Der Tod von Ioana C.Erst in Köln auf den Strich gezwungen, dann ins Koma geprügelt

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Ioana C. 1

Ioana C.

  • Für unsere Serie „Köln im Rotlicht“ sind unsere Reporter in die Rotlicht-Szene eingetaucht, haben mit Prostituierten, Freiern, Zuhältern und Bordellchefs gesprochen.
  • Folge 6: Ioana C. kommt aus Rumänien, um in Deutschland als Altenpflegerin zu arbeiten. Stattdessen wird sie in Köln auf den Strich gezwungen, bis ihr Zuhälter sie prügelt und würgt – mit dramatischen Folgen.

Köln – Ioana C. hatte ihr Dorf in Rumänien verlassen in der Hoffnung, in Deutschland als Altenpflegerin arbeiten zu können. 2013 war das. Ioana C. war 18 Jahre alt und Mutter eines einjährigen Jungen. David. Vom Geld, das sie in Deutschland verdienen würde, wollte sie zu Hause ihre Familie ernähren. Heute, sechs Jahre später, ist David ein Waisenkind. -> Hier: Alle 20 Folgen der Serie „Köln im Rotlicht“ im Überblick!

Anfang 2019 ist Ioana C. nach fünf Jahren Siechtum in einem Kölner Pflegeheim gestorben – an den Spätfolgen brutaler Misshandlungen durch ihren Zuhälter. Der Fall ist geradezu typisch für das Vorgehen osteuropäischer Menschenhändler – der erschütternde Ausgang dieser Geschichte ist es glücklicherweise nicht.

Schwere Verbrennungen in der Schamgegend

In einem Altenheim hat Ioana C. in Deutschland nie gearbeitet. Das war nur ein Vorwand von Robert T., um sie hierhin zu locken. Ioana C. vertraute ihm, er war der Ehemann einer alten Schulfreundin aus Rumänien. Aber gleich nach ihrer Ankunft nimmt der 36-jährige Rumäne ihr den Pass ab und zwingt sie auf den Strich, anfangs in Bremerhaven, ab 2014 dann in einem Wohnungsbordell an der Glockengasse in Köln.

Ihre Eltern wissen von nichts, fern der Heimat ist Ioana C. der Gewalt des in Rumänien vorbestraften Zuhälters ausgeliefert. Immer wieder misshandelt er die junge Mutter. Noch in Bremerhaven fügt Robert T. ihr mit entzündetem Nagellackentferner schwere Verbrennungen in der Schamgegend zu.

Um 4.30 Uhr verliert sie das Bewusstsein – erst am nächsten Tag wird der Notarzt gerufen

In der Nacht zum 31. Juli 2014 eskaliert die Situation an der Glockengasse in Köln vollends. Robert T. ist wütend, er wirft der 19-Jährigen vor, nicht genug Geld zu verdienen. Er schlägt sie, schüttelt sie, reißt sie an den Haaren in die Luft. Um 4.30 Uhr verliert Ioana C. das Bewusstsein. Erst um 11.40 Uhr ruft ihre alte Schulfreundin, T.’s Frau, den Notarzt. Ein Gehirnödem hat sich gebildet. Wie Sanitäter später im Prozess gegen T. aussagen, sei bei der Rettung „jede Sekunde“ kostbar gewesen.

Ioana C. liegt lange im Wachkoma, sie überlebt zwar, bleibt aber ein schwerer Pflegefall, leidet an Lähmung und geistiger Behinderung. Nur mühsam lernt sie wieder zu sprechen.

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Ioana C. nach und vor der Prügelattacke ihres Zuhälters 

Robert T. taucht zunächst unter, wird erst Monate später gefasst, als seine Ehefrau im rumänischen Fernsehen auspackt und ihn schwer belastet. Die Polizei verhaftet ihn. Am Tag vor Heiligabend 2015 wird er in Köln zu achteinhalb Jahren Haft wegen schwerer und gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Versuchter Totschlag konnte ihm juristisch nicht nachgewiesen werden. Privatleute, Organisationen und Hilfsvereine spenden Geld, damit die verarmten Eltern von Ioana C. ihre Tochter im Krankenhaus und später im Pflegeheim besuchen können. Einmal nehmen sie auch David mit, Ioanas Sohn, um den sie sich nicht mehr kümmern kann.

Lesen Sie hier alle bereits erschienenen Folgen von „Köln im Rotlicht – Das Geschäft mit der Prostitution“ ->

Ebenfalls mit Spendengeldern beginnen sie, ihr Häuschen in Rumänien rollstuhlgerecht auszubauen. Sie geben die Hoffnung nicht auf, ihre Tochter eines Tages nach Rumänien holen zu können. Ärzte, Pfleger und Freunde ahnen da bereits, dass dies ein Wunsch bleiben wird. Die Behinderungen sind zu schwer. Anfang 2019 starten die Freunde erneut eine Spendenaktion, es ist die letzte – Ioanas Leiche wird nach Rumänien überführt. Dort wird die 24-Jährige unter großer Anteilnahme beigesetzt. 

