Umweltverbände im AufwindDie Waldverbesserer machen Politik

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  • Der Kampf um den Hambacher Forst hat die Menschen mobilisiert – und den Umweltverbänden ungeahnten Mitgliederzuwachs beschert.
  • Die 34-jährige Sarah Boakye-Ansah ist eine von ihnen. „Je mehr man sich mit seinem eigenen Lebensstil beschäftigt, desto mehr Dinge entdeckt man, die schief laufen.“
  • Woher kommt die plötzliche Popularität der Verbände? Wie machen sie Politik? Und wie sind sie organisiert?
  • Eine Reportage aus der Welt der Waldverbesserer.

Sarah Boakye-Ansah fing im Stillen an. Eines Tages sah sie eine Dokumentation über die Lebensmittelverschwendung in den westlichen Industriestaaten, über die Massentierhaltung hierzulande. Über die Hungersnot in Afrika, die Armut dort. Das Erzählte war ihr nicht neu, sie reagierte nur anders als sonst. „Ich habe lange nicht gemacht, was man eigentlich als verantwortungsbewusster Bürger tun sollte“, sagt sie. Irgendwas Gutes.

Angesichts der Fülle endzeitlicher Nachrichten über den Zustand der Erde stellten sich die immergleichen Fragen: Was überhaupt? Wo anfangen? Wie umsetzen? Was bringt das? Bis sie die Antworten für sich gefunden hatte, war die Luft für gewöhnlich schon wieder raus. Diesmal aber nicht. Die Lehrerin aus Düsseldorf stellte zunächst ihre Ernährung um, war eine Zeit lang Vegetarierin, heute lebt sie vegan. „Je mehr man sich mit seinem eigenen Lebensstil beschäftigt, desto mehr Dinge entdeckt man, die schief laufen“, sagt die 34-Jährige. Sie kauft kein Plastik mehr – versucht es zumindest – vermeidet Müll und spricht mit ihren Schülern über Möglichkeiten der Weltverbesserung. Das seien die sprichwörtlichen Beiträge, die jeder Einzelne leisten könne. Im Privaten. „Ich wollte mich aber so engagieren, dass man es auch wahrnimmt.“

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 „Mich überkam eine Euphorie, etwas bewirken zu können“: Sarah Boakye-Ansah schloss sich den organisierten Waldspaziergängen im Hambacher Forst an.

Irgendwann hörte sie von den Protesten gegen die Abholzung des Hambacher Forstes und schloss sich den organisierten Waldspaziergängen an. Spätestens am 6. Oktober vorigen Jahres fühlte sie sich nicht mehr unsichtbar. Zehntausende waren gekommen, feierten auf der Großdemonstration den Rodungsstopp und riefen nach mehr Klimaschutz. Sarah Boakye-Ansah war mittendrin. Der Wald, die Menschen, die Masse. Der Geruch, die Lautstärke – der Widerstand wurde körperlich, die Macht spürbar. „Mich überkam eine Euphorie, etwas bewirken zu können.“ Auch als die Hochstimmung verflogen war, blieb die Einsatzbereitschaft. Und wieder die Frage: Wohin damit?

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Nicht-staatliche Organisationen

Sarah Boakye-Ansah schläft nicht in Baumhäusern und kettet sich nicht an Schienen. Sie ist auch keine Strategin, die im Hintergrund politische Einflussnahme betreibt oder Kampagnen organisiert. Sie gehört zu denen, die eine gute Tat in ihren Alltag integrieren möchten. Ein paar Stunden in der Woche. Machbar. Verbindlich. Für die Natur und die Umwelt, gegen die willkürliche Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage. Dieses Bedürfnis teilt sie mit immer mehr Menschen – und viele von ihnen führt dieses Bedürfnis in die Mühen der Ebene; zu den nichtstaatlichen Natur- und Umweltschutzorganisationen. Deren Mitgliederzahl steigt seit Jahren stetig an. Die Programmatik der gemeinnützigen Vereinigungen liest sich allumfassend: Ihnen geht es um den Erhalt von Tier- und Pflanzenarten, sie engagieren sich für Sauberkeit von Luft, Wasser und Boden – und befassen sich mit Energie oder Verkehrspolitik – mit vielen kleinen Erfolgen, die selten Aufsehen erregen.

