Industriekultur in EhrenfeldTanzen in der Schokoladenfabrik

Die drei Komplexe der Schokoladenfabrik um 1980.
Copyright: Rheinisches Bildarchiv Lizenz
Ehrenfeld – Es war ein Versprechen. Deswegen fuhr Ulrike Hedwig an einem Mittwochmorgen los, um Schokolade zu kaufen. Wie viele Tafeln es waren, daran erinnert sie sich heute nicht mehr, wohl aber an die glücklichen Gesichter der Kinder aus der Nachbarschaft, als sie die Tafeln vom Dach warf. Ob es hier auch Schokolade gäbe, hatten die Kinder sie gefragt. „Morgen“, hatte Ulrike Hedwig geantwortet. „Um drei Uhr.“ Und so stellte sie sich am folgenden Tag an die Brüstung und warf die Schokolade zu den Kindern auf die Wiese.
Ulrike Hedwig wohnt nicht irgendwo, sondern in einer alten Schokoladenfabrik – mitten in Ehrenfeld, zwischen Seniorenheim, Genossenschaftswohnungen und einem kleinen Park. „Deutsche Kwatta – Kakao u. Schokoladenfabrik“: In weißer Schrift steht es auf dem leuchtend roten Putz der Hausnummer 12. Ein Denkmal in der Roßstraße, das an eine Zeit erinnert, in der Ehrenfeld noch ein Industrievorort war.
Drei Gebäude sind heute noch von dem ehemaligen Fabrik-Komplex übrig. Kwatta, eine niederländische Schokoladenfirma, hatte die Häuser in den 1920er Jahren von der Rhenania-Brauerei J. Wahlen übernommen: Ein Produktionsgebäude, das bereits 1890 errichtet wurde, sowie einen Verwaltungstrakt aus dem Jahr 1900. Das jüngste Gebäude, die heutige „12“, in der auch Ulrike Hedwig mit ihrem Mann wohnt, wurde erst 1928 fertiggestellt.
„Ein mächtiges Werk von imponierendem Ausmaß ist in Köln-Ehrenfeld entstanden, als würdige Stätte für eine Kakaoverarbeitung größten Stils, ein Werk, […], das sich kraft seiner Leistungsfähigkeit anschickt, in raschem Tempo sich zu einem der bedeutendsten zu entwickeln“, heißt es in einer Firmenwerbung aus dem Jahr 1928. 36 Jahre später, 1964, musste Kwatta die Ehrenfelder Fabrik schließen.
„Bis die Stadt Köln das Fabrikgelände erworben hat, standen die Gebäude jahrelang leer“, sagt Ulrike Hedwig heute. „Wo jetzt der Kwatta-Park ist, stand eine große Produktionshalle. Dort hatte das Schauspielhaus zwischenzeitlich mal eine Dependance“, sagt sie. Die Bausubstanz sei jedoch zu schlecht gewesen, um auch dieses Gebäude zu erhalten. Nachdem die Stadt den Komplex in den 1980er Jahren erworben hatte, wurden mehrere Teile abgerissen, die restlichen Gebäude zu städtischen Atelierhäusern umfunktioniert. „Die 12 ist heute das einzige Gebäude in privatem Besitz“, sagt Hedwig, die 1985 aus einer alten Lampenfabrik in der Thebäerstraße in die Roßstraße zog.
Eine Stahltreppe führt heute an der Rückseite des Hauses in die zweigeschossige Wohnung – eine Sondergenehmigung. „Als wir das Gebäude 1984 übernommen haben, gab es kein Treppenhaus“, erzählt die Tanz- und Bewegungspädagogin. Alte Fotos, auf denen der Zustand vor der Sanierung festgehalten ist, hat sie in einem großen Bilderrahmen als Collage angeordnet. Er lehnt an einer Säule inmitten des Hauptraumes – dem Tanzstudio. „Es gab nur ein Loch in der Decke. Da konnte man dann vom Erdgeschoss mit einer Leiter in die erste Etage kommen, und von dort wieder mit einer Leiter hier in die zweite Etage. Das war meine erste Begegnung mit diesem Raum“, sagt sie lachend. „Überall war Taubenkot.“ Dass sie irgendwann ihre Kurse in genau diesem Raum geben würde, konnte sie sich damals nicht vorstellen. „Ich arbeite eher auf der Fläche“, sagt sie. „Aber mein Mann ist Architekt. Der war gleich ganz euphorisch.“
Nur ein gutes Jahr habe es gedauert, um aus dem heruntergekommenen Gebäude ein bewohnbares Loft zu machen. Zeugnisse der alten Strukturen zeigen sich an den unterschiedlichsten Stellen. Im Badezimmer wurde der Schornstein freigelegt und in die Einrichtung integriert. In einem ehemaligen Schacht, in dem sich die gesamte technische Anlage befand, liegen heute ein kleines Büro und das Schlafzimmer; darüber, über eine Wendeltreppe zu erreichen, Atelier und Wohnzimmer. Malereien schmücken den Aufgang; auf dem Boden an den Wänden liegen Steine, sortiert nach Farben, in kleinen Kästen. Ganz oben, im Wohnzimmer, steht ein Klavichord. Zwei Türen führen von hier auf die Dachterrasse. „Früher konnte ich von hier oben den Dom sehen“, sagt Ulrike Hedwig und öffnet die Tür. Sie streicht mit der Hand durch die Blumen. „Heute ist leider alles verbaut.“