Den Krebs annehmen durch Malen

Ann-Pascale Böhm experimentierte viel und machte in ihren Bildern auch Anleihen bei Picasso.
Copyright: Jürgen Kisters
Lindenthal – Der Mensch ist ein kompliziertes Wesen. Wenn alles gut geht, läuft er einigermaßen unbedarft durch die Welt, meistert die Wechselfälle des Alltags abwechselnd mit Gelassenheit und etwas Wut, zumeist im Gefühl einer gewissen Stärke. Wenn es aber nicht gut geht, der Körper unverhofft Anzeichen von Störung, Schmerzen und großer Schwäche zeigt und eine Krebserkrankung diagnostiziert wird, gerät alles aus dem Gleichgewicht. Nicht nur der Körper, sondern auch das Seelenleben eines Menschen. In dieser Situation suchen viele Patienten die Therapieangebote der psycho-onkologischen Betreuungseinrichtung Lebenswert auf.
Das ist der Ort, an dem derzeit künstlerische Werke von Ann-Pascale Böhm ausgestellt werden. Und dort sind sie auch entstanden. In der Kunsttherapie von Haus Lebenswert, die Ann-Pascale Böhm bis vor ihrem Tod Ende des Jahres 2018 drei Jahre lang besuchte, während die körperlichen und seelischen Torturen im Verlauf ihrer Krebserkrankung ihr ganz unterschiedlich zusetzten.
Die wechselnde Stärken dieser Dramatik sind den Zeichnungen und Malereien ebenso anzusehen wie unterschiedliche Grade von Aufregung und Beruhigung, Hoffnung und Verzweiflung. „In den drei Jahren, die von ständigen Rückfällen und Tiefpunkten gekennzeichnet waren, hat die bildnerische Arbeit ihr immer wieder Halt gegeben,“ erklärt der Kunst-Therapeut von Haus Lebenswert Richard Berners. Sie selbst habe den regelmäßigen Freitagstermin bei aller Lebenslast als eine Art heilige Zeit angesehen, in der sie mit Pinsel und Farben mehrere Stunden lang auf der Leinwand nicht nur tief in das schwierige Leben eintauchen, sondern auch malerisch darüber hinaus gehen konnte. Einmal ließ sie die Farben wild auf die leere weiße Bildfläche spritzen, dass sie wie verrückt gewordene Blutbahnen erscheinen.

Ann-Pascale Böhm experimentierte viel und machte in ihren Bildern auch Anleihen bei Picasso.
Copyright: Jürgen Kisters
Ein anderes Mal ließ sie verschlungene Ornamente zu einer beruhigenden Ordnung ineinander greifen. Hier druckte sie abstrakte tiefschwarze Silhouette aufs Papier, die wie unheimliche Vögel oder Monstren aus einer anderen Welt oder Zeit die Gegenwart bedrohen. Dort malte sie ineinander verwobene gelb-rote Blüten als Zeichen einer lächelnden Harmonie und Zuversicht in das Leben.
Viel sattes Rot ist immer wieder im Spiel, als Farbe des Blutes, der Verletztheit, des Feuers, der brennenden Sehnsucht. Spiralige Ornamente und Strukturfelder verweisen in den Bildern ebenso auf das Gefühl des Eingesperrtseins wie auf das Verlangen nach Ordnung und Halt. Manchmal nutzte Ann-Pascale Böhm auch Bildmotive aus der Kunstgeschichte, um ihre eigene Befindlichkeit auszudrücken. Nach der Vorlage von Niki de Saint Phalles Nana machte sie ihren Wunsch nach tänzerischer Leichtigkeit sichtbar, Und in Anlehnung an ein Frauenporträt von Pablo Picasso führte sie das Gefühl des Gespaltenseins vor Augen. Malend, zeichnend, mit Linien und mit Flächen lassen sich viele Empfindungen und diffuse seelische Regungen zum Ausdruck bringen, die ein Mensch mit Worten nicht erklären kann. Das Unsagbare und Ungeheuerliche, das die Befindlichkeit in der Krebserkrankung mit sich bringt, lässt sich im Bild immerhin zeigen. Und es wird darüber möglicherweise besser kommunizierbar. „Auch wenn Ann-Pascale Böhm ihren beharrlichen Kampf für das Leben verloren hat, so hat ihr das Malen in der Kunsttherapie doch bei der Anerkennung des Todes geholfen,“ sagt Richard Berners. In ihrer Kunst habe sie eine Haltung zum Ausdruck gebracht, erläutert Berners, die auch anderen an Krebs erkrankten Teilnehmern in der künstlerischen Gruppentherapie sehr geholfen habe.
Die Ausstellung ist ein gutes Beispiel für die heilsamen Kräfte der Kunst, denn das Malen hilft ein wenig, Unerträgliches zu ertragen, wenn es denn gelingt, sich ganz auf die Schaffung eines Bildes zu konzentrieren. Alle Werke zusammen sind gleichermaßen eine eindrucksvolle Demonstration der grundsätzlichen Vielfalt künstlerischer Möglichkeit und der Komplexität des menschlichen Seelenlebens. Die Hinterbliebenen von Ann-Pascale Böhm haben entschieden, den finanziellen Erlös aus dem Verkauf der Kunstwerke Haus Lebenswert zur Unterstützung der therapeutischen Arbeit zu spenden.
Die Bilder von Ann-Pascale Böhm sind bis zum 31. Juli im
Haus Lebenswert, Weyertal 76 in 50931 Köln, zu sehen.
Richard Berners, Kunst-Therapeut