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Tausende Menschen demonstrieren in der Nähe des Hambacher Forsts zum Thema „Wald retten! Kohle stoppen!“ gegen die Rodungspläne von RWE für den Wald.

Die fünf einflussreichsten Verbände in Deutschland sind der Nabu – Naturschutzbund Deutschland e.V., der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND e.V, der World Wide Fund For Nature (WWF), Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Gemeinsam zählen sie hierzulande mehr als zweieinhalb Millionen Mitglieder. „Sie sind mittlerweile Teil einer gut funktionierenden Zivilgesellschaft, die eine Demokratie unbedingt braucht“, sagt Michael Zschiesche, Vorstandsvorsitzender des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (UfU) in Berlin. „Sie berufen sich auf Rechte und Erkenntnisse, die sie auch gegen den Widerstand von Obrigkeiten laut verkünden, bis eine Reaktion erfolgt.“ Zschiesche arbeitet für die Berliner Forschungseinrichtung als Experte in Fragen des Umweltrechts und beobachtet seit Jahren die Entwicklung der Natur- und Umweltschutzverbände. „Wenn die Regierung täte, was sie beschließt, bräuchten wir solche Nichtregierungsorganisationen nicht.“

Ausgeprägtes Umweltbewusstsein

Ihr großes Verdienst ist unumstritten: Ohne sie wäre der Natur- und Umweltschutz weder institutionell noch im öffentlichen Bewusstsein derart fest verankert. Noch bevor Greta Thunberg die Massen für den Klimaschutz mobilisierte, war der Stellenwert dieser Frage bereits gestiegen. Laut der jüngsten Studie des Umweltbundesamts gehörte sie auch 2018 für zwei Drittel der Bevölkerung schon zu den wichtigsten Herausforderungen. Mehr als 90 Prozent der Deutschen empfanden schon vor zwei Jahren etwa Risiken durch Plastikmüll in den Weltmeeren oder die Abholzung von Wäldern als bedrohlich.

Drei Viertel stimmten zu, dass die energie-, ressourcen- und abfallintensive Wirtschafts- und Lebensweise grundlegend umgestaltet werden sollte. Die meisten sind sich einig darüber, dass die Bundesregierung, die Städte und die Industrie zu wenig dafür tun. Und sie selbst? Dass jeder etwas tun könnte, bleibt für die meisten eine Behauptung. Ökologischer Einsatz? Ein Minderheitenphänomen. Laut UBA kann sich zwar jeder Zweite vorstellen, sich aktiv zu engagieren. Nur zwölf Prozent tun es aber am Ende auch tatsächlich.

Ob die Auseinandersetzung um den Hambacher Forst daran etwas geändert hat, ist noch nicht erwiesen. „Der Streit war vielleicht keine Zäsur, aber ein wichtiges Ereignis für das grüne Engagement“, ist sich der Soziologe und Protestforscher Dieter Rucht sicher. Es sei ziviler Ungehorsam vorgelebt worden, den in seiner radikalen Art vielleicht nicht alle nachahmen wollen oder können. „Aber wer sieht, wie viele opferbereite Menschen es gibt, der ist eher geneigt, wenigstens ein bisschen zu tun.“ Von einer Zeitenwende will Rucht aber noch nicht sprechen. Auch nicht nachdem der jugendliche Klimaschutzprotest „Friday for Future“ den Klimaschutz zum Breitenthema gemacht hat. „Dafür habe ich zu viel kommen und gehen sehen“, sagt der 72-Jährige. Die Zahlen seien beeindruckend, die Medienaufmerksamkeit sei hoch, die Schwelle aber schon überschritten. Die Demonstranten würden weniger. „Wir müssen abwarten, wie die Gegenseite reagiert, und sie wird sich nicht offen gegen die Forderungen der Aktivisten stellen. “ Möglicherweise könnten die herkömmlichen Verbände von der Stimmungslage profitieren. Aber Durchbrüche erwartet Rucht nicht. „Dafür bräuchten wir radikalere Lösungen.“