Glossar

Agisra

Die „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ in Köln ist seit 1993 eine Beratungs- und Informationsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen. Agisra unterstützt zum Beispiel Frauen, die von Gewalt, Sexismus oder Rassismus betroffen sind, die Sozialarbeiterinnen reden mit Frauen auf dem Straßenstrich, am Eigelstein und in Bordellen. Der Verein sitzt in der Bolzengasse in der Altstadt, Telefon 0221/124019.

Escort

Begleit-Agenturen oder Escort-Agenturen vermitteln Frauen, seltener auch Männer, gegen Honorar für eine vereinbarte Zeit. Die Agenturen dienen als Dienstleister und kassieren eine Provision von den Frauen, die oft zwischen 25 und 35 Prozent liegt. Die Preise für die meistens auch sexuellen Dienstleistungen schwanken, liegen aber nur selten unter 200 Euro pro Stunde und 1500 Euro pro Tag. Viele ihrer Mitarbeiterinnen seien Studentinnen, berichtet eine Kölner Agentur-Chefin. Eine vom Studienkolleg zu Berlin veröffentlichte Umfrage ergab, dass 3,7 Prozent aller Berliner Studierenden als Sexarbeiter im weiteren Sinne tätig sei. Verbände und Behörden gehen davon aus, dass der Großteil der im Escort-Bereich tätigen Frauen freiwillig dort arbeitet.

Hurenpass

Im Juli 2017 ist bundesweit das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Seitdem müssen Prostituierte einen speziellen Ausweis bei sich tragen, den so genannten Hurenpass. Diese Anmeldebescheinigung, die regelmäßig verlängert werden muss, ist mit Namen, Meldeadresse und einem Foto versehen. Viele Sexarbeiterinnen weigern sich, ihre Anonymität aufzugeben und den Pass zu beantragen – sie fürchten unter anderem Repressionen in ihren Heimatstaaten, in denen Prostitution unter Strafe steht. 

Laufhaus

In einem meist mehrstöckigen Laufhaus mieten Prostituierte Zimmer an. Wenn sie auf Freier warten, stehen ihre Türen offen. Der Kunde streift durch die Flure und kommt mit den Frauen ins Gespräch, die vor oder in ihren Zimmern sitzen. Welche Leistungen sie anbieten und welche Preise sie dafür verlangen, bestimmen die Frauen selbst, nicht der Laufhaus-Betreiber. Er kassiert von ihnen nur die tägliche oder monatliche Miete. Der Eintritt in ein Laufhaus ist meistens frei. Wie viele der Frauen tatsächlich selbstbestimmt arbeiten und wie viele ihre Einnahmen an einen Zuhälter abtreten müssen, ist unklar.

Loverboys

Zuhälter, die vor allem Minderjährige und junge Frauen in Clubs und im Internet ansprechen. Sie täuschen ihnen die große Liebe vor, entfremden sie aber tatsächlich von Freunden und Familie und zwingen sie in die Prostitution. Laut Polizeierkenntnissen sind Loverboys in aller Regel Einzeltäter, die oft mehrere Frauen parallel haben, ohne dass die Opfer voneinander wissen. 

Menschenhandel

Eine Straftat, auf die zwischen sechs Monate und zehn Jahre Gefängnis steht. Unter Menschenhandel versteht das Gesetz jede Form des Anwerbens, Transports oder Beherbergens von Menschen, um sie auszubeuten – zum Beispiel in der Prostitution, durch Bettelei oder Zwangsarbeit. 

Poppers

Slang für eine flüssige, nicht verbotene Droge, die in kleinen Ampullen vertrieben wird und beim Öffnen ploppt. Poppers sollen stark gefäßerweiternd, aphrodisierend, muskelentspannend und schmerzhemmend wirken – und damit helfen, den Geschlechtsverkehr zu verlängern. Werden in fast allen Bordellen verkauft. Können zu Herzrasen, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen führen, blutdrucksenkende Potenzmittel verstärken die Wirkung.

Prostituiertenschutzgesetz

Seit 1. Juli 2017 ist ein neues Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Es beinhaltet unter anderem die Verpflichtung eines so genannten „Hurenausweises“. Betreiber von Bordellen benötigen eine Erlaubnis und dürfen sich zuvor nicht im Bereich Menschenhandel/Prostitution strafbar gemacht haben. Das Gesetz sieht auch eine Kondompflicht für Freier und eine Gesundheits- und Ausstiegsberatung für Sexarbeiter/innen vor.  Sexarbeiterinnen dürfen seit Inkrafttreten des P. nicht mehr in dem Raum schlafen, in dem sie ihre Dienstleistungen anbieten – Bordellbetreiber müssen getrennte Schlaf- und Waschräume anbieten. Das Gesetz soll Sexarbeiter/innen vor Zwangsprostitution, ungeschütztem und gewalttätigem Sex schützen. Interessenverbände und Beratungsstellen kritisieren das Gesetz: Die meisten Prostituierten, die nicht freiwillig arbeiten, würden weiterhin nicht erreicht. Die Sorge, mit einem Hurenausweis identifiziert werden zu können, treibe viele Frauen in die Illegalität.

