An der Weinsbergstraße ist Kölns größte WG entstanden. Jetzt kam Rapper Eko Fresh vorbei, um sich über die Entwicklung des Start-up-Projekts zu informieren.
Größte WG Kölns92 junge Menschen leben in ehemaligem Studentenwohnheim in Ehrenfeld

Ein Teil der Bewohner mit einigen Gästen vor dem Haupteingang in der Weinsbergstraße 74.
Copyright: Hans-Willi Hermans
Rapper Mary tritt an das Fenster seiner Wohnung und begrüßt knapp 100 Zuhörer auf der anderen Seite der Piusstraße. „Ich bin noch ein bisschen nervös“, gesteht er, dann legt er los, erzählt zu trockenen Beats von seiner Wut, und wie sie sich manchmal gegen ihn selbst richtet. Danach macht er Platz am Fenster, und einer der bekanntesten deutschen Rapper nimmt seinen Platz ein: „Wie geht's euch?“, fragt Eko Fresh und startet unter lautem Jubel mit dem „Orient Express“ durch. Im Text geht es um die Suche nach den Wurzeln seiner Familie im türkischen Ort Sivas, aber auch um Köln, wo er aufgewachsen ist: „Das ist in meinem Herzen drin.“

Rapper Mary gibt ein Fensterkonzert von seinem WG-Zimmer aus.
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In den warmen Monaten gibt Mary solche „Fensterkonzerte“ in unregelmäßigen Abständen. Sie sind offiziell als Demos gegen Abzocke im Musik-Business angemeldet und dauern oft zwei Stunden, wenn befreundete Musiker hinzukommen. „Manchmal hatten wir schon 250 Zuhörer“, erzählt Mary stolz. Auch wenn seine Gäste normalerweise nicht so prominent sind wie Eko Fresh, der an diesem Tag vorbeischaut, um sich anzusehen, wie es mit dem Wohnprojekt „WG & Co“ vorangeht.
Opus-Dei-nahe Organisation verkaufte das Haus an WG-Start-up
Denn in dem großen Gebäude an der Ecke Piusstraße/Weinsbergstraße hat sich einiges geändert. Für die Nachbarschaft waren Rap-Klänge eher ungewohnt, als hier noch das Wohnheim „Schweidt“ für 65 männliche Studenten sowie eine Schule für Hauswirtschafterinnen beheimatet war. Eigentümer war der gemeinnützige, der konservativen katholischen Organisation Opus Dei nahestehende Verein Studentische Kulturgemeinschaft. Nachdem zahlreiche Wohnungen für längere Zeit leer gestanden hatten, verkaufte der Verein das in die Jahre gekommene vierstöckige Gebäude vor wenigen Jahren an die Achim Wunderlich Bauunternehmung.

