlichkeit ist eher niedrig.

Omikron mit einem Schnupfen gleichzusetzen und alle Isolierungsmaßnahmen aufzuheben, halte ich für falsch. In manchen Fällen mag die Erkrankung zwar so milde verlaufen, aber längst nicht in allen. Auch ein medizinisch leichter Verlauf, der nicht ins Krankenhaus oder gar auf die Intensivstation führt, kann starke Symptome und auch Post Covid mit sich bringen. Deshalb sollte man eine Infektion immer noch möglichst vermeiden.

Das könnte Sie auch interessieren:

Dauerhaft werden wir die Isolationspflicht von asymptomatisch Infizierten nicht beibehalten können - das ist klar. Andere Länder haben sie schon gestrichen, Österreich und Frankreich zum Beispiel. Das ist aber ein Experiment, von dem ich derzeit abrate. Alle Prognosen und Modelle sprechen dafür, dass die Zahl der Infizierten und Erkrankten im Herbst stark ansteigen wird. Wenn das ohne Einschränkungsmaßnahmen auf uns zukommt, riskieren wir deutlich zahlreichere Personalausfälle, als wenn wir die Isolationspflicht als Teilmaßnahme aufrechterhalten.“

Professor Gerd Fätkenheuer leitet die Infektiologie an der Uniklinik Köln. Er war von 2013 bis 2019 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie.

KStA abonnieren