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Demo in KölnErdogan-Anhänger feiern ihren Präsidenten als Verteidiger der Demokratie

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Erdogan-Anhänger feiern ihren Präsidenten, der allerdings nicht in Köln ist.

Köln – „Allahu akbar. Gott ist groß.“ Alle sollen friedlich bleiben, vernünftig sein, „mit Gottes Hilfe“ werde die Versammlung problemlos ablaufen. Der Moderator der Großdemonstration „Für Demokratie. Gegen den Militärputsch in der Türkei“ stimmt die Menge auf die Kundgebung ein. Wie ein Einpeitscher. „Alles was ich hier sehe, erinnert mich an Köln, an Deutschland, an türkische Mitbürger in Europa.“

Es ist 15 Uhr, die Lobeshymne auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist bereits gelaufen. Es wird nicht das letzte Mal sein an diesem Nachmittag. Rund 40000 Menschen sind auf der Deutzer Werft versammelt. „Ist Deutschland hier, ist Belgien hier, ist die Schweiz hier, ist Dänemark hier, ist Europa hier?“ Die Menge antwortet: „Ja.“ Die türkische und die deutsche Nationalhymne erklingen. Erster Höhepunkt eines Nachmittags, den Köln so noch nicht erlebt hat.

Gedenkminute an der Deutzer Werft

„Liebe Freunde, der Boden Anatoliens hat eine Menge miterlebt. Aber wir haben alle zusammengehalten. Für diejenigen, die bei dem Putsch ihr Leben verloren haben, bitte ich euch jetzt um eine Gedenkminute. Auch für die Opfer der Terroranschläge in Europa, in Paris, Nizza und Istanbul.“

Der Moderator fordert die Demonstranten auf, „wir sind Deutschland“ zu rufen. Die Antwort fällt etwas anders aus. „Allahu akbar. Gott ist groß.“ Was die Demonstranten eint: Alle haben das Gefühl, ganz Europa ist gegen die Türkei. Oder besser: Ganz Europa ist gegen Erdogan.

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Demonstranten distanzieren sich vom Terror.

Cihan Postaci (47) aus Neuss, als kleines Kind nach Deutschland gekommen, ist dafür ein klassisches Beispiel. Das Misstrauen gegenüber den Journalisten ist nicht nur bei ihm riesengroß. Erdogan habe den Militärputsch niedergeschlagen, er habe die Demokratie verteidigt und ganz Europa bezeichne ihn deshalb jetzt als Diktator. „Und das machen die gleichen Politiker, die ihn gleichzeitig darum bitten, das Flüchtlingsproblem zu lösen.“

„Wir wollen nicht mehr in die EU"

Die Türkei werde ihren Weg gehen, wenn das Parlament in Ankara über eine vorübergehende Einführung der Todesstrafe als Folge des Militärputsches abstimmen werde, müsse man dem folgen.“ Das sei schließlich auch ein demokratischer Vorgang.

Dass sich die Türkei spätestens damit ihrer Chance beraube, jemals Mitglied der Europäischen Union zu werden, sei egal. „Man will uns doch gar nicht in Europa. Und wir wollen auch nicht mehr in die EU.“ Darüber müsse es ein Referendum in der Türkei geben. Später wird die Menge noch skandieren: „Wir wollen die Todesstrafe.“

Einheit und Geschlossenheit

So wie Postaci denken die meisten hier auf dem Platz. Die Türkei stehe am Pranger, in ganz Europa, aber vor allem in Deutschland. Auf der Bühne wird eine „gemeinsame Deklaration der großen türkischen Nationalversammlung“ verlesen. „Das Parlament des Volkes wird die Initiatoren dieses auf die Nation und den Volkswillen gerichteten Angriffs aufs Schwerste zur Rechenschaft ziehen.“

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Tausende Türken sind gekommen, um für Erdogan zu demonstrieren.

Es ist viel von Einheit und Geschlossenheit die Rede an diesem Nachmittag. „Für uns macht es keinen Unterschied, welche Religion jemand hat, woher er kommt, welche Sprache er spricht oder welche Partei er unterstützt“, ruft der Moderator in die Menge. „Uns alle verbindet unsere gemeinsame zweite Heimat, die Türkei. Und diese Liebe ist ganz klar überparteilich.“ Er wolle die türkischen Fahnen sehen. Ein türkisches Volkslied erklingt, die Namen der Todesopfer des Militärputsches werden verlesen. Die Menge schreit nach jedem Namen: „Hier“.

