Krimineller KreislaufWie Kölner den Fahrraddieben beim miesen Geschäft helfen

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Hauptkommissar Jürgen Haese von der „EG Fahrrad“

Hauptkommissar Jürgen Haese von der „EG Fahrrad“

  • Für die Zahl der Fahrrad-Diebstähle gab es in Köln lange Zeit nur eine Kurve: Sie ging immer weiter nach oben.
  • Jetzt nimmt sich die Kölner Polizei des Problems mit einer eigenen Ermittlungsgruppe an.
  • Oft ist die Arbeit frustrierend: Ein Fahrraddieb muss am nächsten Tag nach seiner Vernehmung am nächsten Tag aus dem Gewahrsam entlassen werden – und sorgt prompt für einen polizeiinternen Rekord.
  • Drei Täter-Gruppen fallen der Polizei unter den Fahrrad-Dieben ganz besonders auf.

Köln – Jens K. (Name geändert) ist der Polizei schon als notorischer Fahrraddieb bekannt, als Zivilfahnder den 50-Jährigen im Zülpicher Viertel erspähen, an einem Abend Mitte Mai. Er schiebt zwei Räder neben sich her: ein weißes Damenrad und ein dunkles Herrenrad. Die Zivilpolizisten sprechen ihn an.

Woher er die Fahrräder habe, wollen sie wissen. Jens K. verstrickt sich in Widersprüche, sie nehmen ihn mit auf die Wache. Die Räder stellen sie sicher.

Nach seiner Vernehmung am nächsten Tag wird er aus dem Gewahrsam entlassen – und sorgt prompt für einen polizeiinternen Rekord. „Drei Stunden, handgestoppt“, erinnert sich Kriminalhauptkommissar Jürgen Haese. So lange dauert es, bis Jens K. nach seiner Entlassung erneut auffällt.

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Diesmal sehen Zivilfahnder der „Ermittlungsgruppe Fahrrad“, die täglich polizeibekannte Verdächtige sowie Diebstahls-Brennpunkte in der Stadt observieren, wie Jens K. am Hauptbahnhof einen Fahrradständer abbricht und durch das Spiralschloss eines Damenrads steckt.

Im Mai ungefähr 40 Prozent weniger Fahrraddiebstähle in Köln

Er dreht den Ständer so lange im Kreis, bis das Schloss aufspringt. Als er mit seiner Beute losfahren will, greifen die Beamten zu. Derzeit sitzt der 50-Jährige in Untersuchungshaft und wartet auf seinen Prozess.

„Mehrfachtäter“ nennt die Polizei Diebe wie Jens K. Seit im April die neue „Ermittlungsgruppe Fahrrad“ ihre Arbeit aufgenommen hat, haben die Beamten bereits „eine niedrige zweistellige Zahl“ solcher Täter aus dem Verkehr gezogen. Sie wurden wiederholt auf frischer Tat ertappt, einem Haftrichter vorgeführt und verurteilt – oder sitzen derzeit noch in U-Haft.

Nicht nur, aber auch deshalb, so Jürgen Haese, sei die Zahl der angezeigten Fahrraddiebstähle in Köln im April um 20 Prozent zurückgegangen, verglichen mit den Aprilzahlen im Vorjahr. Im Mai sind es sogar ungefähr 40 Prozent weniger – auch wenn diese Zahl noch nicht endgültig feststehe, wie Polizeisprecher Christoph Schulte betont. Aber der Trend ist eindeutig. Die Arbeit der EG Fahrrad scheint sich schon nach knapp zweieinhalb Monaten auszuzahlen.

Während die Fallzahlen in fast allen Bereichen der Kriminalstatistik seit Jahren sinken, stieg die der Fahrraddiebstähle in Köln bis vor kurzem stetig an, 9300 wurden voriges Jahr angezeigt. Das Dunkelfeld ist hoch, die Aufklärungsquote niedrig. Sie dümpelte im Vorjahr bei sechs Prozent. Polizeipräsident Uwe Jacob will den Fahrraddiebstahl daher besonders in den Fokus nehmen.

Die „EG Fahrrad“ konzentriert sich auf jene Täter, die für die Masse der Fälle verantwortlich sind. EG-Leiter Haese unterteilt sie grob in drei Gruppen. „Zur ersten gehören zum Beispiel die, die denken, es sei eine gute Idee, sich ein Fahrrad zu klauen, um damit zur nächsten Kneipe zu fahren oder von da nach Hause“, sagt Haese. Gelegenheitstaten also, Dumme-Jungs-Streiche.

Die zweite Gruppe bilden die Mehrfachtäter – zumeist drogenabhängige Männer, die zwischen 20 und 30 Fahrräder pro Monat stehlen und für bis zu 50 Euro weiterverkaufen. An wen? „Oft leider an den nächsten Bürger auf der Straße“, sagt Haese. „Da gibt es genug, die sagen: Meins haben sie mir letzte Woche geklaut, da nehme ich jetzt mal ein neues.“ Die Mehrfachtäter, sagt Haese, „haben wir observiert und viel Zeit aufgewendet, um die in ihrem »Arbeitsalltag« zu begleiten.“

Die dritte Gruppe sind professionelle Täter – vor allem Banden aus Osteuropa, die hochwertige Räder stehlen, sie häufig ins Ausland bringen und komplett oder in Einzelteilen übers Internet verkaufen. Ihnen will sich die „EG Fahrrad“ in den kommenden Wochen verstärkt zuwenden.

„Ich kriege mein Rad ja sowieso nicht zurück“

Die Fallzahlen senken, die Aufklärungsquote steigern und den Eigentümern ihre gestohlenen Räder zurückgeben – das sind die Ziele der Ermittlungsgruppe. Wobei das mit dem Zurückgeben so eine Sache ist: Die wenigsten Kölner kennen die Rahmennummer, viele nicht einmal die Marke ihres Fahrrades. Dabei sind das wichtige Angaben für die Strafanzeige. Manche verzichten auch ganz auf eine Anzeige, sie denken: „Ich kriege mein Rad ja sowieso nicht zurück.“

Hauptkommissar Haese ärgert so etwas, es erschwert ihm und seinen Kollegen die Arbeit. Denn immer wieder gelingt es den Beamten, Beute sicherzustellen. Manchmal sogar ganze Transportladungen voll.

„Wohin des Wegs?“

Weil die Fahnder aber meistens nicht wissen, wem die Räder gehören, bleibt ihnen oft nichts anderes übrig, als sie zu fotografieren, die Bilder auf die Website der Polizei zu stellen und zu hoffen, dass der Eigentümer sich irgendwann meldet.

„Wenn wir die Rahmennummer nicht kennen“, sagt Haese, „haben wir kaum eine Chance, ein gestohlenes Fahrrad dem Eigentümer zuzuordnen.“

Bei einer Polizeikontrolle muss niemand nachweisen, dass es sein Fahrrad ist, auf dem er sitzt. Vielmehr muss die Polizei einen begründeten Verdacht haben, dass es gestohlen ist. Wenn die Rahmennummer nicht zur Fahndung ausgeschrieben ist, sind die Beamten oft machtlos.

Es gibt allerdings auch Fälle, die sind eher eindeutig. „Wenn ein Junkie auf einem teuren Damenrad sitzt, nachts um vier“, sagt Jürgen Haese. „dann fragt man als Polizist schon mal nach: Wohin des Wegs?“

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