Prominenter Akteur, der vom Protest im Hambacher Forst profitierte, war der BUND. Der Naturschutzverein registriert derzeit bundesweit 440 849 Mitglieder. Hinzu kommen 180 000 Spender. Deren Beiträge und Spenden machten 69 Prozent der insgesamt 30,2 Millionen Euro Einnahmen im Jahr 2017 aus. Ein Drittel davon floss an die Landesverbände für die Arbeit der rund 30 000 ehrenamtlichen Mitarbeiter vor Ort. Gut ein Zehntel unter anderem in die Gewinnung neuer Unterstützer. Die fanden sich auch rund um die Aktionen im Hambacher Forst. An jenem Oktobertag im Wald rekrutierte der Verein 75 neue Mitglieder. Im gesamten Jahr stieg deren Anzahl in Nordrhein-Westfalen um 3640 auf 34204 – und Sarah Boayke-Ansah war eines von ihnen.

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Sie hätte sich auch einem anderen Verein angeschlossen. „Der BUND war aber einfach da und ich wollte in eine gewachsene Organisation, bei der man anpacken, aber auch auf politischer Ebene etwas erreichen kann.“ Der BUND ist ein klassischer Mitmachverein – und damit dem Nabu sehr ähnlich. Beide sind förderativ aufgebaut und basisdemokratisch organisiert: Wer dabei ist, kann sofort mitbestimmen. Es ist nicht schwer, dazuzugehören. Boayke-Ansah füllte ein Formular aus und wählte einen monatlichen Spendenbeitrag, der in der Regel bei mindestens 60 Euro pro Jahr liegt. Sie musste ein bisschen suchen, um die Kreisgruppe zu finden, in der sie schließlich offen empfangen wurde. „Dann kommt aber erstmal die Ernüchterung.“ Engagement heißt auch wirklich: Aktiv werden. Ideen entwickeln. Sich schlau machen. Ein Umweltverband ist kein Dienstleister. Wer beim Arbeitskreis Abfall dabei sein will, sollte sich mit den Abläufen in der Stadt auskennen. „Ich habe nie etwas mit Kommunalpolitik zu tun gehabt“, sagt sie. Aber man müsse ja irgendwie zusammenarbeiten. „Das ist mühsam.“

Sarah Boakye-Ansah vertraut ganz auf die Erfahrung des Verbands im Kleinen und auf die Wirkmacht im Großen. Die hat sich für die Natur- und Umweltschutzvereine in den vergangenen Jahren erheblich erweitert. Deutschland ratifizierte 2006 die so genannte Aarhus-Konvention, die der Zivilgesellschaft den Zugang zu Umweltinformationen, zur Beteiligung an Verwaltungsverfahren und zu gerichtlichen Überprüfungen in Umweltangelegenheiten gewährt. Das Ringen darum war zäh. Heute zählen 40 Staaten zu den Vertragsparteien. Das Ergebnis: Vereine können besondere Rechte beantragen und als Anwalt der Natur auftreten. Dafür brauchen sie in Deutschland die Anerkennung durch das Umweltbundesamt oder die Anerkennungsbehörden der Länder. Mehr als 200 Vereinigungen gehören zu diesem Kreis: Von der „Aktion Fischotterschutz“ bis zur „Zoologischen Gesellschaft Frankfurt von 1858“.