„Wir sagen Nein zum Staatsstreich“

Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies verfolgt die Kundgebung zeitweise hinter der Bühne. Die Lage ist entspannt. Vorab hat die Polizei den Veranstaltern noch einmal klar gemacht, dass sie die Videowände sofort abschalten wird, sollten die Auflagen der Gerichte missachtet werden. Die sehen vor, dass nur die Reden übertragen werden. Selbst Kameraschwenks auf die Demonstranten darf es nicht geben. „Wir wollen hier für die Demokratie demonstrieren und sagen Nein zum Staatsstreich“, sagt Bülent Bilgi, von der Union Europäischer Türkischer Demokraten (UETD) und Mitorganisator der Kundgebung an der Deutzer Werft.

Es sei bedauerlich, aber er habe sehr viele Absagen von Reiseveranstaltern bekommen, „nachdem klar war, dass es um diese Demonstration geht. Das ist schade.“ Schade sei auch, dass die Kundgebung mit harten Auflagen versehen worden sei. „Das ist die Entscheidung der Gerichte und wir haben sie zu akzeptieren.“

Metin Külünk vermisst Glückwünsche an Erdogan

Die Kritik, die türkische Gemeinschaft in Deutschland nutze alle demokratischen Grundrechte, um für Erdogan zu demonstrieren, während dieser in der Türkei gerade dabei sei, die Demokratie abzuschaffen, könne er nicht teilen. „Wenn das so wäre, dürften hier keine Redner der Opposition auftreten.“

Metin Külünk, Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP aus Istanbul, zeigt sich enttäuscht über die mangelnde Unterstützung aus Europa. In der EU lebten zehn Millionen Türken, mehr als drei Millionen davon in Deutschland. „Ich hätte erwartet, dass Deutschland und die gesamten europäischen Mitgliedsstaaten sich mit der Türkei solidarisiert und Erdogan persönlich zur Niederschlagung des Putsches gratuliert hätten.“ Erdogan sei „ein Held der Freiheit, ein Held der Menschenrechte“. Spätestens nach dieser Aussage ist klar, dass es bei der Kundgebung nicht bloß um den Putsch geht. Sie ist eine Demonstration für den Staatspräsidenten. „Woher nimmt das türkische Volk seine Kraft?“ schreit der Moderator in die Menge. „Recep Tayyip Erdoğan“ ruft die Masse. Und wieder erklingt die Erdoğan-Hymne. Die Bässe wummern.

Türken halten Demo für gerechtfertigt

Die Kundgebung erreicht ihren Höhepunkt. Der türkische Sänger Uğur Işılak beantwortet noch eine letzte offene Fragen, die sich neutrale Beobachter der Kundgebung vorab mehrfach gestellt haben und die auch von einem Polizisten, der den ganzen Tag über auf der Deutzer Brücke Dienst schieben muss, aufgegriffen wird. Warum demonstrieren die Türken in Deutschland für Erdogan? “

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Zwei Demonstrantinnen schwenken die türkische Flagge.

„Die Türken haben seit über 50 Jahren Deutschland mit aufgebaut. Sie leben seit über 50 Jahren hier. Sie haben aber alle in der Türkei noch Hab und Gut, Verwandte und Bekannte“, ruft der Sänger in die Menge. Schon deshalb sei es ihr gutes Recht, innertürkische Angelegenheit nach Deutschland zu transportieren. Das werde auch noch in 500 Jahren so sein.

„Der Türke wird niemals zu einer Geisel“

Mitten auf dem Gelände stehen drei junge Türken, aus Süddeutschland nach Köln angereist. Oder besser, deutsche Staatsbürger mit türkischen Wurzeln. Sie haben die türkische Nationalflaggen um die Hüften geschwungen. Die dritte Generation, ihr Herkunftsland kennen sie von ein paar Reisen und aus den Erzählungen ihrer Eltern. Erdogan habe nichts anderes getan, als die Demokratie verteidigt, sagt einer von ihnen. „Wir verstehen nicht, dass ihr das nicht versteht. Es geht um unseren Glauben, unsere Kultur, es geht um unser Land.“

Zwei Stunden später sitzen sie wieder in ihrem Reisebus – auf dem Weg nach Hause. In die Heimat. Nach Baden-Württemberg. „Ich bin ein Türke. Der Türke wird niemals zu einer Geisel“, ruft Erol Yayicioglku von der Europäischen Türkischen Vereinigung den Kundgebungsteilnehmern der Bühne zu. Ein Wolkenbruch geht nieder. Der nächste Redner, Sportminister Akif Cagatay Kilic, sucht Schutz vor dem Regen in seinem Auto. „Allahu akbar. Gott ist groß.“