Stadtteilporträt: EhrenfeldEin Veedel „fast wie Harlem“

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Die Venloer Straße spielt als Verkehrsader und als Geschäftszentrum in Ehrenfeld die Hauptrolle.

Die Venloer Straße spielt als Verkehrsader und als Geschäftszentrum in Ehrenfeld die Hauptrolle.

Ehrenfeld – Kein Geringerer als Wolfgang Niedecken hat Ehrenfeld in den 1980er Jahren in einem Song ein musikalisches Denkmal gesetzt: „Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg“ charakterisierte er als „Türkenviertel fast wie Harlem“. Der schwarzmalende Vergleich mit dem New Yorker Stadtteil – wenn er überhaupt jemals zutreffend war – wirkt aus heutiger Sicht reichlich angestaubt.

Wer Ehrenfeld als Wohnsitz angibt, erzeugt eher Neid und Bewunderung als – wie früher – Bedauern oder gar Schrecken. Das Multikulti-Viertel, wie sich der Stadtteil heute präsentiert, gilt als angesagt. „Brings“ schauten offensichtlich genauer hin, indem sie „Ihrefeld“ als „Diamant zwischen all dem Geröll“ besangen.

Klarer Standortvorteil

Dennoch: Als lebenswerter Ort galt die Feldflur nordwestlich der Stadt lange Zeit eher nicht. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts lebte nur eine Handvoll Menschen in der Gegend, die vor dem mittelalterlichen Ehrentor lag. Das änderte sich mit dem Eisenbahnbau beinahe schlagartig. Die Strecke nach Aachen war ein klarer Standortvorteil für das Gebiet zwischen dem Subbelrather- und dem Mechternhof und weckte das Interesse von Industriellen, die hier so ziemlich alles produzierten, was mit Lärm und Gestank, Ruß und Dreck verbunden war – allen voran chemische Fabriken, Metallverarbeitung und Glasherstellung. Rasant verwandelte sich Ackerland in Fabrikgelände. Innerhalb von 30 Jahren wuchs die Einwohnerzahl auf 15 000.

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Praktischerweise gab es in der Nähe Ziegeleien, sodass an Baumaterial für Häuser und Hallen, Schlote, Kirchen und gern auch mal eine Fabrikantenvilla wirklich kein Mangel herrschte. Nach einer kurzen Ära als selbstständige Stadt – von 1879 bis 1888 – wuchs der Stadtteil Köln-Ehrenfeld nach der Jahrhundertwende immer weiter. Jenseits der Subbelrather Straße entstand eine bessere Wohngegend, fast ohne Fabriken. Das Viertel heißt seit 1954 offiziell Neuehrenfeld, doch das „Neu-“ fällt meist weg.

Auch die einstigen Kontraste zwischen beiden Stadtteilen sind blasser geworden. Das alte Ehrenfeld als einstiger Arbeiterstadtteil und Neuehrenfeld als Viertel für Mittelständler und Beamte – dieser Gegensatz gehört der Vergangenheit an. Waren weite Teile Alt-Ehrenfelds in den 1980er und 90er Jahren noch Sanierungsgebiet, zeigt sich heute in manchen Straßen eine gründerzeitliche Pracht, die ein bisschen an das Belgische Viertel erinnert. Und neue Wohnanlagen kamen und kommen hinzu. Sie werden zum Teil mit hochwertigster Ausstattung – und entsprechendem Preis – angeboten und auch genommen. Ehrenfeld wächst immer noch, aktuell leben fast 40 000 Menschen hier.

Zwischenstation als Künstlerquartier

Längst macht das Wort Gentrifizierung die Runde. Gemeint ist damit der Wandel vom Problemviertel zur gehobenen Wohngegend mit einer Zwischenstation als Künstlerquartier. Allen Versuchen, es wegzudiskutieren oder gar aufzuhalten zum Trotz: Die typischen Anzeichen sind nicht mehr zu übersehen: Latte macchiato wird direkt an der Venloer Straße serviert. Fritz-Kola und Rhabarberschorle sind auf den meisten Getränkekarten so selbstverständlich wie der Fremdsprachenunterricht im Kindergarten.

Noch aber ist der Wandel nicht vollends abgeschlossen. Kontraste beherrschen das Straßenbild: Glücksspielhalle neben Veganer-Imbiss, Szene-Café neben Kölsch-Kneipe sowie Bettler und Obdachlose zwischen dem feierfreudigen Publikum, das in Scharen nach Ehrenfeld gelockt wird, weil es hier eben so schön „bunt, vielfältig und rau“ ist.

Und damit wäre Ehrenfeld dann doch wieder „fast wie Harlem“, denn das erlebt längst einen ganz ähnlichen Wandel.

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