Einmischen können sich Verbände zum Beispiel bei der Errichtung von Anlagen zur Abfallverbrennung und Energieerzeugung. Jährlich gibt es rund 1000 dieser Beteiligungsverfahren. Geklagt wird selten, dafür mit Erfolg: Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) zeigt, dass 48 Prozent aller Klagen durch die Umweltverbände in den Jahren 2006 bis 2012 vor den Verwaltungsgerichten ganz oder teilweise erfolgreich waren. Die überdurchschnittlich hohe Erfolgsquote führt das UBA darauf zurück, dass die Verbände nur in wenigen, besonders aussichtsreichen Fällen von ihrem Recht Gebrauch machen. Bereits wegen der bloßen Möglichkeit einer Klage, würden Umweltschutzbelange eher berücksichtigt.

Klage ist letztes Mittel

„In manchen Fällen ist es gut, ein Klagerecht zu haben“, sagt Antje von Broock. Sie ist stellvertretende Geschäftsführerin im Bereich Politik und Kommunikation beim BUND, der unter anderem gegen die Genehmigung des Tagebaus im Hambacher Forst klagte. „Wenn wir in einem Beteiligungsverfahren sehen, dass wir mit berechtigten Einwänden keinen Erfolg haben, bleibt als letzter Schritt die Klage, um rechtssicher zu klären, ob unsere Einwände berücksichtigt werden müssen.“ Sie gehöre aber nicht zum Alltagsgeschäft, weil ein solches Verfahren auch für einen großen Verband wie den BUND sehr aufwendig, teuer und daher riskant sei.

Das Instrument der Klage hat längst auch Kritiker auf den Plan gerufen. Sie werfen den Verbänden vor, auch deshalb den Klageweg zu beschreiten, weil in einem Vergleich Geld fließt. „Den streben wir aber gar nicht an“, sagt von Broock. Doch manchmal verspreche ein Vergleich mehr Erfolg für den Naturschutz, als eine Klage mit ungewissem Ausgang zu Ende zu bringen. Das Geld fließe dann direkt in Projekte, die der Natur dienen.

Es ist offensichtlich, dass die Verbände noch Zeit brauchen, um mit den neuen Rechten umzugehen. Die Auswahl an Verfahren ist groß, Verstöße zu finden aufwendig – und am Ende sind es immer die gleichen Vereine, die klagen. Umweltrechts-Experte Michael Zschiesche warnt: „Die Verbände müssen aufpassen, dass sie ihre Rolle nicht überinterpretieren.“ Sie seien keine Verwaltungshelfer und könnten es auch gar nicht sein. „Am Ende kann niemand besser auf ein Vollzugsdefizit reagieren als eine gut ausgestattete Behörde.“

Grund zur Kritik

Es gibt keinen großen Verband, der nicht schon einmal heftig kritisiert worden wäre. Sarah Boakye-Ansah geht in diesem Punkt mit großem Grundvertrauen vor. Einen Jahresbericht des BUND zum Beispiel hat sie noch nicht gelesen, aber dass es einen gibt, beruhigt sie. Sollte es notwendig erscheinen, werde sie prüfen, von wem, gegen wen und ob gleich die gesamte Organisation infrage gestellt werden müsse. Vorwürfe gegen Verbände kommen sowohl von innen als auch von außen und richten sich zum Beispiel gegen Hierarchiestrukturen, mögliche Interessenkonflikte, den Anschein von Käuflichkeit oder aggressive Spendenwerbung. Dass Spenden und öffentliche Gelder in Verwaltungsstrukturen versickern, ist ein häufig geäußerter Verdacht. Verbände reagieren darauf, sei es, dass sie personelle Konsequenzen ziehen oder sich von Förderern trennen – oder sich der „Initiative Transparente Zivilgesellschaft“ anschließen. Sie verpflichten sich damit, weitgehende Informationen zu veröffentlichen, von der Angabe der Mittelherkunft bis zur Angabe der Namen von juristischen Personen, deren Zahlungen mehr als zehn Prozent des Jahresbudgets ausmachen.