Eko Fresh probiert beim Team von Atmosfera mögliche Bühnen-Outfits aus.
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Mit den Bauunternehmern aus Kerpen, die für ihre nachhaltige Firmenphilosophie bekannt sind, hatte sich Eko Fresh bei gemeinsamen Hilfsaktionen nach der Flutkatastrophe in Ahrweiler angefreundet und stellte den Kontakt zu Malic Bargiel her. Der ist ein Kumpel aus Jugendtagen, als der Rapper noch unter seinem bürgerlichen Namen Ekrem Bora in Humboldt-Gremberg unterwegs war.
Bargiel konnte seine Version des trendigen Konzepts „Co-Living“ bereits in zwei kleineren Häusern in Humboldt-Gremberg und in der Innenstadt umsetzen: Menschen möglichst unterschiedlicher Herkunft und mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten und Interessen sollen sich gegenseitig unterstützen und inspirieren, Verantwortung übernehmen und ihr Umfeld mitgestalten, damit echte Gemeinschaft und Teilhabe möglich werden.
Eko Fresh gehört zu den Gründern von „WG & Co“
In der Weinsbergstraße aber ist alles eine Nummer größer: „Die größte WG Deutschlands“ nennt Eko Fresh das, ein „visionäres Konzept, das wunderbar zu Ehrenfeld passt“. 92 junge Leute unter 30 leben nun in dem mit viel Geld renovierten Wohnhaus, Azubis wie Elektriker und Schreiner neben Jura-, Medizin-, Kunst- und BWL-Studenten. „Um die richtige Mischung hinzukriegen, haben wir mehr als 500 Gespräche mit Bewerbern geführt“, erzählt Malic Bargiels Gattin Anna. Zusammen mit Eko Fresh sowie Jannik und Jens Wunderlich hat ihr Mann das für den Betrieb des Gebäudes zuständige Start-up „WG & Co“ gegründet.
Zwar lassen die großen Altargemälde vor den Laufbändern im Gym im ersten Stock noch die frühere Nutzung als Kapelle erkennen und scheinen damit auf revolutionäre Veränderungen hinzuweisen. Doch schon die Studentische Kulturgemeinschaft hatte von den Bewohnern um Engagement für die Hausgemeinschaft gebeten. Unter anderen Vorzeichen wird das nun fortgesetzt – andere Religionen und Gender sind ausdrücklich willkommen.

Jacky Röder und Fabian Nowinski (v.l.) laden donnerstags zum Film-Abend ein.
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So gibt es einen Raum, in dem Hausbewohner Kurse in Yoga und Kickboxen anbieten, ein Kino mit 99 Plätzen, in dem eigene Filme vorgeführt werden, und einen Keller, in dem Bands proben. „Das ist alles kostenlos, im Co-Working Space unter dem Dach können sich Bewohner sogar bei der Gründung von Start-ups beraten lassen“, so Malic Bargiel. Nebenan in der Werkstatt probiert Eko Fresh gerade eine neue Kreation der drei jungen Männer an, die hier die Streetwear-Marke Atmosfera gegründet haben: „Die Jacke ist aus alten Jeans von Hausbewohnern gefertigt“, erzählt Leo Weber. Eko Fresh feiert die Upcycling-Idee: „Krass, könnte ein neues Bühnen-Outfit werden“.

Isaac Sebuwuju (M.) und Shakiba Saeedi grillen im Innenhof für die knapp 100 Mitbewohner.
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Jeder Bewohner zahlt 550 Euro Kaltmiete für ein zwölf Quadratmeter großes Zimmer mit Dusche, gekocht wird in acht Gemeinschaftsräumen, die mit Herden und Kühlschränken ausgestattet sind. „Das funktioniert sehr gut, hier im zweiten Stock schauen wir uns immer zusammen Fußballspiele an, im dritten Stock wird eher Party gemacht“, berichtet Inas Khalef lachend. Helya Fathi sagt: „Für extrovertierte Leute wie mich ist das hier genau richtig, man lernt so viele unterschiedliche Menschen kennen.“ Sie gehört zu den WG-Stars, kürzlich hat sie die Deutsche Meisterschaft im Power Lifting gewonnen.
Weil das Wetter gut ist, versammelt sich ein Großteil der Bewohner im Innenhof, wo Isaac Sebuwuju, Gründer des Start-ups „Savannah Foods“, Würste und afrikanische oder karibische Spezialitäten auf den Grill wirft. Nachhaltige Flohmärkte finden hier ebenfalls statt, zu vielen Veranstaltungen wird auch der Rest der Welt eingeladen. Vernetzung ist das Zauberwort, schonender Umgang mit den Ressourcen ein wichtiges Ziel: „Demnächst werden wir ein zweites, ähnlich großes Gebäude in Ehrenfeld übernehmen, da gibt es sogar Freiflächen für Urban Gardening“, erzählt Malic Bargiel. „Ideal wäre es, wenn noch mehr Gebäude hinzukommen würden, deren Bewohner die Infrastrukturen der jeweils anderen Häuser mitnutzen könnten.“