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Mama, Spender, KindWarum sich vier Kölnerinnen für eine Familie ohne Vater entschieden haben

Lesezeit 7 Minuten
Einen Kinderwagen schiebend steht Susan Bollig vor einer Hecke auf einem Gehweg und lacht.

Der Wunsch von ihrem „Familienglück mit Kind“ hat sich erfüllt: Susan Bollig ist Mutter eines anderthalbjährigen Kindes – und setzt sich nun für andere Solofrauen mit Kinderplänen ein.

Immer mehr Single-Frauen entscheiden sich für eine künstliche Befruchtung mit Spendersamen. Was sie dazu bewegt, welche Sorgen sie umtreiben.

Ist es egoistisch, Kinder in die Welt zu setzen? „Ja“, sagt Susan Bollig. Sie ist Solomutter. Mit 36 Jahren hat sie sich dazu entschieden, Mutter zu werden – allein, ohne Partnerin oder Partner, durch einen Samenspender, mithilfe künstlicher Befruchtung. „Kinder können vorher schließlich nicht gefragt werden, ob sie auf die Welt kommen möchten und in welches Umfeld sie hineingeboren werden“, sagt die Kölnerin. Das gelte für alle Familienkonstruktionen: Mutter-Vater-Kind, homosexuelle Eltern, getrennte Paare, Patchworkfamilien.

Susan Bollig (39) ist Mutter eines anderthalbjährigen Kindes

Trotzdem kommt es vor, dass sich Frauen wie Susan Bollig für ihren Kinderwunsch rechtfertigen müssen. In der klassischen Vorstellung der Bilderbuchfamilie fehlt da schließlich etwas: der Vater. „Als Solomama werde ich häufig auf den Mangel angesprochen und nicht auf die Bereicherung durch mein Familienglück.“ Für sie hingegen stellt sich die Frage nicht: „Mein Kind und ich, wir sind eine Familie.“ Für deren Gründung habe sie sich selbstbestimmt entschieden, also ohne eine andere Person an ihrer Seite. Mitleid fürs Alleinsein sei daher nicht angebracht, sagt Bollig. „Es war eine ganz bewusste Entscheidung für ein Leben mit Kind.“

Vorurteile schwingen bei dieser Art des Familienkonzepts trotzdem manchmal mit. „Solo heißt dann ja häufig, keinen abbekommen zu haben. Aber so ist es nicht. Es heißt auch, zu prüfen, ob ich den richtigen Partner vor mir habe, um eine Familie zu gründen“, sagt sie.

<b>Mein Kind und ich, wir sind eine Familie</b>
Susan Bollig

Vor einigen Jahren war Bollig mit einem Mann zusammen. „Es war ganz klar, dass er keine Kinder will.“ Die beiden redeten über mögliche Alternativen. „Der Wunsch, dass er auch der Vater ist, wurde aber immer größer und die Diskrepanz leider auch.“ Sie trennten sich. Bei einem anderen Partner habe sie sich nicht vorstellen können, dass er der Richtige für eine Familiengründung wäre. 

Also machte sie mit Mitte 30 allein weiter. Auch, weil sie merkte, dass ihre „Zeit langsam gekommen war“. Kurz darauf bestätigte ihre Gynäkologin, dass ihre Eizellenreserven nicht mehr lange reichen würden. „Auch wenn wir heutzutage später Kinder bekommen, sind unsere Körper noch die gleichen. Fruchtbarkeit ist endlich“, sagt Bollig. 

Köln: BüzE Ehrenfeld bietet Anlaufstelle für Solomütter

In diesem Gefühlswirrwarr aus Sorge vor sinkenden Chancen auf eine Schwangerschaft, fehlenden Vater- oder Beziehungsperspektiven und dem Wunsch nach Unabhängigkeit oder Karriere finden sich immer mehr Frauen wieder. Das Kölner Kinderwunschzentrum Amedes zumindest sieht „eine deutliche Zunahme an Solofrauen mit Kinderwunsch“. In offiziellen Statistiken ist ihre Anzahl bislang hingegen noch eine Unbekannte. Außerdem fehlen in Deutschland – so die Meinung von Solomüttern – Informations- und Vernetzungsangebote. 

Um das zu ändern, gibt es in Köln im Bürgerzentrum Ehrenfeld (BüzE) seit März 2024 eine Anlaufstelle. „Inzwischen sind wir über 100, teilweise kommen die aus Aachen zu uns“, sagt Susan Bollig. Sie gehört zu den Initiatorinnen des Projekts, dessen Startphase durch das Gleichstellungsamt der Stadt Köln gefördert wurde, nun hofft man auf weitere finanzielle Unterstützung.