Der Maßstab moralischen Handelns, der an Umweltverbände gelegt wird, ist hoch. Der Kampf für die gute Sache ist deshalb auch immer einer um die eigene Glaubwürdigkeit. Die wird gelegentlich hart auf die Probe gestellt. In diesem Frühjahr etwa wurden schwere Vorwürfe gegen den WWF erhoben, weil dieser angeblich gewalttätige Antiwilderei-Kommandos in Afrika und Asien unterstützt hätte. Die Stiftung will den Fall von unabhängiger Seite aufklären lassen. „So etwas darf nicht passieren, aber es passiert“, weiß Zschiesche. Gerade Verbände, die weltweit agieren, gehen hohe Risiken ein. „Aber NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen) sind fehlbar wie jeder Mensch auch. An zu hohen moralischen Ansprüchen können sie nur scheitern.“ Das Wichtige sei, dass sich Skandale nicht häufen und die Organisation Lernfähigkeit unter Beweis stelle. „Grundsätzlich ändern diese Vorfälle nichts an der Sinnhaftigkeit der NGOs in ihrer Rolle gegenüber Regierungen und Unternehmen“, fügt Zschiesche hinzu und bescheinigt den meisten Verbänden eine enorme Professionalisierung in Fragen der Transparenz. „Sie sind heute aufs Peinlichste bemüht, keine Angriffsfläche zu bieten.“

Der Druck steigt

Gegenwärtig kommt Kritik ganz anderer Qualität hinzu: Nicht nur Klagepraxis, auch Gemeinnützigkeit werden infrage gestellt und zum Politikum stilisiert. Der Grund dafür ist in den Augen der Aktivisten derselbe, der den Verbänden neue Mitglieder beschert. Angesichts der alarmierenden Situation in Deutschland und der Welt steigt der Druck allenthalben. Die Umweltbewegung verfügt außerdem heute über mehr hauptamtliche Mitarbeiter, mehr Geld, mehr Rechte – und weiß in vielen Belangen auch die Wissenschaft an ihrer Seite. Sie schafft es im digitalen Zeitalter Massen zu mobilisieren. An diesem Erfolg können politische Entscheider nur schwer vorbei. Die Gegenseite hat aber ebenfalls aufgerüstet. Die Konflikte, so sehen es Insider, werden nur auf einem anderen Niveau ausgetragen.

Was das Engagement bringt

Erfolge sind am Ende schwer zu messen. „Jeder kleine Schritt, der zu einer nachhaltigen und gerechten Gesellschaft führt, ist natürlich ein Erfolg“, sagt Antje von Broock vom BUND. „Als ich vor 13 Jahren angefangen habe hier zu arbeiten, lief eine Kampagne gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke. Heute ist ein Ende des Kohleausstiegs bis 2038 beschlossen. Das hätte wir damals nicht für möglich gehalten.“ Es stelle sich heute allerdings die Frage, wie Erfolge überhaupt kommuniziert werden könnten. Einfach sei es für jemanden, der für den Flächenkauf spendet. Der kann zum Beispiel im Jahresbericht finden, dass der BUND 2017 unter anderem 92 Hektar von der Stadt Salzwedel erworben hat. Wer für den Kohleausstieg gespendet hat, muss mit einer komplexeren Antwort rechnen. „Wir können nicht eins zu eins nachweisen, dass der Kohlekompromiss gelungen ist, weil wir so viele Menschen mobilisiert haben.“ Der Verband habe Gespräche geführt, Papiere geschrieben und sei auch in der Kohlekommission vertreten gewesen.

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Die Einstellungen der Deutschen zum sozial-ökologischen Wandel – Umweltthemen sind wichtig

„Es gibt keine einfachen Antworten, weil es keine einfachen Lösungen gibt“, sagt von Broock – und genau das sei die weitaus größere Herausforderung für die Umweltbewegung als den herkömmlichen Kritiken zu begegnen. „Reden wir heute über Energie, dann auch über Effizienz, Einsparung, Dämmung, Solarkraft, Windkraft und so weiter.“ Sich umfänglich mit einer Problematik zu befassen, binde unglaublich viele Ressourcen.