Das Gesetz hat für Prostituierte in NRW auch positive Effekte, resümiert die Prostituierten-Beratungseinrichtung Kober.  So habe sich die Hygiene in vielen Häusern verbessert, auch die Rückzugsmöglichkeiten, Aufenthaltsräume und Beratungen wurden von vielen Frauen als hilfreich beschrieben. Die in vielen Sprachen abrufbare Lola-App unterstützt demnach viele  Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, um sich besser über ihre Rechte, Krankenversicherung, Prävention und Beratungsangebote zu informieren. 

Saunaclub/FKK-Club

Die Gäste bewegen sich im Handtuch oder Bademantel durch den Club. Im Eintrittspreis enthalten sind oft Getränke und Speisen. Neben Sauna und Dampfbad gibt es meist eine Bar und separate Bereiche, in denen männliche Besucher mit Prostituierten ins Gespräch kommen. Die Einnahmen werden zwischen der Frau und dem Clubbetreiber aufgeteilt. Die Frauen sind entweder festangestellt, oder sie arbeiten auf eigene Rechnung beziehungsweise für einen Zuhälter, der sie häufig zum Club bringt und wieder abholt. Insider gehen davon aus, dass ein Großteil der Frauen in den Clubs nicht unabhängig von Zuhältern arbeitet.

Sexarbeit/Prostitution

Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe. Sexarbeit ist der neutralere Begriff, er beinhaltet keine negative Bewertung. Eine Sexarbeiterin ist eine Dienstleisterin, die einen sexuellen Service anbietet, um damit Geld zu verdienen. Das Wort Prostitution ist negativ belegt: Im Lateinischen bedeutet es, etwas „nach vorne zu stellen“ – sich preiszugeben oder auszustellen. Prostitution wird verbunden mit einem patriarchalen System –  Bordellen, Zuhältern und Freiern, die die Regeln diktieren. Bei einer Frau, die auf den Straßenstrich geht, um ihre Drogensucht zu finanzieren, würde man eher von einer Prostituierten sprechen, bei einer Frau, die sich mit Escort-Service ihren Lebensunterhalt verdient, eher von Sexarbeiterin. Bei einer jungen Frau aus Osteuropa, die im Bordell Sex anbietet, ist die Unterscheidung schwieriger – wenn sie dort arbeitet, um die Existenz ihrer Familie zu sichern, spräche man von Sexarbeit, würde sie von ihrem Vater oder Bruder unter Druck gesetzt, anschaffen zu gehen, von Prostitution. 

Sozialdienst katholischer Frauen (SkF)

Anlaufstelle im Caritasverband für Frauen und Familien in Not. Seit mehr als hundert Jahren engagiert sich der SkF in Köln für Prostituierte, informiert sie über Rechte und Pflichten, unterstützt sie bei Sorgen in Familie und Partnerschaft und hilft den Frauen beim Ausstieg, wenn sie das wünschen. Die  Geschäftsstelle ist am Mauritiussteinweg in der Innenstadt, Telefon 0221/12695-0.

Verrichtungsbox

Garagenähnliche Boxen auf dem Straßenstrich an der Geestemünder Straße in Niehl. Das fußballfeldgroße, eingezäunte Gelände eröffnete im Oktober 2001. Freier fahren dort zunächst durch eine Kontaktzone und dann mit den Frauen in eine der acht Boxen, die in einer alten Scheune untergebracht sind. Es gibt auch Container für Fußgänger oder Radfahrer. In jeder Verrichtungsbox ist ein Alarmknopf an der Wand. Während der Öffnungszeiten sind Sozialarbeiter auf dem Gelände anwesend, Ordnungsamt und Polizei kontrollieren das Gelände regelmäßig.

Weißer Ring

Hilfsorganisation für Menschen, die in Deutschland Opfer von Kriminalität geworden sind. Die ehrenamtlichen Betreuer beraten auch immer wieder Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution, unterstützen sie bei der Suche nach spezialisierten Rechtsanwälten, bei der Beantragung einer lebenslangen Opferrente oder mit der Zahlung einmaliger Soforthilfen bis zu 300 Euro. Zentrale Anlaufstelle auch für Menschen in Köln ist das Landesbüro in Düren, Telefon 02421/16622.

Zwangsprostitution

Eine besondere Form der Ausbeutung und seit 2016 ein eigener Straftatbestand neben dem Menschenhandel. Vor 2016 war der Begriff rechtlich nicht definiert. Bei Verurteilung drohen dem Täter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. Die meisten Opfer stammen aus Deutschland sowie aus Ost- und Südosteuropa. Häufig werden die Frauen angeworben, indem der Täter ihnen eine legale Arbeit etwa in der Gastronomie oder Hotellerie verspricht.

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