„Man trägt Blessuren davon“Sila Roderburg aus Köln gehört zur Weltklasse im Kickboxen

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Sila Roderburg gehört seit zehn Jahren dem Nationalteam an.

Köln-Ehrenfeld – Gleich an ihrem ersten Schultag kam Sila Roderburg weinend nach Hause. Von einigen anderen Erstklässlern war sie herumgeschubst worden. Ihr Vater hatte damals nicht lange überlegt, gleich am nächsten Tag ging er mit Sila und ihrer zwei Jahre älteren Schwester um die Ecke ins Kampfsport Center Köln an der Venloer Straße und meldete sie zum Kickbox-Training an: „Ich wollte nicht, dass meine Töchter herumgeschubst werden“, sagt Fayk Roderburg.

„Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, aber ich glaube nicht, dass Fremdenfeindlichkeit am ersten Schultag eine Rolle spielte“, meint Sila Roderburg heute. Trotz des deutschen Nachnamens haben ihre Eltern türkische Wurzeln, der Vater war als Kind von einer deutschen Familie adoptiert worden. „Auf meiner Grundschule gab es Kinder ganz unterschiedlicher Herkunft, das war kein Problem.“

Kölnerin wird Weltmeisterin im Kickboxen

Fayk Roderburgs Entscheidung jedenfalls hatte Folgen: Im Jahre 2016 wurde seine Tochter Weltmeisterin in ihrer Gewichtsklasse, sie gehört schon seit Jahren dem Nationalteam an und belegt derzeit Platz zehn auf der Weltrangliste des Weltverbands für Kickboxen. In diesem Jahr warten neue Herausforderungen. Nach den Abiturprüfungen am Königin-Luise-Gymnasium muss sich Sila Roderburg auf ein sportliches Glanzlicht vorbereiten: Sie hat sich bei den Weltmeisterschaften im vergangen Oktober in Italien für die World Games im Juli 2022 im US-Bundesstaat Alabama qualifiziert. Als einzige deutsche Sportlerin.

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Sieg für Sila Roderburg

Das ist nicht irgendein Turnier: Bei den World Games messen sich Athleten aus aller Welt in Sportarten, die zwar eine „olympische Anerkennung“ genießen, aber noch darauf warten, Bestandteil des Wettkampf-Programms der Spiele zu werden, darunter sind so unterschiedliche Sportarten wie Inline-Hockey, Wakeboard, Billard, Squash oder Kunstradfahren. „Es ist eine Art Test für die Olympischen Spiele. Wir hoffen, dass Kickboxen im Jahr 2028 in Los Angeles zum Olympischen Programm gehört“, sagt Ali Yalcin, Sila Roderburgs Trainer im Kampfsport Center Köln. „Mein großes Ziel ist es, in Los Angeles dabei zu sein“, sagt seine Schülerin entschlossen.

Kölner Kickboxerin: Es kommt nicht nur auf die Kraft an

Weder Yalcin, der selbst schon mehrfach Weltmeister war und heute Bundestrainer ist, noch Roderburg sind großspurige Kraftpakete, sondern schmal, feingliedrig, ruhig und konzentriert. Ihre Schwester hat das Kickboxen längst zugunsten des Balletts aufgegeben, vom äußeren Eindruck her würde Sila Roderburg da auch ganz gut hinpassen. „Klar, man braucht schon Kraft für die Schläge, aber es kommt vor allem auf Schnelligkeit und Beweglichkeit an“, erklärt die 18-Jährige. „Du musst auch den Gegner gut einschätzen können.“

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Eine stabile Psyche sei gerade für Sila wichtig, erklärt Yalcin, weil sie eigentlich in die Gewichtsklasse bis 55 Kilogramm gehöre, doch bei Turnieren stehe meist nur die nächsthöhere Klasse bis 60 Kilo auf dem Programm. Da müsse sie größeren, kräftigeren Gegnerinnen standhalten: „Es gehört eine Menge Disziplin und Selbstbewusstsein dazu.“

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Sila Roderburg trainiert regelmäßig mit Ali Yalcin.

Selbstbewusstsein habe ihr der Sport verschafft, sagt Sila Roderburg, auch die Mitschüler hätten Respekt vor ihren Erfolgen. „Mit Leistungssport haben die meisten ja nichts zu tun, ich habe zwei völlig unterschiedliche Bekannten- und Freundeskreise: an der Schule und hier im Sport Center.“

„Man trägt immer Blessuren davon“

Privat habe sie ihre Kämpfer-Qualitäten zum Glück noch nie einsetzen müssen, und auch die Familie habe sich nach anfänglicher Skepsis mit ihrem Trainingseifer abgefunden. „Ein- oder zweimal pro Woche zum Sport- oder zum Fitness-Center, das fand ich in Ordnung. Aber sie trainiert sechsmal in der Woche, da hatten wir schon Angst, dass sie in der Schule nicht mitkommt“, erzählt Fayk Roderburg.

Lächelnd erinnert er sich, wie seine jüngste Tochter des Öfteren gebückt unter dem Fenster seines Kiosks in der Gutenbergstraße fortgeschlichen war, um heimlich zum Training zu gehen. Wenigstens die meisten Wochenenden sind frei, denn beim Kickboxen gibt es keinen Liga-Betrieb, sondern nur Wettkämpfe im Turnier-Modus. „Dabei trägt man immer Blessuren davon, der Körper braucht danach vier oder sechs Wochen, um sich zu erholen“, sagt Ali Yalcin. Sila Roderburg hat in den Vereinsräumen mittlerweile eine eigene Vitrine – für all ihre Medaillen und Pokale, die zuhause bei den Eltern keinen Platz mehr finden. „Wir sind stolz, dass wir so eine Athletin bei uns im Verein haben“, sagt der 63-Jährige.

Jetzt müsse man sich zunächst um eine optimale Vorbereitung auf die World Games kümmern, so Yalcin. Mental-, Fitness-, Ernährungs-Coach, das gehöre heute dazu: „Dafür suchen wir jetzt Sponsoren.“ Profi-Kickboxerin möchte Sila Roderburg aber nicht werden: „Man weiß nie, wie lange der Körper das mitmacht.“

Sie hat andere berufliche Pläne, möchte als Sportsoldatin zur Bundeswehr gehen, dann wäre sie in der Nähe stationiert und könnte weiter an der Venloer Straße trainieren. Und nebenher studieren: „Etwas mit Menschen kann ich mir vorstellen, einen sozialen Beruf.“

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