Mehr Schlagkraft

In dem Bestreben noch mehr Schlagkraft zu entwickeln, arbeiten einige Verbände verstärkt zusammen und gehen auf Unternehmer, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu. Man betont, keine sozialen Verwerfungen provozieren zu wollen, sondern nach gesamtgesellschaftlichen Lösungen zu suchen. Dass Umwelt- und Klimaschutz nicht nur Konfliktpotenzial bergen, sondern als Erfolgsfaktor für ganz andere Politikfelder taugen, hat sich lange in der Bevölkerung herumgesprochen. So sieht eine Mehrheit der Deutschen die Klimarettung laut Umweltbundesamt als Bedingung für eine erfolgreiche Globalisierung sowie für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit. Der Umweltrechtsexperte Michael Zschiesche beobachtet, wie die großen Verbände – außer Greenpeace – in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichem Erfolg mit der Wirtschaft kooperieren. „Man muss das natürlich kritisch beobachten und sehen, dass am Ende auch dabei was für die Natur herausspringt, nicht nur für die NGO.“ Nabu und Volkswagen seien vielleicht keine glückliche Kombination. Warum aber soll der Nabu nicht mit Rewe nachhaltige Produkte kennzeichnen? Grundsätzlich wünsche er sich bei solchen Vorstößen weniger Argwohn.

Internationale Zivilgesellschaft

Die Hoffnung liegt auf dem bürgerschaftlichen Engagement. Ihm wird – zumindest in den westlich geprägten Ländern – eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung von Umweltstandards zugesprochen. Woanders in der Welt ist diese Aufgabe für Zivilgesellschaften schwierig bis unmöglich. „Sie werden immer irgendwo korrupten Regierungen hinterherlaufen und sich konfrontiert sehen mit Bevormundung“, sagt Michael Zschiesche vom Unabhängigen Institut für Umweltfragen. Die große Herausforderung heute bestehe also darin, die länderübergreifende Kooperation von Verbänden zu intensivieren – und das immer ohne Besserwisserei.

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Anteil der Bevölkerung, der sich aktiv im Umwelt- und Naturschutz engagiert oder sich ein solches Engagement vorstellen kann.

Noch fehlen ausreichend rechtliche Mechanismen. Vielleicht gebe es „eruptive Verbesserungen“ angesichts der offensichtlichen Macht, die eine Globalisierung entfalten kann. „Das sieht man ja jetzt beim Klimaschutz. So viele Menschen auf der Welt greifen gleichzeitig ein Thema auf und zeigen, dass sie es ernst meinen.“ Immerhin: „Es brodelt“, findet Zschiesche. „Einiges deutet auf eine neue Generation hin, aber es ist offen, ob ihr Engagement reicht.“ Gemessen an der globalen Problemlage sei das Geschaffte frustrierend gering. Es reicht nicht.

Weltschmerz

Für Sarah Boayke-Ansah hat sich einiges geändert. Sie hat an ihrer ersten Jahreshauptversammlung im BUND teilgenommen und ihr erstes Saatgutfestival hinter sich gebracht. Die Sache mit dem Arbeitskreis Abfall läuft an. „Ich lerne hier unglaublich viel“, sagt sie. Von den erfahrenen Experten über die Natur, über ihre Stadt und darüber, dass es sich gut anfühlt, etwas zu tun. Manchmal, wenn nur eine Handvoll Leute in den Sitzungen sind, wird auch sie skeptisch. Ob das wirklich was bringt?

