Kölner KaugummiWir kauen alle auf Plastik – Wie „Forest Gum“ das ändern will

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Natürliches Kaugummi: Forest Gum

  • Auf einem Kaugummi kaut vermutlich jeder ab und an mal herum. Doch nur die wenigsten wissen: Sie kauen dabei auf Plastik.
  • Die "Kaumasse", die Kaugumis so schön gummiartig macht, besteht aus synthetischen Polymeren, kurz: Plastik. Sie ist nicht kennzeichnungspflichtig.
  • Der Kölner Thomas Krämer hat ein Kaugummi auf den Markt gebracht, das nicht mit synthetischen Stoffen hergestellt wird, sondern aus dem Saft von Bäumen in Zentralamerika. "Forest Gum" soll genauso schmecken wie gewohntes Kaugummi - nur länger.
  • Hinweis: Dieseser Text wurde zum ersten mal im August 2019 veröffentlicht. Mittlerweile sind die Kaugummis im Handel erhältlich.

Köln – Thomas Krämer schaut Menschen gern beim Kaugummikauen zu und stellt Fragen. Ist es ok, dass das Kaugummi nicht rein weiß ist? Passt der Minzgeschmack? Die Schärfe? Wie ist das Kauerlebnis? „Noch können wir an der Zusammensetzung drehen“, sagt der Kölner, während er mit der Verpackung spielt. „Forest Gum“ steht auf der Schachtel, und um das Wortspiel zu verstehen, muss man die Geschichte kennen: Denn Krämers Kaugummi, das im Herbst auf den Markt kommt, besteht zum Großteil aus Chicle, dem Baumsaft des Breiapfelbaums. Damit ist „Forest Gum“ nicht einfach die tausendste Spielart der klebrigen Masse, sondern unterscheidet sich vor allem in einem Punkt von anderen Produkten in den Regalen: Es ist plastikfrei, nicht nur in der Verpackung, sondern im Inhalt. Was die wenigsten Menschen wissen: Die „Kaumasse“ regulärer Kaugummis besteht aus synthetischen Polymeren – also Kunststoffverbindungen. Die Inhalte sind nicht kennzeichnungspflichtig. Runtergebrochen heißt das: Die Menschheit kaut auf Plastik.

Aus der Autoindustrie in die Agrarwissenschaft

Auch Krämer weiß das erst seit einigen Jahren. Eigentlich ist er gelernter BWLer. Nach dem Studium verschlug es ihn in die Autoindustrie, bevor er beschloss, in eine völlig neue Richtung gehen. So kam er das erste Mal mit sozialen und nachhaltigen Produkten in Kontakt, arbeitete mit der Wasserinitiative „Viva con Agua“ und landete schließlich in einem Agrarwissenschaftsstudium. Dort hörte er von Kaumasse aus Plastik – und von Chicle, der natürlichen Variante, auf der einst schon die Mayas kauten.

Die Idee ließ ihn nicht los und so begann Krämer, selbst zu tüfteln. Das erste Kaugummi entstand zu Hause in der Küche, mit Zutaten aus dem Internet. „Irgendwann war alles voller Klebefäden“, erinnert sich Krämer. Vier Jahre lang werkelte er neben dem Job – mittlerweile war er bei Lemonaid in Hamburg gelandet – an dem Projekt, bis es konkret wurde. „Ich wusste: Wenn ich das nicht mache, lässt mich das nicht mehr los.“

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Thomas Krämer hofft, mit seinem plastikfreien Kaugummi einen Nerv zu treffen.

Also reiste Krämer nach Mexiko, organisierte lokale Partner in Zentralamerika und einen Produzenten in Europa und gründete schließlich im März 2019. Derzeit läuft eine Startnext-Kampagne zur Finanzierung, bei der Menschen das Projekt unterstützen können. Im September oder Oktober soll das nachhaltige, ökologisch abbaubare, plastik- und zuckerfreie Produkt in die Massenproduktion gehen – und möglichst nicht ausschließlich in der Öko-Nische landen. 

Sein Wunsch sei es, dass es irgendwann normal ist, plastikfreies und natürliches Kaugummi zu kauen. Dabei sind Chicle-Kaugummis keine grundneue Idee. Im Gegenteil: Bevor Kaumasse chemisch hergestellt wurde, war Chicle der Rohstoff der Wahl. Heute gibt es in Bio-Märkten zwar vereinzelt Kaugummi-Anbieter, die ebenfalls mit Chicle arbeiten, deren Angebote unterscheiden sich jedoch geschmacklich teils stark von regulärem Kaugummi.

„Forest Gum“: Kaut sich leichter und schmeckt länger

Krämers Kreation merkt man den Unterschied kaum an, das ist so gewollt. Die Kaugummis sind nicht eingefärbt, und eher beige als weiß, der Minzgeschmack ist intensiv. Die Konsistenz ist ein wenig weicher als bei anderen Kaugummis und das Gummi wird im Mund nicht hart.

Bio ist das Produkt nicht – bislang. Der Gründer setzt auf Transparenz und Nachhaltigkeit. „Kunden sollen wissen, was wir anbieten, wir wollen Vertrauen aufbauen“. Vertrauen auch darin, dass der Kauf des Produkts nachhaltige Produktion unterstützt. Durch die Arbeit mit Bauern in Zentralamerika, die Chicle ernten, will Krämer die Region stärken. Die Bäume aus Tropenwäldern sollen durch stete Bewirtschaftung vor der Rodung bewahrt und somit als CO2-Speicher geschützt werden. „Wir zahlen faire Preise an die Bauern und machen es attraktiv, den Baum zu erhalten.“

Der Traum von klimapositiver Produktion

Der Preis dafür, zumindest ökologisch, dürfte zunächst trotzdem recht hoch sein. Das Chicle, das mit Macheten durch Schnitte in der Baumrinde gewonnen wird, bevor der bearbeitete Baum jahrelang ruhen muss,legt einen weiten Weg zurück, bevor es beim Produzenten in Europa landet. Die Öko-Bilanz dürfte bei kleinen Produktionsmengen zunächst dementsprechend schlecht ausfallen.

Das hält Krämer nicht vom Träumen ab. „Wenn mehr produziert wird und somit mehr Bäume erhalten werden, ist »Forest Gum« ja eines Tages vielleicht sogar klimapositiv“, sagt er „Das wäre ein Label, für das ich alles geben würde – mehr als für einen Bio-Stempel.“

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Ohnehin hat er mit „Forest Gum“ noch einiges vor. Neben zusätzlichen Geschmacksrichtungen („etwas Fruchtiges zum Beispiel und etwas mit Ingwer“), kann sich Krämer auch weitere Süßwaren vorstellen.

Doch ein Schritt nach dem anderen. Zunächst muss das Kaugummi in den Läden und bei den Kunden ankommen. Krämer findet es „krass“, dass Kaumasse als Zutat, in der Plastik ist und in der Erdöl verarbeitet wird, bis heute erlaubt ist. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass viele Leute das in Ordnung finden. Ich find's nicht in Ordnung und wichtig, dass wir das ansprechen – mit oder ohne »Forest Gum«.“

Hinweis der Redaktion: Dieseser Text wurde zum ersten Mal im August 2019 veröffentlicht. Mittlerweile sind die Kaugummis im Handel erhältlich.

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