Die Awo lud zum ersten „Thekengespräch“, bei dem Menschen aus Ossendorf ihre Probleme Politikern aus Bezirk und Stadt vortragen konnten.
Neues DialogformatThekengespräch feiert Premiere in Köln-Bickendorf

Einladung zum betont informellen Gespräch: Frédéric Bravo Paredes, Udo Hanselmann, Jörg Detjen, Ulrike Detjen und Denise Abé an der Theke im Hof des Median Therapiezentrums
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Auf die erste Wortmeldung nach der Vorstellungsrunde müssen die Politiker bei der Premiere im Hof des Median Therapiezentrums nicht lange warten. Ein Besucher der „Thekengespräche“ beklagt sich, dass im Saunaclub gleich gegenüber an der Mathias-Brüggen-Straße noch nachts um 3 Uhr und manchmal bis 6 Uhr morgens Betrieb herrsche, mit lautstarken Auseinandersetzungen und sogar Schlägereien. Auch beim „Auto-Posing“, dem Vorführen neuer Lamborghini- oder Mercedes-Karossen, werde nachts ordentlich Gas gegeben.
Aktion Nachbarschaft und Awo wollen Menschen mit Politikern vernetzen
„Seit etwa eineinhalb Jahren, seit die eine Außengastronomie haben, ist es richtig schlimm geworden. Bei uns leben Menschen mit chronischen Krankheiten, die sind auf Ruhezeiten angewiesen“, schimpft der Redner erbost und erhält dafür viel Zustimmung von den rund 20 Bewohnern, die sich hier versammelt haben. „Wer vergibt denn eine Konzession für sowas?“ Stadtrat Jörg Detjen (Die Linke) stimmt zu: geht gar nicht. Er versichert, er werde mit dem Ordnungsamt über mögliche Auflagen für den Club reden: „Aber wir befinden uns hier in einem Gewerbegebiet, das könnte ein Problem sein, versprechen kann ich leider nichts.“ Der stellvertretende Bezirksbürgermeister Udo Hanselmann (SPD) schlägt vor, die Einrichtung solle sich mit einer entsprechenden Eingabe an Geschäftsstelle für Anregungen und Beschwerden wenden: „Ich werde mal was formulieren.“
Eine unschöne Angelegenheit, über die da diskutiert wird, klar, aber Sozialraumkoordinator Frédéric Bravo Paredes ist mit dem Ablauf der Veranstaltung als solcher sehr zufrieden. Die Awo-Sozialraumkoordination Bickendorf und Ossendorf hat die Reihe der „Thekengespräche“ zusammen mit dem Verein Aktion Nachbarschaft ins Leben gerufen, damit Menschen in den beiden Stadtteilen, die ansonsten eher wenig Kontakt zur Politik haben, Gelegenheit haben, mit den zuständigen Mandatsträgern über ihre Sorgen und Probleme zu reden. Oder auch Ideen und Anregungen vorzulegen.
Wohnungsmangel ist Thema des ersten Thekengesprächs
Zum ersten Termin im Hof des Median Therapiezentrums und Adoptionshauses, das für seine Bewohner ein „Zuhause auf Zeit“ ist, sind vier Politikerinnen und Politiker aus Bezirksvertretung (BV) und Stadtrat gekommen. Sie stehen am Grill und verteilen Würste oder schenken Softdrinks an der Theke aus, das allein gibt dem Ganzen eine informelle Atmosphäre und signalisiert Offenheit und Gesprächsbereitschaft. „Die Theke wurde hier im Therapiezentrum von einigen Bewohnern gefertigt, Kinder der Katholischen Grundschule Erlenweg wollen sie noch farblich gestalten“, sagt Bravo Paredes.
Bezirksvertreterin Ulrike Detjen (Die Linke) diskutiert mit Bewohnern derweil über den Wohnungsmangel in Köln, der sie ganz direkt betrifft, weil sie nach ihrer Zeit im Therapiezentrum möglichst eigenständig leben sollen, und dafür natürlich auf günstige Mieten angewiesen sind. „Die Justizvollzugsanstalt hat sogar schon Probleme, Menschen aus der Haft zu entlassen, weil die danach möglicherweise auf der Straße stehen“, erzählt Detjen.
Themen sind aber auch die Verschmutzung der Grünanlagen mit Müll und gebrauchten Spritzen, oder die Fahrpläne der KVB-Linien 3 und 4, die ruhig etwas enger getaktet sein könnten, vor allem in den Abendstunden. Auch über Politik im Allgemeinen wird geredet, über die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Stadtrat und Bezirksvertretungen etwa, auch darüber, wie es sich anfühlt, einem dieser Gremien anzugehören: „Bei den Grünen bin ich, weil das am ehestehen meinen Werten entspricht“, erklärt Stadträtin Denise Abé einer Bewohnerin.
Alle angesprochenen Themen werden auf einer Stellwand festgehalten, zudem stehen Boxen mit den Namen der Politiker bereit. In die können die Besucher der Veranstaltung Zettel stecken, auf denen weitere Probleme und Anregungen notiert sind. Nach etwa eineinhalb Stunden ist Schluss, aber die mobile Theke wird weiterrollen: Am Donnerstag, 26. Juni, macht sie von 15.30 bis 17 Uhr Station bei der Aktion Nachbarschaft, Ossendorfer Weg 5, dann findet dort gleichzeitig die Essensausgabe der Tafel statt. Einrichtungen, die ihren Besuchern ebenfalls „Thekengespräche in Bickendorf und Ossendorf“ ermöglichen möchten, können sich bei Frédéric Bravo Paredes melden. „Je nach Art der Einrichtung ist es sicher auch mal möglich, an der Theke Kölsch auszuschenken“, sagt er.