Eine eigentlich dem Abbruch geweihte Region macht sich auf den Weg in eine moderne Zukunft. Wie das gelingen soll.
Tagebau GarzweilerFünf Dörfer warten auf die Auferstehung

Leere Häuser prägen das Bild in der Ortsmitte von Keyenberg. Das Land Nordrhein-Westfalen, die Stadt Erkelenz und die RWE Power AG haben eine Vereinbarung über die Wiederbelebung der fünf geretteten Braunkohledörfer am Tagebau Garzweiler geschlossen.
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Dieses Projekt ist einmalig in der Bundesrepublik. Fünf Braunkohledörfer im Rheinischen Revier, deren Untergang über Jahrzehnte unausweichlich schienen, werden überleben. Sie liegen alle auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz, die meisten Bewohner sind längst umgesiedelt.
Jetzt soll in Keyenberg, Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestrich möglichst schnell neues Leben einziehen. Stadt und das Land NRW machen sich gemeinsam auf den Weg. Das wichtigste Ziel: Die Dörfer sollen ihren Charakter bewahren und ihren neuen und alten Bewohnern trotzdem eine moderne Infrastruktur bieten. Eine Region macht sich auf den Weg. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Wem gehören die alten Dörfer?
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Als im Oktober 2022 von der Bundesregierung, der Landesregierung und RWE Power die Entscheidung getroffen wurde, den Tagebau Garzweiler zu verkleinern und acht Jahre früher aus der Kohleförderung auszusteigen, hatten die meisten Bewohner der alten Dörfer ihre Häuser schon verkauft. Rund 91 Prozent der 554 Anwesen gehören deshalb der RWE Power.
Was geschieht mit den restlichen Häusern?
Das sind noch 53. Deren Eigentümer können sich bis zum 30. Juni 2026 noch entscheiden, ob sie ebenfalls an RWE verkaufen möchten.
Wie will man mit rückkehrwilligen Umsiedlern verfahren?
Sie haben die Möglichkeit, ihre Häuser zur Eigennutzung für sich oder ihre Kinder zurückzukaufen. Dieser Prozess soll Ende 2025 abgeschlossen sein. Bisher ist das Interesse daran aber sehr gering.
300 Millionen Euro Fördergeld von Bund und Land
Wie geht es danach weiter?
Bis zu 300 Millionen Euro stellen der Bund und das Land zur Verfügung, damit die alten Dörfer wiederbelebt werden können. Darin enthalten sind auch Mittel für die Ortschaft Bürgewald. Das ist das frühere Morschenich am Tagebau Hambach, das ebenfalls erhalten bleibt.
Welche Pläne verfolgt die Stadt Erkelenz?
Sie will erreichen, dass die Ortsbilder der fünf Dörfer möglichst erhalten bleiben und hat dafür ein städtebauliches Entwicklungskonzept erarbeitet, das den Bürgern in Kürze vorgestellt werden soll. Die Stadt will die technische Infrastruktur, also Straßen, Plätze, Grünanlagen, Beleuchtung und Entwässerung, von RWE Power kaufen und mit den Fördergeldern modernisieren und ausbauen. Das gilt auch für Grundstücke für Schulen, Kindergärten und andere öffentliche Einrichtungen, die für das Zusammenleben der Menschen in den Dörfern wichtig sind.
An den Zweckverband Landfolge Garzweiler können von RWE weitere Liegenschaften übertragen werden. Ihm gehören die Städte Erkelenz, Jüchen, Grevenbroich und die Landgemeinde Titz an. In deren Einzugsgebiet leben 450.000 Menschen. Der Zweckverband wurde 2017 gegründet und hat die Aufgabe, die Umgestaltung und Entwicklung des ehemaligen Tagebaus zu organisieren und den Kommunen beim Strukturwandel zu helfen.
Dazu zählt auch die Entwicklung des Garzweiler Sees. Grundstücke, die weder von der Gemeinde Erkelenz noch vom Zweckverband benötigt werden, können dann von RWE an andere Interessenten verkauft werden. Dafür ist ein gemeinsamer Abstimmungsprozess vorgesehen.