Sie möchte sich aber nicht vom Weltschmerz überwältigen lassen, der dann in ihr aufsteigt. „Mir hilft, zu sehen, was viele Menschen an Gutem schon getan haben.“

Die Umweltverbände im Profil

Bund für Umwelt- und Naturschutz lt- und Naturschutz für Deutschland – BUND e.V

Gründung: Der BUND wurde 1975 von Bernhard Grzimek und 20 weiteren Natur- und Umweltschützern gegründet. Mitgliederzahl: 440 849 Mitglieder Mitgliedsbeitrag: Die Einzelmitgliedschaft kostet 60 Euro im Jahr, ermäßigt 24 Euro Finanzierung: Die Einnahmen 2017 betrugen 30,2 Millionen Euro, die sich aus den Mitgliedsbeiträgen und Spenden (69 Prozent), Kostenerstattungen durch die Landesverbände für Mitglieder und Spenderanwerbung durch Dritte (11 Prozent), Erbschaften (6 Prozent) und öffentlichen Geldern (5 Prozent) zusammensetzt. Organisation: Der BUND mit Sitz in Berlin versteht sich vor allem als klassischer Mitmach- und Mitgliederverein, ist föderativ und basisdemokratisch organisiert. Der Bundesverband besteht aus 16 Landesverbänden. Außerdem gibt es rund 2000 Kreis- und Ortsgruppen. In 20 Arbeitskreisen befassen sich nach Angaben des BUND rund 1000 Fachleute ehrenamtlich mit einer großen Bandbreite an Themen von Abfall über Gentechnik bis zu Verkehr. Der BUND ist das deutsche Mitglied des internationalen Naturschutznetzwerkes Friends of the Earth International (FoEI). www.bund.net

Naturschutzbund Deutschland e.V.

Gründung: Der Nabu ist der älteste unter den gemeinnützigen Natur- und Umweltschutzvereinen in Deutschland. Er wurde als „Bund für Vogelschutz“ 1899 von Lina Hähnle gegründet. Auch wenn das Programm heute sehr vielfältig ist, liegt immer noch besonderes Augenmerk auf dem Vogelschutz. Bekannt ist die jährlich vom Verein initiierte „Stunde der Gartenvögel“, eine Singvogelzählung in deutschen Gärten. Mitgliederzahl: Mit 616 000 Mitgliedern und 44 000 Förderern ist der Nabu der mitgliederstärkste Umweltverband in Deutschland. Mitgliedsbeitrag: Die Einzelmitgliedschaft kostet 48 Euro im Jahr, ermäßigt 24 Euro. Finanzierung: 2017 beliefen sich die Erträge auf 44 531101 Euro, die sich vor allem aus Mitgliedsbeiträgen (49,48 Prozent), öffentlichen Geldern (18,89 Prozent), Spenden (14,41 Prozent) und Unternehmenskooperationen (6,02 Prozent) zusammensetzen. Organisation: Der Verein mit Sitz in Berlin, ist föderativ und basisdemokratisch organisiert. Die Mitglieder sind in rund 2000 lokalen Kreisverbänden und Gruppen organisiert und arbeiten meist ehrenamtlich. Spitzenorgan des Nabu ist die Bundesvertreterversammlung. www.nabu.de

Greenpeace  e.V.