Bei jedem der monatlichen Treffen seien es zwei oder drei Neue, die sich der Gruppe anschließen: Frauen, die noch im Findungsprozess stecken, Schwangere oder Solomamas mit ihren Kindern. Ihre Fragen und Sorgen, nicht nur emotionaler, sondern auch rechtlicher und finanzieller Natur, finden bei anderen Angeboten für werdende Eltern häufig keinen Platz.

Laura Freund (37) will bis 40 eine Entscheidung treffen

Da gibt es zum Beispiel Laura Freund (Name geändert). „Manchmal“, so die 37-Jährige, „haben die Gedanken ans Kinderkriegen ganz viel mit Trauer zu tun“. Sie erzählt: „Ich habe den Wunsch nach einem Kind und gleichzeitig einen Partner, der das nicht teilt. Er ist bereits Vater.“

Bis 40 will sie sich Zeit geben, um zu entscheiden, was wichtiger ist: „Der Mensch, mit dem ich alles, was ich mir wünsche, machen kann – außer Eltern werden. Oder der Kinderwunsch?“ Das Szenario könnte schließlich auch so aussehen: 42 Jahre, kein Kind, aber eine Beziehung, die in die Brüche geht. „Würde ich es dann bereuen?“

<b>Manchmal haben die Gedanken ans Kinderkriegen ganz viel mit Trauer zu tun</b>
Laura Freund

Auch mit ihrem Partner wägt sie deshalb eine Solomutterschaft ab. Ihr Lebensgefährte wäre dann nicht der Vater ihres Kindes, vielleicht aber weiterhin der Mann an ihrer Seite. Welchen Weg sie einschlagen wird, weiß Freund noch nicht: „Das ändert sich gerade immer wieder. Manchmal kommt mir die Möglichkeit realistisch vor und dann auch wieder nicht.“ 

Vielen gehe es wie Laura Freund, berichtet Susan Bollig von den Gesprächen mit anderen Frauen im BüzE. Obwohl es um die Entstehung eines neuen Lebens geht, sei auch Abschiednehmen teil des Prozesses: Abschiednehmen von Plan A. „Wir kriegen oft das Bild vermittelt, dann gescheitert zu sein. Mittlerweile bin ich aber stolz darauf, mich bewusst für meine Familie entschieden zu haben.“

Lia Ruge (40) lässt sich in einer Kölner Kinderwunschklinik behandeln

An einem ganz anderen Punkt steht derzeit Lia Ruge (Name geändert), die  in einer Kölner Kinderwunschklinik betreut wird. Im April geht es los, dann werden ihr zum ersten Mal Eizellen entnommen. Für die künstliche Befruchtung, die im Anschluss im Labor erfolgt, fehlen dann nur noch die männlichen Samen. Einen passenden Spender zu finden, sei für sie der schwierigste Schritt des Prozesses gewesen. „Vor der Suche habe ich mich ein bisschen gescheut. Es war dann doch eine Barriere, mir die Bilder von Fremden anzugucken und jemanden auszuwählen.“ Ihre Favoriten bei der Samenbank seien erst nicht verfügbar gewesen, jetzt aber wieder „in stock“ – auf Lager. Das Sperma ist gekauft. „Ich habe aber auch die Option, noch zu tauschen. Je nachdem, was mein Bauchgefühl sagt.“

<b>Das ist ein sehr rationaler Prozess. Und manchmal wird es emotional.</b>
Lia Ruge

Trotz aller Emotionen sei es ein „sehr rationaler Prozess“, sagt die Bankmitarbeiterin – und ganz genau durchdacht. Daran hat wohl auch der finanzielle Aspekt seinen Anteil. Spendersamen kosten pro Zyklus zwischen 700 und 1200 Euro, schreibt das Kinderwunschzentrum Köln, eine künstliche Befruchtung pro Versuch bis zu 6000 Euro. Lia Ruges Limit hat sie auf 10.000 Euro gesetzt, andere bezahlen bis zu 20.000 Euro. Während Paare das zusammen stemmen, sparen sich Singlefrauen die Summen im Alleingang zusammen, teilweise über mehrere Jahre.