Jahrzehntelang schien klar, dass die Orte dem Kohlebagger zum Opfer fallen
In welchem Zustand befindet sich die Infrastruktur der fünf Dörfer?
Sie muss in großen Teilen modernisiert werden, weil dort in der Vergangenheit nur das Allernötigste investiert wurde. Schließlich schien über Jahrzehnte vollkommen klar, dass die Orte dem Kohlebagger zum Opfer fallen.
Kann man denn schon jetzt planen? Im Tagebau Garzweiler wird doch mindestens bis 2030, vermutlich sogar bis 2033 noch Kohle gefördert.
Ja. Das wird östlich und südlich von Keyenberg noch der Fall sein. Bei Neubauten müssen keine besonderen Maßnahmen im Vergleich zu herkömmlichen Wohngebieten im Großraum Erkelenz beachtet werden.

Die Ortsnamen der umgesiedelten neuen Dörfer
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Wie hat die Stadt Erkelenz das Problem gelöst, dass es Ortsnamen jetzt doppelt gibt?
Man hatte zunächst zwar die Bürger befragt, die endgültige Entscheidung aber letztlich dem Stadtrat vorbehalten. Der hat in seiner Sitzung am 14. Mai entschieden, dass die neuen Orte die traditionellen Dorfnamen übernehmen und die geretteten alten Dörfer mit dem Zusatz „Alt“ versehen werden.
Konkret bedeutet das, dass die umgesiedelten Dörfer künftig Keyenberg, Kuckum, Berverath und Westrich heißen, während die alten Ortschaften die Namen Alt-Keyenberg, Alt-Kuckum und Alt-Berverath tragen werden. Die Namen Oberwestrich und Unterwestrich können erhalten bleiben, weil die neue Siedlung den Namen Westrich trägt. Die Entscheidung fiel mit 27 gegen 22 Stimmen relativ knapp aus. Dafür votierten die Vertreter von CDU, Bürgerpartei, Freien Wählern und Linken. SPD, Grüne und FDP waren dagegen. „Ich habe die Entscheidung als sehr sachlich empfunden“, sagte Bürgermeister Stephan Muckel nach der Sitzung. „Ich denke, damit können alle leben.“ Die Umbenennung soll am 1. Juli 2026 erfolgen.
Sehen das die Menschen genauso?
Nicht alle sind damit einverstanden. So hatte die Dörfergemeinschaft Kultur/Energie, in der Bewohner der geretteten Ortschaften vertreten sind, vorgeschlagen, dass die alten Dörfer den Zusatz „alt“ und die neuen den Zusatz „neu“ tragen sollen. „Dann hätte es keine Gewinner und Verlierer gegeben“, sagt Maria Dresen, sie ist Mitglied der Gemeinschaft. „Nun aber bekommen die neuen Dörfer ihren Willen vollständig durchgesetzt und uns wird der historische Dorfname weggenommen.“
Bei der vorausgegangenen Bürgerbeteiligung hatte es keine absolute Mehrheit für eine der vorgeschlagenen Varianten gegeben. Allerdings war das Interesse, sich überhaupt zu beteiligen, sehr gering. Von den rund 900 Umsiedlern hatten nur 31 (3,5 Prozent) teilgenommen, von den in den alten Orten verbliebenen Bewohner waren es 21 von 200 (10 Prozent).
Was ist mit den Straßennamen, die auch zum Teil doppelt vorkommen?
Darüber muss in den kommenden Monaten entschieden werden. Das könnte zu deutlich mehr Konflikten führen.
Wie viele Menschen leben derzeit in den alten Dörfern?
Die meisten wohnen inzwischen in den Neubauvierteln. Von den ursprünglich fast 1.600 Bewohnern leben inzwischen nur noch 229 Einheimische in den alten Orten am Tagebau, außerdem 354 Geflüchtete. Insgesamt hat die Stadt Erkelenz rund 45.000 Einwohner. Am benachbarten Tagebau Hambach gab es bereits im vorigen Sommer eine Umbenennung. Das einstige Dorf Morschenich heißt nun Bürgewald. Den Namen Morschenich trägt der Ort, an dem die umgesiedelten Bewohner leben.