Fehlbildungen bei NeugeborenenAuch in Euskirchen Fälle von Kindern ohne Hände

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Symbolbild Hand Baby

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  • Nachdem in einer Klinik in Gelsenkirchen drei Säuglinge mit Handfehlbildungen auf die Welt gekommen sind, haben die Ärzte Experten in der Berliner Charité kontaktiert.
  • Es war eine Kölner Hebamme, die die Fälle in Gelsenkirchen an die Öffentlichkeit gebracht hatte.
  • Nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger” sind aber auch im Kreis Euskirchen Fälle aufgetreten. Die Redaktion hat auch bei Kliniken in Köln nachgefragt.

Gelsenkirchen/Köln  – In einem Krankenhaus in NRW hat es eine ungewöhnliche Häufung von Neugeborenen mit Handfehlbildung gegeben. Im Marien-Hospital im Gelsenkirchener Stadtteil Buer waren zwischen Juni und Anfang September drei betroffene Kinder auf die Welt gekommen, teilte die Klinik mit. Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger” haben jetzt ergeben, dass es sich bei den Neugeborenen im Ruhrgebiet nicht um die einzigen Fälle handelt.

In einer Mitteilung der Klinik in Gelsenkirchen hieß es: „Das mehrfache Auftreten jetzt mag auch eine zufällige Häufung sein. Wir finden jedoch den kurzen Zeitraum, in dem wir diese drei Fälle sehen, auffällig.“ Fehlbildungen dieser Art habe man in der Klinik viele Jahre nicht gesehen. Hebammenvertreterinnen hatten die Klinik auf die Fälle aufmerksam gemacht.

Kölner Hebamme will zur Aufklärung beitragen

Die Kölner Hebamme Sonja Ligget-Igelmund (45), die im „Express“ die Gelsenkirchener Fälle an die Öffentlichkeit gebracht hatte, will zur Aufklärung beitragen. „Da Missbildungen bei Neugeborenen von den Krankenhäusern nicht zentral gemeldet werden, ist es unklar, ob der Fall nicht weitaus größere Dimensionen hat.“ Vielleicht, so die Hebamme, seien bereits in Deutschland Hunderte Babys ohne Händchen geboren worden, aus denen sich dann ein Muster erkennen ließe. „Ich bin froh, dass ich mit meinem Aufruf eine Debatte angestoßen habe. Es müsse schnell geklärt werden, ob es eine Häufung solcher Fälle gebe.

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In Frankreich etwa hätten viele Mütter der betroffenen Kinder gemein, dass sie in der Nähe von Feldern leben, auf denen Getreide und Sonnenblumen wachsen. Mittlerweile hätten sich 30 Betroffene bei ihr gemeldet, sagte Ligget-Igelmund, Mitglied im Hebammen-Bund Deutschland.

Bundestagsabgeordneter fordert Frühwarnsystem

Im Kreis Euskirchen scheint es vergleichbare Fälle zu geben, bestätigte der CDU-Bundestagsabgeordnete Detlef Seif dem „Kölner Stadt-Anzeiger”. „Ich weiß von drei Fällen aus den letzten Monaten, in denen Kinder mit nur einer Hand geboren wurden“, schreibt Seif an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und bittet ihn, ein Frühwarnsystem auf Bundesebene anzustoßen.

So könne möglicherweise festgestellt werden, ob bestimmte äußere Einflüsse verantwortlich seien, auch wenn nicht immer die Ursache ermittelt werden könne. Bei seinen Nachforschungen vor sechs Monaten habe sich keine öffentliche Stelle verantwortlich gesehen, so Seif. Statistisch werde bundesweit und kreisweit lediglich ermittelt, wie viele Menschen mit Behinderungen es gibt. Darüber hinausgehende individuelle statistische Erhebungen, ob bei Neugeborenen eine Behinderung vorliegt und um welche Art von Behinderung es sich handelt, erfolgten nicht. „Weder bundesweit, noch kreisweit ist eine signifikante Zunahme an Behinderungen zu verzeichnen“, stellt Seif fest.

Das erkläre, dass das Kreisgesundheitsamt vor sechs Monaten auf seinen Hinweis hin mitteilte, dass eine Häufung dieser Fälle nicht vorläge. Der Kreis Euskirchen bewertete damals die Fehlbildungen an der Hand deshalb als Einzelfälle, schreibt Seif: „Diese Einschätzung ist offensichtlich falsch. Die Häufung kann nicht mehr als Zufall und Schicksal abgetan werden.“

Es bedürfe einer fundierten Datenlage und Erforschung der Ursachen. Wenn bestimmte Behinderungen verstärkt aufträten, müsse dem nachgegangen werden, fordert Seif: „Gegebenenfalls einheitliche Ursachen müssen ermittelt werden.“ So könnte zukünftig bei Neugeborenen möglicherweise eine Behinderung vermieden werden.

Zwei Prozent aller Neugeborenen mit Fehlbildung

Statistisch würden ein bis zwei Prozent aller Neugeborenen mit einer Fehlbildung unterschiedlicher Ausprägung geboren, erklärten die Gelsenkirchener Mediziner. Fehlbildungen der Extremitäten könnten während der Schwangerschaft unter anderem durch Infektionen auftreten, seien aber selten. Bei allen drei Kindern ist jeweils eine der beiden Hände betroffen. An dieser seien Handteller und Finger nur rudimentär angelegt. Der Unterarm sei normal. In der Klinik wurden 2018 mehr als 800 Kinder geboren.

Die Klinik in Gelsenkirchen will die Fälle jetzt in regionalen Qualitätszirkeln der Kinder- und Jugendärzte thematisieren. Auch habe man Kontakt mit Fachleuten der Berliner Charité aufgenommen. Die Charité wollte sich am Freitag zu dem Fall nicht äußern. „Der derzeitige Informationsstand erlaubt weder der Charité noch insbesondere der Embryonaltoxikologie eine inhaltliche Stellungnahme“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Auch der Deutsche Hebammenverband wollte sich am Freitag nicht zu dem Thema äußern. 

Im nahe gelegenen Essener Elisabeth-Krankenhaus, mit mehr als 2500 Geburten pro Jahr eine der größten Geburtskliniken in NRW, gibt es nach Angaben einer Sprecherin keine Häufung von Handfehlbildungen. „Etwa einmal im Jahr haben wir ein Kind mit einer Handfehlbildung. Wir können damit nicht von einer Häufung sprechen.“ Das gilt auch für das Universitätsklinikum die Städtischen Kliniken Köln, teilten Sprecher auf Anfrage mit.

„Die drei Fälle in Gelsenkirchen lassen sich auch durch eine statistische Zufälligkeit erklären“, sagte Berthold Grüttner, Leiter der Geburtshilfe der Uniklinik Köln. „Wir können als Maximalversorger in Köln nicht von einer Häufung solcher Fälle sprechen.“  (mit dpa) 

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