Der Anteil von Solomüttern an Inseminationsbehandlungen liege in der Kölner Klinik bei 12 Prozent, sagt die ärztliche Leiterin Gohar Rahimi. Obwohl es legal ist, lehnen manche Kliniken das Ein-Eltern-Konzept aus ethischen Gründen ab. Die Professorin hat eine andere Einstellung. Das habe mit Empathie und Respekt zu tun. „Jede Frau hat das Recht, ihre eigenen Entscheidungen über ihre Fortpflanzung zu treffen: Wir empfinden es als Selbstverständlichkeit, sie ohne Vorurteile zu behandeln.“  

Rosa Welsch (35) erwartet ihr Baby im Juli 2025

Gegen das Klischee, dass es unbedingt eine Vaterfigur für ein Kind geben muss, wehrt sich auch Rosa Welsch. In ihrem Bauch wächst gerade eine Tochter heran. Nach fünf erfolglosen Inseminationen – anders als bei der künstlichen Befruchtung „im Glas“ werden die zuvor ausgewählten Samen dabei direkt in der Gebärmutter befruchtet – hat es bei Anlauf Nummer sechs im Labor funktioniert. Im Juli soll ihr Baby zur Welt kommen. „Es ist ja nicht so, dass die Kleine dann sofort nach dem Papa fragt. Ja, das Konstrukt ist in der Gesellschaft etabliert, aber das Kind weiß das ja nicht.“

Rosa Welsch steht auf einer Dachterasse, eine Hand liegt auf ihrem schwangeren Bauch.

Einen Partner zu finden, schließt Rosa Welsch nicht aus. Jetzt freut sie sich aber erst einmal auf die Geburt ihrer Tochter im Juli.

Viel wichtiger, glaubt sie, „sind die Menschen und Bezugspersonen, die präsent sind, die sich kümmern – egal welches Geschlecht, welches Alter oder welche Herkunft.“ Noch einen Partner zu finden, schließt sie trotzdem nicht aus. Für die Zeit am Wochenbett hat sie sich aber erst einmal um Unterstützung durch eine pensionierte Freundin gekümmert. Danach soll ihr ein Au-pair im Alltag helfen. Die Hilfe von Bekannten oder der Familie möchte sie über die Maßen „in keinem Fall voraussetzen“. Für ihre Tochter, das wisse sie, ist nur sie verantwortlich. „Allein fühle ich mich aber nicht.“

<b>Ich habe so viel Liebe zu geben</b>
Rosa Welsch

Viel mehr sprudelt die Vorfreude aus ihr heraus. „Ich habe so viel Liebe zu geben und will das so gerne an einen Menschen weitergeben.“ Vielleicht sogar an zwei: „Ich habe mir auch Eizellen für ein Geschwisterchen einfrieren lassen.“

Tanja Lehmann (38) fühlt sich mit ihrer vierjährigen Tochter als Familie komplett

Tanja Lehmann (Name geändert) hatte einst den gleichen Wunsch. Jetzt, als Solomutter einer vierjährigen Tochter, hat sie ihre Meinung geändert. Zwei Kinder - „das würde meinen Mental Load sprengen“. Wie beanspruchend es ist, alleinerziehend zu sein, habe sie unterschätzt. Bei aller Selbstbestimmung – in den ersten Jahren sei man von diesem kleinen Geschöpf „völlig fremdbestimmt“.

<b>Mein Kind hat keinen Papa, aber eine super tolle Mama. Und das ist dann auch normal</b>
Tanja Lehmann

Lehmann wurde Mutter, während die Coronapandemie in Deutschland wütete. In Isolation zu leben, erwischte die Lehrerin völlig aus dem Nichts. Die Geburt erlebte sie in großen Teilen allein, genauso wie das erste Jahr mit ihrem Kind. „Das hat echt reingehauen“, sagt sie.

Inzwischen weiß ihre vierjährige Tochter, dass sie keinen Vater hat und auch noch nie einen hatte. Und, dass es stattdessen einen Spender gibt. Mit 16 Jahren hat sie das Recht darauf, die Identität ihres Erzeugers zu erfahren. „Mir ist vor allem wichtig, dass sie weiß, nicht verlassen worden zu sein.“

Trotz aller Schwierigkeiten, die ihr noch begegnen könnten, weiß Tanja Lehmann, dass sie ihre Entscheidung nie bereuen wird: „Sie ist mein Herzenswunsch, mein größter Schatz. Mein Kind hat keinen Papa, aber eine super tolle Mama. Und das ist dann auch normal.“