Gründung: Greenpeace wurde 1971 in Kanada gegründet und gilt als besonders kampagnenstark. Die erste Protestaktion richtete sich gegen die Atomtests durch die USA. Das deutsche Greenpeace-Büro wurde im November 1980 in Hamburg gegründet. Mitgliederzahl: Greenpeace Deutschland hat rund 590 000 Fördermitglieder, weltweit sind es mehr als drei Millionen. Mitgliedsbeitrag: Eine Fördermitgliedschaft ist ab einer Spende von 25 Euro oder ermäßigt ab 15 Euro im Jahr möglich Finanzierung: Greenpeace finanziert sich ausschließlich aus Spendengeldern, Erbschaften und Förderbeiträgen. Der Verein nimmt weder Sponsorengelder von der Industrie und noch öffentliche Mittel an. Im Jahr 2017 wurden insgesamt 61 Millionen Euro gesammelt. Organisation: Hauptsitz der gemeinnützigen Organisation ist in Amsterdam, weltweit arbeiten 2400 Mitarbeiter bei Greenpeace. Greenpeace ist in 26 Ländern vertreten und in mehr als 55 Ländern aktiv. Die Deutsche Zentrale befindet sich in Hamburg. Oberstes Beschlussgremium besteht aus 40 Mitgliedern. Sie allein besitzen ein Stimmrecht. Greenpeace Deutschland beschäftigt 271 fest angestellte Mitarbeiter (2017). In den rund 200 regionalen Gruppen in Deutschland können sich ehrenamtliche Mitglieder an den Kampagnen und Protesten beteiligen. www.greenpeace.de

Deutsche Umwelthilfe e.V.

Gründung: Die DUH wurde 1975 unter dem Namen Deutsche Gesellschaft zu Förderung des Umweltschutzes e. V. gegründet. Sie ist nicht nur Umwelt-, sondern seit 2004 auch klageberechtigter Verbraucherschutzverband.  Mitgliederzahl: Die DUH hat aktuell rund 5280 Fördermitglieder und 361 stimmberechtigte Mitglieder. Mitgliedsbeitrag: Ab einer Spende von mindestens 3 Euro monatlich kann jeder Fördermitglied werden. Finanzierung: 2017 lagen die Einnahmen bei rund 8,3 Millionen Euro. 30 Prozent stammen aus Projektzuschüssen vor allem durch Bund, Länder und EU, 26 Prozent aus Einnahmen der sogenannten ökologischer Marktüberwachung: Die DUH hat das Recht, Unternehmen auf ihre Einhaltung von Regeln der Energieverbrauchskennzeichnung zu kontrollieren und Verstöße rechtlich zu verfolgen. Die daraus resultierenden Abmahngebühren und Konventionalstrafen machen einen Großteil des Ertrages aus. 15 Prozent gehen auf Privatspenden und Fördermitgliedsbeiträge zurück, 13 Prozent auf Spenden von Institutionen und Unternehmen, 10 Prozent auf Sponsoring. Organisation: Die DUH mit Sitz in Hannover, gliedert sich in drei Regionalverbände. Sie setzt in ihrer Arbeit stärker auf hauptamtliche als auf ehrenamtliche Mitglieder. Der Vorstand legt die Ziele für die praktische Arbeit der DUH fest. www.duh.de

World Wide Fund For Nature – WWF 

Gründung: WWF wurde 1961 gegründet und arbeitete von Anfang länderübergreifend und wirtschaftsnah, um internationale Projekte im Artenschutz finanziell unterstützen zu können. Der WWF ist heute eine der größten internationalen Natur- und Umweltschutzorganisationen.  Organisation: Der WWF ist eine Stiftung nach Schweizer Recht mit Sitz in Gland und in mehr als 100 Ländern vertreten. Der WWF Deutschland ist eine gemeinnützige deutsche Stiftung bürgerlichen Rechts mit Sitz in Berlin, die 1963 in Bonn Verein zur Förderung des World Wildlife Fund und somit als fünfte nationale Abteilung des WWF gegründet wurde. Mitgliederzahl: Weltweit zählt der WWF rund 5,4 Millionen Fördermitglieder und beschäftigt 6 600 Mitarbeiter. Im Jahr 2018 zählte der WWF Deutschland 601625 Unterstützer. Mitgliedsbeitrag: Fördermitgliedschaft ab einer Spende von 48 Euro im Jahr möglich Finanzierung: 2017 Einnahmen in Höhe von rund 767 Millionen Euro. 55 Prozent gehen auf private Spenden und Erbschaften zurück. 28 Prozent stammen aus öffentlichen Zuwendungen, 14 Prozent aus der Kooperation mit Unternehmen. www.wwf.de

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