Ein Kriegskind erzähltSo erlebten die Kinder das vom Krieg zerstörte Köln

Spielen zwischen Trümmern war Alltag für die Kinder in Köln.
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Köln – Paul Diefenbach, 1938 in Kalk geboren, erlebte das Kriegsende mit seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester in der Evakuierung in einem Dorf bei Lippstadt.
Wenige Tage nach der Kapitulation kehrte sein Vater von der Ostfront zurück. Schon bald machte sich die Familien auf den Weg nach Buchforst, ihrer Heimat. Der pensionierte Lehrer erzählt über seine Kindheit zwischen Schutt und Trümmern.
Mit der Mutter zum Kölner Dom
Irgendwann fand ich mich als Siebenjähriger zwischen Ruinen wieder. Da stand der Dom inmitten der Verwüstung, mächtig, dunkel, nicht begehbar.
Gleich daneben stieg ich an der Hand meiner Mutter über Trümmerhügel. Hier war einmal die Hohe Straße, eine der schönsten Straßen von Köln, erklärte sie mir. Das konnte ich kaum begreifen.
Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Der Schock bei der Rückkehr in die alte Wohnung.
Zurück in Buchforst
Unsere Wohnung in der Weißen Siedlung in Buchforst, Euler Straße 8, war völlig zerstört. Die Genossenschaft GAG wies uns in die Nummer elf schräg gegenüber ein. Die Wohnung dort hatte immerhin noch einige Wände. Ich half meinem Vater, den Schutt aus dem Schlafraum zu schleppen. Vater füllte drinnen den Blecheimer, ich nahm ihn durchs Fenster von draußen an. Scheiben gab es nicht. Das Wasser holten wir aus Brunnen in Schrebergärten. Meine Pflicht war es, einmal am Tag mit dem Flötenkessel dorthin zu gehen. Strom hatten wir ziemlich flott, das funktionierte.
Eines Tages stand die Familie vor der Tür, in deren Wohnung wir jetzt lebten. Wir ließen sie herein, die Frau saß heulend im Zimmer. Meine Eltern versuchten, sie zu trösten und ihnen die Situation klar zu machen. Die früheren Mieter waren verzweifelt, ihr Zuhause verloren zu haben. Ich werde nie vergessen, wie sie hießen – Schmalenbach. Sie bekamen kurz darauf eine andere Wohnung ganz in der Nähe. Auf der Straße haben sie nie mit uns geredet.
Lesen Sie im nächsten Abschnitt: So lief der Schulunterricht in der Nachkriegszeit.
In der Schule
Schon bald kam vom Amt die Aufforderung, ich müsse in die Schule gehen. Buchforst hatte keine, deshalb wurde ich in die Volksschule in der Kalker Albermannstraße geschickt. Dort war alles in einem desolatem Zustand. Die Heizung funktionierte nicht. In den Klassenzimmern standen Kohleöfen. Die Lehrer riefen uns immer dazu auf, Holz mitzubringen.
Wir hatten weder Papier zum Schreiben noch Schulbücher. Nur unsere Schiefertafeln, und wenn es hochkam, einen Tornister. Am Anfang bestand die Klasse aus vielleicht 25 Schülern, aber jede Woche kamen ein, zwei neue dazu. Viele von uns gingen barfuß zur Schule, manche sahen völlig zerlumpt aus.
Wir hatten morgens drei Stunden Unterricht, danach war frei. Es waren ja kaum Lehrer da, Männer sowieso nicht. Es gab Religion, Rechtschreiben, Schönschreiben, Rechnen und Heimatkunde. Der Krieg war kein Thema, bis zum Abitur nicht. Gefreut habe ich mich nicht, wieder in die Schule zu gehen. Den ganzen Tag auf der Straße zu spielen, war ja viel schöner.
Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Kölsche Schimpfwörter und Tauschgeschäfte
Eine Wunderwelt auf Schienen
Ich hatte einen Freund aus der Nachbarstraße, den Alex. Dessen Wohnung war nicht ausgebombt worden. Er hatte eine elektrische Eisenbahn. Das war eine Wunderwelt für mich.
Tauschen wie die Großen
Wir stromerten in den ausgebombten Häusern rum, überall war etwas zu finden. Wir montierten Stromzähler ab. Die waren natürlich kaputt. Aber es waren Magneten verbaut, die waren sehr gefragt und ließen sich gut tauschen. Die Tauschwirtschaft der Erwachsenen hatte auf uns Straßenjungs übergegriffen. Briefmarken gegen Parteiabzeichen, die wir in den Trümmern fanden; Glasmurmeln gegen Patronen, Bombensplitter gegen ein verrostetes Taschenmesser. Beim Tauschen auf der Straße lernte ich rasch die wichtigsten Alltagsbegriffe und Schimpfwörter auf kölsch.
Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Die Trümmerlandschaft als Spielplatz.
Spielen zwischen Trümmern
Unsere Rutschbahnen bestanden aus Stahlträgern, die aus den Trümmerhaufen ragten. Wir balancierten auch darauf. Vieles war uns verboten, aber das kümmerte uns nicht. Zum Beispiel das Aufspringen auf Lastwagen mit Holzvergasern. Die fuhren ganz langsam an. Wir hielten uns an der Ladefläche fest. Wenn die Lastwagen schneller wurden, sprangen wir runter. Fast noch gefährlicher war das Fahren auf den Kippwägelchen, mit denen die Trümmer abtransportiert wurden.
Wenn sie auf einer abschüssigen Straße zu schnell wurden, sprangen sie aus den Schienen. Es gab schlimme Unfälle, aber das hat uns nicht abgehalten. Für uns waren die Trümmerberge ein Abenteuerspielplatz. Fußball haben wir auch gespielt, mit Dosen und Steinen. Das gab dann Zuhause Zirkus, weil das einzige Paar Schuhe darunter litt.
Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Im zerbombten, katholischen Köln wird Kommunion gefeiert.
Buttercreme und Kartoffelschnaps zur Kommunion
Am Anfang war die Kirche der einzige Ort, wo mal was los war. Wir konnten in der Unterkirche von St. Petrus Canisius Tischtennis spielen, es gab auch schon mal ein kleines Konzert. Der Pfarrer bereitete uns auf die Kommunion vor.
Klassischerweise ist ja der weiße Sonntag der Tag dafür. Die Feier wurde aber immer wieder um eine Woche verschoben, weil in den Geschäften die Kommunionanzüge noch nicht ausgeliefert waren. Dafür gab es extra Bezugsscheine. Das ging fast zwei Monate lang so, bis zum Dreifaltigkeitssonntag.
Ich trug einen besonders schönen Kommunionanzug. Meine Mutter, die gut nähen konnte, hatte aus dem Cutaway meines Großvaters einen Anzug geschneidert. Der hatte nur den kleinen Nachteil, dass er fürchterlich nach Mottenpulver roch. Aber dafür kratzte er nicht, wie die Anzüge der anderen Kinder. Während der Messe sah man immer wieder, wie die Jungen die Schultern hin und her schoben, weil es so juckte.
Zur Feier im Anschluss an den Gottesdienst kamen die Verwandten angereist, aus Bochum und aus Herne. Zum ersten Mal war die Familie vollständig beisammen. Ich war stolz, die waren ja alle wegen mir gekommen. Es gab eine Buttercremetorte vom Konditor, dafür hatten meine Eltern Lebensmittelmarken zurückgelegt. Ich durfte ein ganzes Stück allein essen.
Mein Vater hatte Knolli-Brandy besorgt, so hieß der selbstgebrannte Kartoffelschnaps. Geschenke gab es nicht. Onkel Theo versprach mir eine Armbanduhr, wenn die Zeiten mal besser sein würden. Die habe ich dann drei Jahre später bekommen.
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„Vorgehschein“ für Verfolgte
Es sprach sich immer schnell rum, wenn es etwas zu kaufen gab. Da stand man dann ganz früh beim Reisinger auf der Waldecker Straße an. Manchmal waren die Schlangen 20, 30 Meter lang. Wir mussten unsere Mutter ablösen, saßen auf einem Höckerchen und langweilten uns.
Menschen, die von den Nazis verfolgt worden waren, bekamen eine Bescheinigung, mit der sie beim Einkaufen an der Schlange vorbeigehen durften. Wir nannten das den Vorgehschein. Unwissend, wie ich damals war, fand ich es ungerecht, dass sie nicht wie alle anderen anstehen mussten. Niemand hatte mir kleinem Knirps erklärt, was Juden sind und was sie durchlitten hatten.
Die ersten Rollschuhe
Nach der Währungsreform gab es wieder Spielzeug in den Schaufenstern zu bestaunen. Weihnachten 1948 bekam ich Rollschuhe geschenkt. Alle anderen Kinder auch, denn die Sachen kamen immer schubweise in die Geschäfte. Mein Vater hatte sich 40 Mark abgeholt, als es das neue Geld gab. Den Geruch der druckfrischen Zwanzigmarkscheine habe ich noch heute in der Nase.